Landesverweser Leopold von Imhof weist die Forderung des bischöflichen Ordinariates auf Abänderung des Gesetzentwurfes über die Kongruaregelung zurück und beharrt ausserdem auf der staatlichen Strafgewalt über den Klerus


Handschriftliches Konzeptschreiben, mit Korrekturen und Ergänzungen, des Landesverwesers Leopold von Imhof, gez. ders., an das bischöfliche Ordinariat in Chur [1]

18.1.1917

An das hochwürdigste bischöfliche Ordinariat in Chur

In der sehr geschätzten Note vom 15. Dezember 1916 hat das hochwürdigste bischöfliche Ordinariat seine Stellungnahme zu dem, von der f. R. [fürstlichen Regierung] in Aussicht genommenen Gesetzentwurfe betreffend die Aufbesserung der Bezüge der Seelsorger bekannt gegeben. [2] Die f. R. beehrt sich, zu den bezüglichen Ausführungen Nachstehendes zu bemerken.

Es lag derselben vollkommen fern, in die kirchliche Jurisdiktion eingreifen zu wollen. Die f. R. hat lediglich die Mitwirkung der kirchlichen Behörden bei Durchführung des gedachten Gesetzes in Aussicht genommen und die wohl dortige Zustimmung angestrebt, dass die Verpflichtung der mit pfarrämtlichen Funktionen betrauten Seelsorger gegen angemessene Vergütung bei der staatlichen Matrikenführung mitzuwirken, gesetzlich festgelegt werde.

In Erwartung dessen wurde eingangs des Gesetzentwurfes auf das wohl dortige Einvernehmen ausdrücklich Bezug genommen.

Da das hochwürdigste bischöfliche Ordinariat jedoch seine Zustimmung zu dem Gesetzentwurfe von Bedingungen abhängig gemacht hat, welche die gesetzgebenden Faktoren aus den nachfolgenden Erwägungen nicht acceptieren können, wird – sofern der Landtag überhaupt noch veranlasst und geneigt ist, sich mit diesem Gegenstand zu befassen – der gedachte Gesetzentwurf eine Umarbeitung in der Richtung erfahren, welche die Mitwirkung und Zustimmung der kirchlichen Behörden ausschaltet und damit auch deren Zustimmung entbehrlich macht.

In diesem Zusammenhange soll hervorgehoben werden, dass im Fürstentum Liechtenstein der Kirche verfassungsmässig ein Einfluss auf die Gesetzgebung nicht zusteht, die Legislative vielmehr ausschliesslich vom Landesfürsten unter Mitwirkung des Landtags ausgeübt wird.

Die Beteiligung dieses Staatshoheitsrechtes wird durch die Normen, welche die katholische Kirche oder eine andere Religionsgenossenschaft zur Regelung ihrer internen Angelegenheiten aufgestellt hat, nicht beschränkt.

Eine Unklarheit hinsichtlich der Bestimmung des in Aussicht genommenen Fondes lag wohl nicht vor, da der § 1 des Entwurfes den Zweck des Fondes ausdrücklich bezeichnete. Eine besondere Benennung dieses Fonds hätte also entfallen können – er wäre als „Fond zur Aufbesserung der Bezüge der Seelsorger“ geführt worden.

Entgegen der wohl dortigen Anschauung, dass ein Fond, welcher dauernd bestimmten Zwecken dienen soll, eine Stiftung bilde, muss bemerkt werden, dass „Fond“ und „Stiftung“ zwei verschiedene juristische Begriffe sind, die verwaltungsrechtlich wohl auseinander zu halten sind. Dieser Auffassung scheint übrigens das hochwürdigste bischöfliche Ordinariat selbst zuzuneigen, indem es am Schlusse seiner allgemeinen Ausführungen die Bezeichnung „Fond mit Stiftscharakter“ vorschlägt.

Auch ist für die Charakterisierung eines Fonds oder einer Stiftung nicht allein der Zweck bestimmend, sondern in erster Linie der Wille jener Faktoren, welche die bezüglichen Mittel zur Verfügung stellen. Nun lag es weder in der Absicht S.D. des Landesfürsten [Johann II.] noch des Landtages, zur Aufbesserung der Bezüge der hierländischen Seelsorger eine kirchliche Stiftung zu machen oder gar die gewidmeten Kapitalien der staatlichen Einflussnahme und Verwaltung zu entrücken. Die f. R. vermag daher allen jenen Bezeichnungen oder Zusätzen nicht zuzustimmen, welche geeignet wären, die rechtliche Natur des Fonds auch nur unklar erscheinen zu lassen, noch weniger aber Benennungen, wie Congrua oder Religionsfond, welcher der Rechtslage nicht entsprechen oder früher oder später kirchliche Ansprüche auf diesen Fond etwa zu begründen vermöchten.

Die geäusserte Besorgnis, dass der Fond ohne Präzisierung seines Stiftscharakters wieder eingezogen oder dessen Widmung geändert werden könnte, beinhaltet eine kränkende Zumutung für den Landtag und für den Landesfürsten, ohne dessen Zustimmung das betreffende Gesetz gar nicht abgeändert werden könnte, ein Verdacht, der vom Landtage bei seinem beabsichtigten freiwilligen grossen Entgegenkommen um so unbegründeter empfunden wurde und auch bei S. D. dieses Eindruckes kaum verfehlen dürfte.

Zu den wohl dortigen besonderen Ausführungen wird weiters bemerkt:

Dem Gesetzentwurfe lag die Absicht zu Grunde, den hierländischen Pfarrern ein Gesammteinkommen von 2200 K [Kronen] und den Hilfspriestern ein solches von 1800 K zu sichern. Hiefür ist es irrelevant, welche rechtliche Natur die aus ihrem Seelsorgeramte fliessende Einkünfte besitzen. Die fictio juris, dass die Messstipendien nach dem Kirchenrechte als Elemosynae [3] gelten, und bei Stiftungen dem Rector ecclesiae, nicht aber dem Pfrundinhaber zufallen, ändert an der Tatsache nichts, dass sie dem Seelsorger bestimmte Einnahmen schaffen, mit denen bei Bemessung des Fondzuschusses billigerweise gerechnet werden muss, zugegeben wird, dass sie mit der Pfründe nichts zu schaffen haben. Der Ausdruck „Pfründe“ oder Pfrundeinkommen wird daher im etwaigen künftigen Gesetze durch einen passenden ersetzt werden. Die f. R. müsste übrigens Wert darauf legen, dass im Gesetze jede Unklarheit, welche künftig zu Zweifeln über dessen Auslegung führen könnte, vermieden werden und wäre daher nicht in der Lage, der Umschreibung der Manualmessen als freiwilligen Gaben und der gewünschten Interpretation des § 5 Absatz 4 zuzustimmen. Absicht der f. R. wäre es gewesen, die Einkünfte aus Manualmessen nicht einzurechnen, zumal deren Höhe grösseren Schwankungen unterworfen sein kann. Ob der Landtag hierauf, besonders nach dem erhaltenen Refus, noch einzugehen bereit sein wird, kann heute nicht bestimmt werden, keinesfalls aber kann damit gerechnet werden, dass die Einkünfte aus den Stiftmessen unberücksichtigt bleiben, was durch entsprechende Umtextierung des § 5 Absatz 4 zum Ausdruck gebracht werden müsste.

Gegen den in der wohl dortigen Note wiederholt wiederkehrenden Ausdruck Congrua muss eingewendet werden, dass die Sicherstellung der Congrua sustentatio nach kirchlichen Begriffen nicht Sache des Staates ist und die hiefür nach kanonischem Rechte geltenden Bestimmungen naturgemäss für eine Aktion nicht bindend sind, welcher der Staat zu Gunsten seiner Seelsorger aus freien Stücken einleitet. Wie schon bemerkt, sollten den hierländischen Seelsorgern lediglich gewisse Minimaleinkünfte geboten werden. Um die billige gleichmässige Berücksichtigung aller notleidenden Seelsorger zu erzielen, geht es nicht an, Seelsorger mit gleichen Pfrundeinkommen aber verschiedenen Einkünften aus Stiftsmessen und dergleichen Zuschüsse in derselben Höhe auszurichten, das heisst also die Erträgnisse aus Stiftsmessen oder privaten Stiftungen zur Aufbesserung bestimmender Pfründe ausser Berücksichtigung zu lassen. Wird durch eine Stiftung das Einkommen einer Pfründe über das festgesetzte Mass erhöht, so entfällt für das Land jeder weitere Anlass, dem betreffenden Pfrundinhaber noch einen Fondszuschuss zu gewähren.

Aus diesem Grunde kann der Zusatz zu § 5 al. [alinea] 3 nicht auf eine Annahme zählen.

Die wohl dortigen Ausführungen über die kirchliche Jurisdiktion berücksichtigen nicht die im Fürstentume geltenden Gesetze.

Nach § 51 der Verfassungsurkunde vom 26. September 1862 [4] steht das Kirchengut und das Vermögen der Stiftungen für Religionsanstalten unter dem Schutze der Verfassung; soweit hat der Staat die Pflicht, für dessen entsprechende Vermehrung und Verwaltung zu sorgen.

Im Fürstentum Liechtenstein hat der Bischof auch nicht das Recht, über die Veräusserung, Veränderung etc. der Kirchengüter nach Massgabe des katholischen Kirchenrechtes frei zu verfügen, denn § 53 der citierten Verfassungsurkunde bestimmt, dass über das Vermögen der Kirche und der Stiftungen nur nach den Anordnungen der Stiftungsbriefe und in deren Ermanglung nach deren ursprünglichen Zwecken verfügt werden kann.

Nach § 83 des Gesetzes vom 24. Mai 1864, L.G.Bl. N. 4., [5] ist die Verwaltung des Kirchengutes einem Kirchenrate überwiesen, über dessen Zusammensetzung und Obliegenheiten das Gesetz vom 14. Juli 1870, L.G.Bl. N. 4, handelt. [6] § 7 des Entwurfes sollte die etwas dürftigen Bestimmungen letzteren Gesetzes weiter ausführen. Hiebei sollte in der Erwägung, dass Staat und Kirche hiebei von gleichen Interessen getragen werden und sich somit eine Einigung leicht ergeben würde, dem hochwürdigsten bischöflichen Ordinariat eine Ingerenz auf die Gebarung eingeräumt werden. Es handelte sich somit nicht darum, den Befugnissen des Bischofs etwas zu nehmen, sondern im Gegenteil dem Bischofe resp. dem hochwürdigsten bischöflichen Ordinariat solche einzuräumen.

Ebensowenig sollte der kirchlichen Straf- und Disziplinargewalt über die Geistlichen etwas genommen werden. Es ist jedoch vollkommen ausgeschlossen, dass der Staat seine Strafgewalt den Geistlichen gegenüber nicht zur Geltung bringe und für dieselben einen eigenen Gerichtsstand zulasse. Nach § 4 der Verfassungsurkunde verpflichtet der Aufenthalt innerhalb der Grenzen des Fürstentums zur Beobachtung der Gesetze derselben und nach § 7 sind alle Landesangehörigen vor dem Gesetze gleich.

Die Strafgerichtsbarkeit gehört, soferne nicht einzelne Gesetze dieselbe der f. R. zuweisen, gemäss § 41 der auf Grund des § 28 der Verfassung erlassenen fürstlichen Verordnung vom 30. Mai 1871, L.G.Bl. N 1, [7] in den Wirkungskreis des fürstl. Landgerichtes, der Instanzenzug geht an das fürstl. Appellationsgericht beziehungsweise die fürstl. politische Rekursinstanz. Kein Staat wird heute die Geistlichen lediglich der Aburteilung durch geistliche Gerichte überlassen oder denselben die Überprüfung der Entscheidungen der weltlichen Behörden einräumen.

Dieser moderne Rechtgrundsatz muss nach wie vor auch im Fürstentum Liechtenstein auf recht erhalten bleiben.

Von den verhängten Strafen würde dem hochw. bischöflichen Ordinariat behufs allfälligen weiteren disziplinarer Behandlung der straffälligen Geistlichen Mitteilung gemacht worden.

Im Übrigen möge es der f. R. gestattet sein, zum Gegenstand noch kurz folgendes zu bemerken:

Nach Massgabe der derzeit in Aussicht gestandenen Fondsmittel konnte nur die Aufbesserung der Inhaber der derzeit bestehenden Seelsorge-Pfründen in Aussicht genommen werden.

Gegen die Mitteilung der Rechnungsauszüge würde kein Anstand obwalten, doch fehlt mit dem Wegfallen der wohl dortigen Mitwirkung künftig ein Anlass hiezu.

Die Anzeigefrist für Veränderungen im Einkommen könnte auf Jahresschluss verlegt und die Ausrichtung der Zuschüsse für das abgelaufene Jahr im nachhinein erfolgen.

Die Bestimmung über die Minderung der Zuschüsse bei Seelsorgern, welche nicht die volle Seelsorge ausüben, könnte fallen. Mangels eines Einvernehmens im Allgemeinen würde auch die Pflege des Einvernehmens über die Zuerkennung von ausserordentlichen Zulagen (Alterszulagen) nach § 7 im besonderen unterbleiben müssen.

Aus den dargelegten Gründen war die f. R. zu ihrem lebhaften Bedauern nicht in der Lage, den besprochenen Gesetzentwurf dem Landtage [8] zur Schlussfassung vorzulegen. Er hätte in der vom hochwürdigsten bischöflichen Ordinariat gewünschten, mit dem Staatsrechte unvereinbarlichen Fassung unter keinen Umständen auf Annahme zählen dürfen. [9]

Selbst der Antrag der f. R., den mit der Matrikenführung betrauten Seelsorgern die in Aussicht genommene Vergütung jährliche 120 K zuzuwenden, erhielt jetzt nur 3 Stimmen. [10]

Mit dem Ausdrücken meiner Hochverehrung

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[1] LI LA RE 1916/4510 ad 2169. Reingeschrieben von David Strub am 18.1.1917. Gleichentags erging auch ein Bericht des Landesverwesers Leopold von Imhof an Fürst Johann II. (ebd.).
[2] Vgl. das Schreiben des Churer Bischofs Georg Schmid von Grüneck an die liechtensteinische Regierung vom 15.12.1916 unter LI LA RE 1916/4510 ad 2169. Ebd. findet sich auch der vom bischöflichen Ordinariat überarbeitete Entwurf für ein Gesetz betreffend die Aufbesserung der Bezüge der Seelsorger. – Verschiedene Gesetzentwürfe der Regierung in der Sache liegen unter LI LA RE 1916/ad 2169.
[3] Eleemosynae: Almosen.
[4] LI LA SgRV 1862/5.
[5] das Gemeindegesetz vom 24.4.1864, LGBl. 1864 Nr. 4.
[6] Gesetz vom 4.7.1870 über die Verwaltung des Kirchengutes in den Pfarrgemeinden, LGBl. 1870 Nr. 4.
[7] Fürstliche Verordnung vom 30.5.1871 über die Trennung der Justizpflege von der Administration, LGBl. 1871 Nr. 1.
[8] Der Landtag hatte am 28.12. und am 30.12.1916 sowie am 11.1.1917 getagt.
[9] Vgl. schliesslich das Gesetz vom 4.12.1917 betreffend die Aufbesserung der Bezüge der Seelsorger, LGBl. 1917 Nr. 11.
[10] Vgl. das Gesetz vom 4.12.1917 betreffend die staatliche Matrikenführung, LGBl. 1917 Nr.12.