Die Maristen-Schulbrüder verteidigen ihre Tätigkeit in Liechtenstein


Schreiben des Vorstands des Collegiums Marianum, gez. Direktor Augustin Knapp, an die Regierung [1]

18.1.1940, Vaduz

Betreff: Collegium Marianum in Vaduz

Der Leitung obengenannten Institutes ist gerüchteweise Nachstehendes zu Ohren gekommen:

  1. Ein Akademikerverband des Landes Liechtenstein habe sich gebildet, der die akademischen Interessen des Landes Liechtenstein und seiner Bevölkerung zu vertreten habe.
  2. Dieser Akademikerverband habe sich ein Kampfziel zu eigen gemacht, nämlich, gegen obige Schule zwecks Vernichtung vorzugehen.
  3. Zur Erreichung dieses Kampfzieles habe der Verband bereits die Regierung angeschrieben und von dieser gefordert: [2]
    a) Die Fürstliche Regierung habe mitzuwirken, dass das ausländische Collegium Marianum seine Tätigkeit in einen anderen Staat verlege,
    b) das Collegium Marianum müsse die Verpflichtung eingehen, keine Liechtensteinischen Schüler in die Schule aufzunehmen und da
    c) die Realschulen des Landes durch das Collegium Marianum in der Existenz bedroht seien, solle der Landesschulrat demgemässe Bestimmungen erlassen.

Der Vorstand der Schule und des Collegium Marianum erlaubt sich daher an die hohe Fürstliche Regierung die sehr ergebene Anfrage zu richten:

  1. Ob es wahr ist, dass überhaupt ein solcher Verband besteht?
  2. Ob gegebenenfalls die hohe Fürstliche Regierung geneigt ist, das Collegium Marianum zu hören?

Vorsorglich wird in dieser Sache, d.i. gegen die bereits stark verbreiteten Gerüchte, kurz folgendes vorgetragen:

I.

Wenn der Akademikerverband durch ein solches fast unglaubliches Vorgehen wirklich einen diesbezüglichen Schriftsatz an die hohe Regierung gerichtet haben sollte, so erblickt der Vorstand des Collegium Marianum darin in erster Linie eine Vertreibungsaktion wie sie der Orden in Deutschland und in Österreich vor noch nicht allzulanger Zeit in sehr starker Erschütterung erlebt u. mitgemacht hat. Wir unterlassen es, hier an dieser Stelle mit ergreifenden u. tragischen Tatsachen aufzuwarten; denn jedem aufrechten Menschenfreund ist das himmelschreiende Unrecht bekannt, das die Hölle des Hasses mit dem Mittel der "Staatsgewalt" anrichtete. Dass wir, Verjagte, versucht haben, das tiefe, heimliche Leid kraftvoll zu tragen, dazu verhalfen uns die Flammenzeichen unserer durchaus ehrlichen u. religiösen Gesinnung. Wir haben zu der charakterlosen Gewalttat nicht geschwiegen; wir stellten uns mannhaft in Wort u. Tat freimütig auf den Boden des heiligsten Rechtes u. der Verträge. Doch die parteiamtliche Gewalt hatte die Zertrümmerung der rel. Institutionen leidenschaftlich durchzuführen. Die Verjagung war das flagrante Endergebnis.

Es wäre wohl ein merkwürdiges Charakteristikum eines Akademikerverbandes, wenn er als Ziel die Vernichtung von Kulturstätten im Auge hätte, oder doch wenigstens mit einem zersetzenden Einfluss vergiften wollte; das Wort "Ausländer" ist nur ein Schlagwort-Vorzeichen.

Hohe Fürstliche Regierung!

Sie und das liebe Volk vom gastfreundlichen Lande Liechtenstein, haben uns Vertriebenen bisher so viel Liebe und ehrliches Entgegenkommen gezeigt, dass wir nicht zu glauben vermögen, dass eine Akademikerforderung überhaupt eine Berechtigung hat. Es wäre ein sinnloses Dreinschlagen; denn weiter unten wollen wir Tatsachen reden lassen.

Unsere Schule stiess zur Zeit der Gründung bei der hohen Fürstlichen Regierung und beim Volke auf volle Resonanz. Darum ist uns unsere Schule heilig und mit Nachdruck dürfen wir die bestimmte Hoffnung hegen, dass Sie an Hand unserer Darlegungen dem Akademikerverband die Unhaltbarkeit seiner Befürchtungen mit der ausschlaggebenden Wahrheit zu beweisen und seine falschen Gedankengänge zu widerlegen vermögen.

Als wir von diesem Akademikergerücht hörten, schrillte wohl ein Augenblick lang tiefes Weh durch die Seele. Dieser Schriftsatz ist das Ergebnis. Wir wissen, dass Sie volles Verständnis haben werden und deswegen dürfen wir auch auf eine entsprechende Würdigung dieser Ausführungen zählen.

II.

Statistisches. Das Schuljahr 1939/40 am Collegium Marianum wies zu Beginn des Schuljahres 1939/40

in der1. Klasse RG [Realgymnasium]20 
"2. "13 
"3. "14 
"4. "6 
"5. "12 
 d.i.65 
 u. mit den9Schülern der Handelsabteilung
 insgesamt74Schüler auf.

Im Laufe des Jahres gingen 8 Schüler wieder ab u. ebensoviele kamen wieder neu hinzu, so dass der Schülerstand 74 beträgt.

Nach den Nationalitäten zusammengestellt ergibt sich folgendes Bild:

Nationalitäten:

1. Klasse:Liechtensteiner15 
 Schweizer3 
 Deutsche2 
 Österreicher2 
  22Schüler, darunter 7 Ausländer
2. Klasse:Liechtensteiner5 
 Schweizer1 
 Deutsche6 
 Österreicher1 
  13Schüler, darunter 8 Ausländer
3. Klasse:Liechtensteiner6 
 Schweizer0 
 Deutsche6 
 Österreicher0 
 Böhmen1 
 Tschecho-Sl.1 
  14Schüler, darunter 8 Ausländer
4. Klasse:Liechtensteiner3 
 Schweizer1 
 Deutsche4 
 Österreicher1 
  9Schüler, darunter 6 Ausländer
5. Klasse:Liechtensteiner9 
 Schweizer2 
 Deutsche2 
  13Schüler
  3Franzosen an der Schule
  16Schüler, darunter 7 Ausländer

Wegen Ausbruch des Krieges blieben 16 angemeldete Ausländer fern.

Gesamtaufstellung:1. Kl.22  
 2. Kl.13  
 3. Kl.14  
 4. Kl.9  
 5. Kl.16  
  74Liechtensteiner:38
   Ausländer:36

Wären die 16 Ausländer gekommen, so würde sich die Ausländerschülerzahl heute auf 52 Ausländer beziffern.

Zu bemerken ist, dass die abgegangenen u. neu hinzugekommenen Schüler hierbei berücksichtigt sind. Es handelt sich ja um das Schuljahr.

Die Handelsabteilung kann hier nicht mitgerechnet werden, da sie nicht Vollschüler sind; sie bleiben nur ein Jahr lang und wollen sich nur einiges kaufmännisches und sprachliches Wissen aneignen, so wie sie es im täglichen Leben brauchen.

Der am 1. Sept. 1939 ausgebrochene Krieg hat uns die bereits fest angemeldeten Schüler aus dem Ausland ferngehalten.

AusFrankreich waren angemeldet8Schüler
"England1"
"Ungarn1"
"Holland1"
"der frz. Schweiz5"
  16Schüler

Am 5. Sept. 1939 wären somit an unserer Schule 52 Ausländer u. 38 Liechtensteiner gewesen.

Von den derzeitigen Liechtensteinischen Schülern sind von ausländischen Schulen bei uns aufgenommen worden:

AusFeldkirch1. Klasse:1Schüler
""4. "1"
""5. "5"
"Mörschwil5. "1"
"Schwyz5. "1"
"Mehrerau5. "1"
"FeldkirchH. Abtlg.1"
"Mörschwil"1"
Insges. aus dem Ausland:12Schüler.

Rechnen wir diese 12 Schüler noch von der Anstalt ab, dann bleiben von den 38 Liechtensteinern noch 26 übrig.

III.

Wirtschaftliches. Es sei uns bei dieser Gelegenheit auch gestattet, der hohen Fürstlichen Regierung noch einen überschlagsmässigen Einblick in unsere Betriebswirtschaft zu geben. Schliesslich kam durch die Ausländer auch Geld ins Land und durch unsere Anstalt auch ins Volk. Unsere finanziellen Abwicklungen liegen fast ausschliesslich im Lande Liechtenstein selbst.

Vom 1. September 1937 bis zum 1. September 1939 sind an Einnahmen gebucht

 52'768.56sfr.
Davon stiftete der Orden14'629.35"
Die Ausländer (Schüler) an Pension etc.   7265.- "
Insgesamt also Geld vom Ausland: Sa [Summa] =21'894.35sfr.

Von den 52'768.56 sfr. flossen ins Land Liechtenstein

1.für Lebensmittel aller Art14'671.15sfr.
2.für Licht und Brand (Licht: 1008.80)   4838.75"
3.

für Schulmöbel, -einrichtungen, Hauslasten, Schlosser, Schreiner, Maurer etc.
also f. das L.'st. Gewerbe

27'588.42"
4.für persönl. Bedürfnisse des Conventes   3138.64"
 Es blieb ein Kassabestand   2531.60"
 Sa=52'768.56sfr.

An das Ausland gingen nur ganz kleine Beträge für Bücher u. diese gingen auch wieder durch die hiesige Buchhandlung Feger. [3] Ein Betrag von 495.30 sfr. musste in die Schweiz abgeführt werden für chem. Appar. Die 154 verschiedenen Chemikalien lieferte die hiesige St. Franzisk.-Apotheke und die jetzt für Ostern 1940 anzuschaffenden 10 Schulbänke sind – obwohl wir von Schweiz. Fabrikvertretern überlaufen werden – an einen hiesigen Schreiner bereits am 8. Jan. 1940 vergeben worden.

IV.

Beziehungen zum Ausland. Sofort nach der Niederlassungsbewilligung durch die hohe Fürstl. Regierung u. der Diözese Chur, [4] nahm Unterzeichneter persönlich Beziehungen auf

  1. Mit England. (Zusammenkunft mit dem engl. Provinzial der Maristen u. mit seinem ersten Direktor. Juli 1937, München.)
  2. Mit Italien u. Frankreich. (Zusammenkunft mit dem Generalprokurator der Kongregation u. dem Provinzial aus Frankreich. Juli 1937, Vaduz.)
  3. Mit Argentinien. (Provinzial des dortigen Distriktes.)
  4. Mit den Ländern: Schweiz, Holland, Dänemark, Belgien, Frankreich, England, Italien, Ungarn, Spanien u. den meisten überseeischen Gebieten, durch briefl. Verkehr.

Im übrigen darf verwiesen werden auf die 8000 Mitglieder des Ordens, der in der ganzen Welt verbreitet ist u. über 150'000 Schüler unterrichtet. In allen Weltteilen ist durch das Collegium Marianum das Fürstentum Liechtenstein bekannt geworden. Dies geschah besonders durch das Bulletin de l'institut, das mehrere Artikel und Photos vom Lande brachte und das vom Mutterhaus in Italien aus in alle Weltteile, wo unsere Niederlassungen sind, verschickt wird. Dazu kommt noch der persönliche Besuch der Obern. Der General-Assistent, der für uns zuständig ist, der wiederholt bei uns weilte (es gibt 8 General-Assistenten), hat begeisterte Stimmung vom schönen Lande Liechtenstein mitgenommen u. bereiste Belgien, Frankreich, Holland, Dänemark und befindet sich zur Zeit im Kongostaat. So wird auch in der letzten Negerhütte vom Fürstentum Liechtenstein die Rede sein.

Es wäre noch interessant festzustellen, mit welchen Quoten das Collegium Marianum an dem Liechtensteinischen Fremdenverkehr sich beteiligt. Es sei nur hingewiesen auf die Besuche der Eltern der ausländischen Schüler und auf die ausländischen Familien, die im Sinne hatten uns ihr Kind anzuvertrauen; sie waren fast samt u. sonders hier u. wären immer wieder gekommen, wenn der Krieg ihnen nicht ein Hindernis in den Weg gelegt hätte.

Schlusswort. Vorstehende Feststellungen unserer Betätigungen haben in keiner Weise auch nur einem einzigen der Herren vom Akademikerverband etwas geschadet oder einen der Herren im geringsten belästigt bezw. unentgeltlich in Anspruch genommen. Wohl aber konnte all das Schöne u. Herrliche geleistet werden durch das gütige Wohlwollen u. geneigte Entgegenkommen der hohen fstl. Regierung mit dem biederen u. gastfreundlichen Volke des Landes Liechtenstein. Wir dürfen Ihnen heute auch ganz offen sagen, dass wir persönliche Opfer nie gescheut haben, auch unter Verzichtleistung des Allernotwendigsten bes. im Anfang unserer Neugründung. Als Beleg diene zur Kenntnis, dass ein einfacher Bürger, wohnhaft in Vaduz, uns in der grössten Not 2000.- sfr. lieh. Und was der Convent an Geld verdient, kann nach den Feststellungen als sehr bescheiden angesprochen werden. Gegebenenfalls könnte sogar auch darüber ein Auszug vorgelegt werden.

Hohe Fürstliche Regierung! Seit dem Jahre 1937 wird in aller Welt durch unseren bescheidenen Beitrag ein hohes Lied vom braven Volke Liechtenstein, seiner Regierung u. dem Fürstenhause hinausgetragen und dieses Lied hat einen guten Klang. Wenn sie nun den Akademikerverband daneben aufmarschieren lassen, kann er ähnliches melden? Will sich der ritterliche Gegner weiterhin so grobe Schläge erlauben? Das Collegium Marianum wollte tatsächlich als Kulturträger gelten. Dass die Bevölkerung Liechtensteins bis heute dem Collegium Marianum grösstes Vertrauen entgegenbringt, bezeugt das stets ausserordentlich freundliche Verhalten uns gegenüber. Es müsste uns sehr weh tun, wenn wir die Kinder dieser guten Bevölkerung von der Anstalt fortweisen sollten. Die Forderungen der Gerechtigkeit u. der Liebe könnten wir schwerlich rechtfertigen; denn wir sind vor allem auf ein gutes Verhältnis mit dem Volke angewiesen. Verbergen sich hinter den Forderungen des Akademikerverbandes nicht dunkle Gründe? Es wäre eine sträfliche Handlung unsererseits, talentierte Knaben abzuweisen u. damit den Eltern die harte Sorge des Pensionsgeldes für ein ausländisches Pensionat aufzubürden. U. E. darf auch das Land Liechtenstein auf eine gute Schulbildung seiner Kinder bedacht sein; denn wenn ein Land keine Gebildeten hat, geht es den Todesweg.

Aus dem Gesagten erhellt deutlich, dass wir bisher peinlichst bestrebt waren eine gute Schule zu führen, dem Lande und dem Staate zu nützen und ruhig u. still den vorgezeichneten Weg der oft harten Pflicht zu gehen.

Wenn wir nun um Würdigung unserer Betätigung und um weiteres gütiges Wohlwollen der hohen Fürstlichen Regierung bitten, so darf als ausschlaggebend in bestimmte Erwägung gezogen werden, die persönliche, hingebende u. gewissenhafte Arbeit zur Zufriedenheit des Staates und des Landes.

Wir sehen der Erledigung dieser Angelegenheit mit begreiflichem Interesse entgegen. [5]

Genehmigen Sie den Ausdruck unserer vorzüglichen Hochachtung! 

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[1] LI LA RF 195/415/001/009-016.
[2] Tatsächlich forderte der Akademikerverband die Schliessung des Collegium Marianum (LI LA RF 195/415/001/006-008).
[3] Verm. die Buchhandlung von Siegfried Feger. Eine Konzession zum Handel mit Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und Ansichtskarten besass auch sein Bruder Julius Feger.
[4] LI LA RF 172/154/008.
[5] Die Regierung sandte eine Abschrift des Schreibens an den Akademikerverband, der am 26.1. 1940 dazu Stellung nahm (LI LA RF 195/415/001/022-024). In den gleichen Tagen setzten sich die Gemeindevorstehung Vaduz sowie zahlreiche Privatpersonen für das Collegium Marianum ein (LI LA RF 195/415/001/019). Die Regierung unternahm in der Folge offenbar keiner weiteren Schritte in dieser Angelegenheit (LI LA RF 195/415/001/026).