Konstitutionelle Übergangsbestimmungen (provisorische Verfassung)


Konstitutionelle Übergangsbestimmungen[1]

vom 7. März 1849

Wenn ich über den am 2ten October vorigen Jahres durch den Verfassungsausschuß einbegleiteten Entwurf einer Verfassung für das Fürstenthum Liechtenstein mich nicht früher geäussert habe, darüber auch heute noch nicht erschöpfend erledige, so trägt daran nicht Mangel an Uiberzeugung Schuld, daß es für das Fürstenthum wünschenswerth sei, dessen Zukunft durch Verfassungsgesetze geordnet, wo möglich gesichert zu sehen, noch weniger aber Gleichgültigkeit gegen das Wohl des mir anvertrauten Landes; auch verzögerten die Ereignisse zu Wien zwar die Vorlage und traten daher einer vorläufigen Erledigung über die Einbegleitung und den Entwurf gleich bei Einlangen desselben in den Weg, die wahre Ursache der bisherigen Zögerung lag aber in den noch schwankenden Verhältnissen Deutschlands, nachdem ich im Sinne des § 1 des Entwurfes von der Uiberzeugung ausgehe, daß das Fürstenthum nur in dem deutschen Reichsverbande seine selbständige Stellung wahren kann. - Wie das Band geknüpft werden wird, welches auf die Verfassung des Fürstenthumes einen wesentlichen Einfluß ausüben muß, ist aber gegenwärtig, da noch die wenigsten Beschlüsse der Versammlung zu Frankfurt als feststehend anzusehen sind, um so schwerer bestimmt vorauszusagen, als die Feststellung der Beziehung Oesterreich’s zu den übrigen deutschen Landen noch entfernt scheint und selbe doch für Liechtenstein von der größten Wichtigkeit ist.

Je mehr nun der Verfassungsentwurf sich nicht allein auf wesentliche Grundzüge beschränkt, sondern vielfach der Zukunft vorgreift, desto schwerer erscheinet es, bei so schwankenden Verhältnissen Verfassungsgesetze festzustellen. -

Wenn auch eine solche Feststellung eher ausführbar wäre, wenn sich nur an das Wesentliche gehalten und von späteren, verfassungsmässig zu berathenden und erlassenden Gesetzen manche jener Bestimmungen erwartet würden, welche im Entwurfe Platz gefunden haben; so habe ich doch bei der obig geschilderten Sachenlage Bedenken getragen, mich gegenwärtig in eine vollständige Beleuchtung des Entwurfes und eine Sonderung jener §§ einzulassen, mit welchen ich vollkommen einverstanden bin, von jenen, gegen die mir entweder an und für sich Bedenken obzuwalten scheinen oder an deren Stelle später zu erlassende Gesetze zu treten hätten.

Meine reifliche, gewissenhaft von lebhaftem Antheile an dem Gedeihen des Landes beseelte Prüfung und sonach Erwägung soll gleichen Schritt halten mit jenen Feststellungen zu Frankfurt, die auf die Zukunft des Landes, dem die Verfassung gegeben werden soll, von so wesentlichem Einflusse seyn werden.

Das Fürstenthum kann dem ungeachtet schon in den Besitz der werthvollsten Güter eines constitutionellen Staates treten im Sinne der Entwurfes-Paragraphe l, 2, 3, 4, 5, 9, 15, 34, 35, 52, 65, 84, 85, 87, 91, 103 - zu welchen ich im Wesentlichen meine volle Zustimmung hiermit gern und ohne Rückhalt ausspreche.

So wie ich in nachfolgenden Bestimmungen den Wünschen und Bedürfnissen des Landes, wie sie der Verfassungsausschuß in obigen §§ ausgesprochen hat, möglichst und noch vor Feststellung des Verfassungs-Statuts entgegenzukommen bemüht bin, so werde ich den oft erwähnten Entwurf auch zu Rathe ziehen, damit, wo es Not tut, nicht gezögert werde, noch mehreres in anderen §§ Angedeutetes bald in’s Leben treten zu lassen. –

Uibergangs-Bestimmungen
für das constitutionelle Fürstenthum Liechtenstein

1. Damit im Sinne meiner rechtsverbindlichen Zusicherung vom 7ten April vorigen Jahres bei dem Finanz- sowie bei anderen zu erlassenden Gesetzen die Mitwirkung frei gewählter Volksvertreter stattfinden könne, von deren Zustimmung hiermit die Gültigkeit eines solchen Gesetzes für die Zukunft abhängig ist, bewillige ich und befehle bei der Dringlichkeit mehrerer Gegenstände die unverzügliche Zusammenberufung eines Landrathes, wie ihn der Verfassungsentwurf im § 66 beantragt.

2. Die Wahl der Mitglieder desselben hat für diesmal nach den mir gleichzeitig mit dem Entwurfe unterbreiteten provisorischen Wahlordnungsbestimmungen stattzufinden und hat nur für den unwahrscheinlichen Fall auf ein Jahr zu gelten, als nicht früher ein feststehendes Verfassungsstatut erlassen worden seyn sollte.

Um allen Bedenken zuvorzukommen, wie sie auch in dem Protokoll vom 6ten September vorigen Jahres für die Gemeinden Ruggell und Gamperin ausgesprochen wurden und wie sie selbst dem engeren Verfassungsausschuße nicht fremd scheinen, hat jedoch, ohne Consequenz für die Zukunft, jene Bestimmung hinwegzubleiben, nach welcher die Wahl von den ehemaligen Grafschaften Vaduz und Schellenberg getheilt ausgeübt werden soll.

Es werden dem zu Folge alle Gemeinden gleichmässig 24 Namen in der Vorwahl zu bestimmen haben, die eigentliche Wahl wird aber nur in einer Landesgemeinde stattfinden; welche, sobald die Namen der 24 gewählten Landräthe bekannt seyn werden, in gleicher Art unmittelbar zur Wahl der 8 Ersatzmänner schreiten wird. -

3. Mein Landesverweser wird nach Einvernehmen der Gemeinden den Versammlungsort, Tag und Stunde der Landesgemeinde zu bestimmen haben.

4. Die §§ 39, 65 bis 71, dann 76 bis 79, die §§ 82, 84, 85, 87 bis 89, endlich 91 haben unvorgreiflich künftiger Verfassungsbestimmungen für gegenwärtigen vorbereitenden Landtag zu gelten, zu welchem die neugewählten Landräthe den nächsten Montag nach ordnungsmäßig vollendeter Wahl zusammentreten werden.

5. Die im Zusammenhange stehenden §§ 80 und 81 des Entwurfes können auf den bevorstehenden Uibergangslandtag darum keine Anwendung finden, weil notwendigerweise nur solche 3 Berathungen und Beschlüsse gemeint sein dürften, welche in 3 nacheinander folgenden Jahressitzungen oder Landtagen erfolgten; was aber das Recht betrifft, nicht nur über die Annahme oder Verwerfung von Regierungsvorschlägen zu beraten und zu beschließen, sondern auch, unvorgreiflich meiner Sanction, insolange verfassungsmässig nicht anderes bestimmt ist, über Zusätze und Veränderungen zu den Regierungsvorschlägen, so wie über die von einzelnen Landräthen eingebrachten Anträgen Beschlüße zu fassen, so ist selbes schon diesem Uibergangslandtag zuerkannt.

6. Insoferne die dem Landrathe zu machenden Vorlagen bei Versammlung desselben noch nicht vorbereitet seyn sollten, obschon für jene im § 85 des Entwurfes vorgesehene unmittelbar an’s Werk gegangen wird, hätte eine kurze Unterbrechung der Sitzung nach Einvernehmen mit dem Landesverweser durch den Landrathsvorstand verfügt zu werden, sobald die innere Constituirung des Landtages erfolgt seyn und er über die Regeln seiner Geschäftsordnung beschlossen so wie aus seiner Mitte die im § 66 des Entwurfes berührten Wahlen getroffen haben wird. -

7. Obschon ich mir vorbehalten muß, den Landrath auf mir notwendig scheinende Änderungen oder Zusätze hinzuweisen; so ist doch der Landrath als constituirt, die Geschäftsordnung als provisorisch geltend anzusehen, sobald dies der Landrathsvorstand erklärt und hierzu der diesfalls mich eigens vertretende Landesverweser die, nur bei einer sich durch Unregelmässigkeit klar ergebenden Nullität einer Wahl oder Verhandlung zurückzuhaltende, Zustimmung erteilt haben wird.

8. Mit dieser Constituirung tritt die Auflösung des engeren sowohl als des weiteren Verfassungsausschußes ein. Der Wahl der dermaligen Ausschußmänner in den Landrath steht nichts im Wege: Ich glaube zugleich für Fürst und Land den wohlverdienten Dank für ihre gewissenhafte und einsichtsvolle Mühewaltung aussprechen zu sollen.

9tens Ohne den freyen Berathungen des Landrathes vorgreifen zu wollen, glaube ich wiederholt auf den § l des Verfassungsentwurfes hinweisen zu müssen: spricht dieser so wie meine auch des Landes Uiberzeugung aus, daß das Fürstenthum als solches und überhaupt selbstständig nur im Deutschen Reichsverbande denkbar ist; so wird der Gedanke nicht Wurzel fassen können, als dürfe mit Erfüllung der Bundespflichten gesäumt werden und der Landrath wird es als eine dringliche Nothwendigkeit ansehen, daß hierzu möglichst bald die Mittel geschafft werden, damit dem Lande sonst noch grösser erwachsende Last erspart werde.

10. Nebst jenen Vorlagen, die auf den eigenen inneren Haushalt des Landes Bezug haben, wird somit eifrigst zu berathen seyn, wie den Bundespflichten jeder Art nachgekommen werden soll und somit auch Folge den Erlässen der gegenwärtigen Zentralgewalt zu geben ist. - Bei Beratung, wie die Beseitigung bisheriger Ungleichheit in der Stellung der Staatsbürger im Fürstenthume anzubahnen ist, wird das, was von den Beschlüssen der deutschen Nationalversammlung für alle deutschen Staatsbürger zum Gesetze erwachsen sollte, maßgebend seyn. - Im Sinne dieser Beschlüsse, des § 19 des mehrerwähnten Verfassungsentwurfes und des Punktes 14 meines Erlasses vom 7ten April vorigen Jahres wird auch ernstlich ein Entschädigungsgesetz zu berathen seyn, damit nicht allein Fürsorge getroffen werde, wo sie im Interesse des Landes und seiner Bewohner und Anstalten selbst ist, aber sich auch der Rechtssinn des Landes ehrenvoll beurkunde und gleichzeitig für immer jene Natural- oder anderen Bodenlasten beseitiget werden, die dem Wohlstande des Landes im Wege stehen könnten.

Indem wir Gott dem Allmächtigen unseren Dank aussprechen, daß Er vor so manigfachem Unglücke, welches über so viele andere Gegenden und Länder im Laufe dieser letzten 12 Monate gekommen ist, dieses Fürstenthum gnädigst bewahret hat, wollen wir Ihn bitten, daß Er fortan Fürst, Volk und die es leiten und vertreten erleuchte, auf daß der Uibergang zur neuen Zeit ein segenbringender seyn möge.

Schloss Felsberg, 7. März 1849

Alois Fürst Liechtenstein

Gegengezeichnet Menzinger, Landesverweser

Josef von Buschmann

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[1] LI LA RC 100/4. Handschriftliches Original.  Aufgehoben durch den sog.Reaktionserlass vom 20 Juli 1852.