Der Schweizer Bundesrat gesteht Liechtenstein in Abweichung von der eidgenössischen Fabrikgesetzgebung mehr als 8 gesetzliche Feiertage pro Jahr zu


Maschinenschriftliche Note der Abteilung für Auswärtiges des Eidgenössischen Politischen Departements, gez. Giuseppe Motta, an die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern [1]

11.12.1924, Bern

Mit Beziehung auf die geschätzte Note 1341 vom 15.v.M. [2] beehrt sich das Eidgenössische Politische Departement der Fürstlich Liechtensteinischen Gesandtschaft mitzuteilen, dass der in der geschätzten Note enthaltene Wunsch auf Zulasssung einer Abänderung des Art. 58 Abs. 1 des Fabrikgesetzes betreffend die gesetzliche Normierung der Feiertage dem Bundesrate unterbreitet worden ist.

Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 5.d.M. beschlossen, dass dem von der Fürstlichen Gesandtschaft vorgebrachten Anliegen entsprochen werden solle, nachdem auf dessen Berücksichtigung von der Fürstlichen Regierung anscheinend grosses Gewicht gelegt werde. Der an das liechtensteinische Einführungsgesetz [3] geknüpfte Vorbehalt des Bundesrates in Bezug auf die Bezeichnung acht gesetzlicher Feiertage wird demnach fallen gelassen.

Indem das Departement die Fürstliche Gesandtschaft ersuchen darf, die Fürstliche Regierung entsprechend verständigen zu wollen, [4] benützt es den Anlass, die Fürstliche Gesandtschaft erneut seiner ausgezeichneten Hochachtung zu versichern. [5]

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[1] LI LA V 002/0310/15 (Aktenzeichen des Eidgenössischen Politischen Departements: B 14/2 Liecht. –HI. Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: 1440). Eingangsstempel der liechtensteinischen Gesandtschaft vom 12.12.1924. 
[2] Der liechtensteinische Geschäftsträger Emil Beck führte in dieser Note aus, dass gemäss Art. 4 Abs. 1 Z. 2 des Zollanschlussvertrages vom 29.3.1923, LGBl. 1923 Nr. 24, neben der schweizerischen Zollgesetzgebung die übrige Bundesgesetzgebung im Fürstentum zur Anwendung gelange, soweit der Zollanschluss dies bedinge. Nach der Anlage I zum Zollanschlussvertrag gehörte dazu auch das Bundesgesetz vom 18.6.1914 betreffend die Arbeit in den Fabriken. Gemäss Art. 58 Abs. 1 des Fabrikgesetzes konnten die Kantone 8 Feiertage im Jahr bestimmen, die im Sinne dieses Gesetzes als Sonntage zu gelten hatten. – Nach Art. 6 des Zollanschlussvertrages kam bzw. kommt in Bezug auf die gemäss Art. 4 und 5 im Fürstentum anwendbare Gesetzgebung dem Fürstentum Liechtenstein die gleiche Rechtsstellung zu wie den schweizerischen Kantonen. – Bislang waren aber in Liechtenstein nicht nur 8, sondern 12 Feiertage im Jahr gefeiert worden, nämlich Neujahr, Drei-König, Ostermontag, Auffahrt, Pfingstmontag, Fronleichnam, Mariä Himmelfahrt, Allerheiligen, St. Luzius, Maria Empfängnis, Weihnachten und St. Stefanstag. Die liechtensteinische Regierung wollte diese Feiertage auch in Zukunft beibehalten und argumentierte damit, dass die Anwendung des schweizerischen Fabrikgesetzes durch den Zollanschluss nur insoweit geboten sei, als dadurch die erleichterte Konkurrenzierung schweizerischer Fabriken durch liechtensteinische Betriebe vermieden werden solle. Dies gelte umso mehr, als die Beschränkung auf 8 Feiertage im Fabrikgesetz auf Erwägungen zurückzuführen seien, welche mit dem Zollanschlussvertrag in keiner Beziehung stünden. Auch in anderen Fällen kämen die schweizerischen Bundesgesetze im Fürstentum nur teilweise zur Anwendung. So habe sich beispielsweise das Eidgenössische Veterinäramt damit einverstanden erklärt, dass die Bestimmungen der Seuchengesetzgebung, soweit sie eine Beitragspflicht des Staates an die Viehbesitzer statuierten, nicht zur Anwendung in Liechtenstein kommen sollen (LI LA V 003/0310/14). Mit Schreiben vom 31.7.1924 an die Gesandtschaft in Bern hatte sich die Regierung zudem auf die angeblich 9 nach Can. 1247 § 1 des Codex Iuris Canonici von 1917 gebotenen Feiertage berufen, nämlich auf Weihnachten, Neujahr, Dreikönig, Christ Himmelfahrt, Fronleichnam, Maria Himmelfahrt, Unbefleckte Empfängnis, Hl. Josefsfest, Allerheiligen (LI LA V 002/0310/12 (Aktenzeichen der Regierung: 2372. Aktenzeichen der Gesandtschaft: 1041)). Die genannte Bestimmung hatte allerdings folgenden Wortlaut: Dies festi sub praecepto in universa Ecclesia sunt tantum: Omnes et singuli dies dominici, festa Nativitatis, Circumcisionis, Epiphaniae, Ascensionis et sanctissimi Corporis Christi, Immaculatae Conceptionis et Assumptionis Almae Genitricis Dei Mariae, sancti Joseph eius sponsi, Beatorum Petri et Pauli Apostolorum, Omnium denique Sanctorum. 
[3] Vgl. Art. 102 Abs. 1 des liechtensteinischen Einführungsgesetzes vom 13.5.1924 zum Zollvertrag mit der Schweiz vom 29.3.1923, LGBl. 1924 Nr. 11, betreffend die Landesfeiertage.
[4] Vgl. das diesbezügliche Schreiben der Gesandtschaft in Bern an die liechtensteinische Regierung vom 13.12.1924 (LI LA V 002/0310/16 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 1445)).
[5] Mit Schreiben vom 13.12.1924 sprach Geschäftsträger Emil Beck dem Eidgenössischen Politischen Departement seinen "verbindlichsten Dank" aus (LI LA V 002/0310/17 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 1446)).