Die Schweiz und Liechtenstein schliessen eine Vereinbarung über den Grenzübertritt


Abschrift eines Vertragsentwurfes zwischen dem Schweizer Bundesrat und der liechtensteinischen Regierung, nicht gez. [1]

o.D. (Ende September 1939)

Vereinbarung zwischen der Schweiz und Liechtenstein über Ein- und Ausreise über die Grenzen des Fürstentums Liechtenstein

Der schweizerische Bundesrat und die Fürstlich-Liechtensteinische Regierung haben,

in Anbetracht der durch die schweizerische Kriegsmobilmachung und die allgemeine Einführung des Visums veränderten Verhältnisse, [2]

gestützt auf Art. 42 des Vertrages vom 29. März 1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet, [3] und

in Abänderung von Art 33, Abs. 1, dieses Vertrages, [4]

über die Ein- und Ausreise über die Grenzen des Fürstentums Liechtenstein die nachstehende Vereinbarung getroffen:

Art. 1

Einreise über die liechtensteinisch-deutsche Grenze:

  1. Liechtensteiner können mit Pass oder andern die Staatsangehörigkeit erweisenden Papieren einreisen. Im Zweifelsfalle sollen die Grenzorgane die Fürstliche Regierung über die Staatsangehörigkeit anfragen. 
  2. Schweizer müssen sich mit Pass oder sonst zuverlässig als solche ausweisen.
  3. Andere Ausländer bedürfen zum Passieren der liechtensteinisch-deutschen Grenze, auch im Transit Feldkirch-Buchs, des Visums eines schweizerischen Konsulates, nicht aber eines liechtensteinischen Visums. – Im Fürstentum Liechtenstein ansässige Ausländer können über die liechtensteinisch-deutsche Grenze mit einem von der Fürstlichen Regierung ausgestellten Rückreisevisum wieder einreisen. – Die Fürstliche Regierung regelt den kleinen Grenzverkehr mit Vorarlberg in Anlehnung an die schweizerischen Vorschriften.

Art. 2

Ausreise über die liechtensteinisch-schweizerische Grenze:

Zum Grenzübertritt in die Schweiz ist erforderlich:

Für Kinder bis zu 10 Jahren: Kein Ausweis;

für Jugendliche von 10–16 Jahren: Legitimationskarte, ohne Photographie;

für die übrigen Personen gilt folgende Regelung:

  1. Liechtensteiner: Diese können mit Pass oder Legitimationskarte die Grenze ohne weiteres passieren, sofern ihnen nicht das Betreten der Schweiz durch besondere Verfügung (Ausweisung, Einreisesperre und dergl.) verboten ist. – Vorbehalten bleiben die schweizerischen Vorschriften über Anmeldung und Aufenthaltsregelung in der Schweiz sowie die von der Armee verfügten Verkehrsbeschränkungen.
  2. Die in Liechtenstein ansässigen Schweizer müssen sich mit einer liechtensteinischen Legitimationskarte oder mit dem Pass ausweisen.
  3. Andere Ausländer, die im Fürstentum Liechtenstein ansässig sind, können die liechtensteinisch-schweizerische Grenze im kleinen Grenzverkehr mit der Legitimationskarte passieren, zum Überschreiten der Linie Salez, Buchs, Sevelen (unter Einschluss dieser drei Ortschaften) sind sie jedoch nur berechtigt, wen sie ein von der eidgenössischen Fremdenpolizei in Bern erteilten Visum besitzen.
  4. Schweizer und Liechtensteiner, die im Ausflugs-, Besuchs- oder Geschäftsverkehr aus der Schweiz nach Liechtenstein gehen, können auf der Rückkehr die Grenze mit einem Pass oder einem andern die Staatsangehörigkeit erweisenden, mit Photographie versehenen Ausweis passieren. Die Passierstellen können ihnen persönlich bekannten Schweizern und Liechtensteinern zur Rückkehr am gleichen Tag berechtigende Rückpassierscheine ausstellen. Rückpassierscheine für längere Zeit, mit Photographie versehen, werden von einer Stelle ausgegeben, deren Bezeichnung vorbehalten bleibt.
    Drittausländer bedürfen zur Rückkehr im Ausflugs-, Besuchs- oder Geschäftsverkehr des Passes oder des mit der Photographie versehenen Ausländerausweises sowie eines Rückpassierscheines.
  5. Die Fürstlich-Liechtensteinische Regierung wird der zuständigen Stelle der schweizerischen Armee von jeder einem Drittausländer ausgestellten Legitimationskarte und deren Angaben Mitteilung machen.

Art. 3

Legitimationskarten

Es werden zweierlei Legitimationskarten ausgegeben und zwar:

  1. für Liechtensteiner und in Liechtenstein wohnhafte Schweizer in blauer Farbe, 
  2. für Ausländer in gelber Farbe.

Die Legitimationskarten haben zu enthalten:

  1. Staatsangehörigkeit,
  2. Heimatgemeinde,
  3. Wohngemeinde,
  4. Name und Vorname,
  5. Geburtsdatum,
  6. Beruf,
  7. Photographie (wenn mehr als 16 Jahre alt),
  8. Unterschrift des Inhabers,
  9. Unterschrift und Stempel der ausstellenden Behörde.

Bei Ausländern hat die Legitimationskarte weiter zu enthalten:

  1. Bezeichnung der bei der liechtensteinischen Polizei hinterlegten Ausweispapiere (Pass, Heimatschein oder dergl.),
  2. Agabe der Dauer des Aufenthaltes in Liechtenstein und Gültigkeitsdauer der Bewilligung,
  3. „Gültig nur für die Zone des kleinen Grenzverkehrs: Salez, Buchs, Sevelen, unter Einschluss dieser Ortschaften".

Die Legitimationskarten werden für Liechtensteiner und Schweizer von den Vorstehungen der Wohngemeinden, für Ausländer von Sicherheitscorps in Vaduz ausgestellt.

Art. 4

Legitimationskarten, Passierscheine und Visa sind jederzeit widerruflich.

Art. 5

Diese Vereinbarunbg tritt mit dem 2. Oktober 1939 in Kraft.

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[1] LI LA RF 193/056/001/031. Das Eidgenössische Politische Departement teilte der liechtensteinischen Regierung am 28.9.1939 mit, dass der Vereinbarungsentwurf am 22. des Monats vom Schweizer Bundesrat genehmigt worden sei. Die Regierung bestätigte am 29.9.1939 den Empfang dieses Schreibens und erklärte, sie habe alle Vorkehrungen getroffen, um die reibungslose Durchführung der Vereinbarung zu erreichen (LI LA RF 193/056/001/044, vgl. auch LI LA RF 193/056/001/047). Die Vereinbarung wurde nicht im Liechtensteinischen Landesgesetzblatt publiziert. Siehe jedoch den Abdruck der Vereinbarung im "Werdenberger & Obertoggenburger" (Buchs) vom 4.10.1939, S. 1.  
[2] Die Schweiz verbot wegen der militärischen Grenzbesetzung ab dem 1.9.1939 den Grenzübertritt in die Schweiz für Ausländer, ab dem 2.9.1939 auch für Liechtensteiner. Am 5.9.1939 verfügte dann der Schweizer Bundesrat die Visumspflicht für alle Ausländer einschliesslich der Liechtensteiner.  
[3] LGBl. 1923 Nr. 24. Nach Art. 42 des Zollvertrages können Vertragsänderungen im gegenseitigen Einvernehmen auch ohne formelle Kündigung vereinbart werden.   
[4] Gemäss Art. 33 Abs. 1 des Zollvertrages erklärt sich die Schweiz bereit, auf die Ausübung der fremdenpolizeilichen Grenzkontrolle an der liechtensteinisch-schweizerischen Grenze zu verzichten, sofern und solange das Fürstentum dafür Sorge trägt, dass die Umgehung schweizerischer Vorschriften über Fremdenpolizei, Niederlassung, Aufenthalt usw. vermieden wird.