Ausführungen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern zur internationalen Anerkennung der Souveränität des Fürsten von Liechtenstein sowie des Fürstentums Liechtenstein


Auszug aus einem Memorandum der fürstlich liechtensteinischen Gesandtschaft Bern [1]

1924 

IV. Die Souveränität des Fürsten 

Die Souveränität des regierenden Fürsten [Johann II.] geruht, wie jede Souveränität eines Herrschers, auf der Souveränität seines Landes, also des Fürstentums Liechtenstein.

Die Souveränität des Fürstentums wurde unter dem Fürst[en] Johann I. durch dessen Beitritt zu dem von Napoleon I. gegründeten Rheinbund / Rheinbundakte vom 12. Juni 1806 [2] / begründet. Seither wurde sie durch den Abschluss einer Menge von Staatsverträgen bestätigt. Zu erwähnen sind speziell die Wiener Kongressakte vom 9. Juni 1815 und in neuester Zeit die mit der Schweiz abgeschlossenen Verträge. [3] Im übrigen ist daran zu erinnern, dass der Friedensvertrag von St. Germain in Artikel I des zweiten Teiles als Grenze Österreichs "mit der Schweiz und Liechtenstein die gegenwärtige Grenze" festsetzt. [4] Endlich ist anzuführen die Note des Völkerbundes vom 20. Dezember 1920, No. 28/9460/1017, in welcher derselbe Seiner Durchlaucht dem regierenden Fürsten notifiziert, dass die Völkerbundsversammlung in ihrer Sitzung vom 17. Dezember 1920 dem Ansuchen der fürstlichen Regierung zur Aufnahme in den Völkerbund nicht entsprochen, dass sie aber den Beschluss gefasst habe, die mit der Prüfung auf Abänderungen des Völkerbundvertrages zielende Vorschläge betraute Kommission solle untersuchen, ob und in welcher Form "eine Angliederung jener souveränen Staaten möglich wäre, welche wegen ihrer Kleinheit nicht als ordentliche Mitglieder aufgenommen werden können."

Die Anerkennung der Souveränität des Fürsten selbst ergibt sich beispielsweise aus einem am 7. Dezember 1813 zwischen dem Kaiser von Österreich und dem Fürsten von Liechtenstein abgeschlossenen Vertrag, dessen Art. IV lautet: "Sa Majesté l'Empereur d'Autriche, Roi de Hongrie et de Bohéme garantit à Son Altesse le Prince de Liechtenstein la Souveraineté et ses possessions."

In Anerkennung seiner Souveränität wurden dem regierenden Fürsten von Liechtenstein und seinem Thronfolger auch die Vorrechte der Exterritorialität verliehen und beide von der Gerichtsbarkeit der ordentlichen Gerichte eximiert. Ebenso wurden die in Österreich befindlichen Residenzen des Fürsten in Wien und Eisgrub, welch letztere heute in der Cechoslowakei gelegen ist, als exterritorial erklärt und der fürstliche Marstall von militärischen Beistellungen im Kriegsfalle befreit.

Der Fürst war auch nie österreichischer Staatsangehöriger. Dem österreichischen Herrenhaus gehörte er vielmehr nur als ausländischer Souverän an. In ähnlicher Weise gehörten dem Herrenhaus an, ohne die österreichische Staatsbürgerschaft zu besitzen, der Prinz Philipp von Coburg, der Fürst Porcia, der Fürst Fugger-Babenhausen, der Prinz Wilhelm von Schaumburg-Lippe und der Erzbischof von Breslau. Die Tatsache, dass Ausländer Mitglieder des österreichischen Herrenhauses sein können, wurde vom k.k. österreichischen Ministerium des Innern anlässlich des Ausscheidens des Fürsten Porcia aus dem österreichischen und dessen Eintritt in den ungarischen Staatsverband in einer Entscheidung vom Jahre 1893 wie in einer solchen vom Jahre 1902 festgestellt und ausdrücklich erklärt, dass für die Würde eines österreichischen Herrenhausmitgliedes die österreichische Staatsbürgerschaft nicht Voraussetzung sei. Ebenso sind in anderen Staaten ausländische Souveräne in das Oberhaus einberufen worden, so war z.B. der deutsche Bundesfürst Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha Mitglied des House of Lords.

Die Republik Österreich hat die Souveränität des regierenden Fürsten vollinhaltlich anerkannt und die Exterritorialität seiner auf dem Gebiete der Republik Österreich gelegenen Residenzen zugestanden. Der Bundespräsident der österreichischen Republik hat ferner gleich nach seiner Wahl offiziell den Wunsch ausgedrückt, dem Fürsten von Liechtenstein seinen offiziellen Antrittsbesuch zu machen, wie dies auch unter Beobachtung der bei Begegnung zwischen Staatsoberhäuptern üblichen Formen tatsächlich geschah. ...

 

 

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[1] LI LA RF 179/130/074. Die Dokumente dieser Akte befassen sich mit der Wahrung der liechtensteinischen Selbständigkeit und Souveränität angesichtes des "Anschlusses" Österreichs an Deutschland am 13.3.1938.  
[2] Richtig: 12.7.1806. 
[3] Siehe das Übereinkommen zwischen der Fürstlich Liechtensteinischen Regierung und dem Schweizerischen Bundesrat betreffend die Besorgung des Post-, Telegraphen- und Telephondienstes im Fürstentum Liechtenstein durch die schweizerische Postverwaltung und schweizerische Telegraphen- und Telephonverwaltung vom 10.11.1921, LGBl. 1922 Nr. 8, sowie den Vertrag zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet vom 29.3.1923, LGBl. 1923 Nr. 24.
[4] Siehe Art. 27 des Staatsvertrages von St-Germain-en-Laye vom 10.9.1919, öst. Staatsgesetzblatt 1920/303.