Landesverweser Karl von In der Maur wird im Landtag wegen seiner Haltung zum Lawenawerkprojekt scharf angegriffen


Handschriftliches Protokoll der Landtagssitzung, gez. Schriftführer Alfons Feger und Emil Wolfinger [1]

4.12.1913

Bevor in die 2. Lesung des Landesvoranschlages eingetreten wurde, brachte Abg. [Friedrich] Walser folgende Äusserungen zur Verlesung: [2] Die Stellung des Herrn Reg.chefs [Karl von In der Maur] zum Lawena-Wasserkraft-Projekt steht im Widerspruche mit dem vorjährigen Landtagsbeschlusse [3] und mit der Ansicht des grössten Teiles unserer Bevölkerung. Die fstl. Regierung hat die Verhandlungen mit der Gemeinde Triesen nicht zum Abschlusse gebracht und dem Landesausschusse davon keine Mitteilung gemacht, dass die Ausführung des Projektes in Auftrag gegeben wurde. Auf die Interpellation in der letzten Sitzung haben wir den Rat bekommen, die Ausführung des geplanten Werkes dem Privatkapital zu überlassen und mit dem Feldkircher Stadtwerke abzuschliessen. [4] Diese Ratschläge bekommen wir, bevor uns ein Projekt oder eine Berechnung für dieses Werk vorgelegt wird.

Im Landtage wurde letzthin hervorgehoben, wie wohltätig unsere Sparkasse wirke bei dem Umstande, dass sie ein Landes- und kein Privatinstitut sei. Dies wird anerkannt und auch als selbstverständlich angenommen, dass der Ausbau eines für uns höchst notwendigen Kraftwerkes durch das Land und nicht durch ausländisches Privatkapital zu geschehen habe, welche Tendenz in der ganzen Welt verfolgt werde. Bei uns soll das Zustandekommen eines solchen längst ersehnten Werkes durch den Vertreter der Regierung verhindert werden, wie seinerzeit die Fortführung der Eisenbahn durch unser Land hinauf durch einen unverantwortlichen Ratgeber unseres Fürsten [Johann II.] verhindert worden ist. [5] Der Landtag hat die Pflicht, gegen diesen Standpunkt der fürstl. Regierung zu kämpfen und wir sind deshalb gezwungen, nicht auf die Abstimmung zum Landesvoranschlage einzugehen.

Ich stelle deshalb den Antrag, die Zustimmung zum Landesvoranschlage und Finanzgesetze für das Jahr 1914 zu verweigern, wenn der Herr Regierungschef nicht eine ausdrückliche bindende Erklärung dahin abgibt, dass das Projekt über das Lawenakraftwerk noch diese Session dem Landtage vorgelegt wird und zur Behandlung kommt und dass für den Fall, als die Mehrheit des Landtages den Bau dieses Wasserwerkes beschliesst, die fstl. Regierung der Ausführung kein Hindernis in den Weg legt. Ich bin mir der Folgen meines Antrages voll und ganz bewusst; ich anerkenne die Verdienste, die sich der H. Kabinettsrat um unser Land erworben hat; ich kann aber nicht begreifen, warum die Regierung die Sache hinausschieben will.

Abg. [Alfons] Brunhart liest vor: Die Römer bauten Strassen; bei den Buschmännern in Afrika baut man Eisenbahnen; der Elektrizität gehört die Zukunft; vor Jahren hat man sich an unserm Volke schwer versündiget, indem man den Bau der Eisenbahnen direkt verhinderte oder deren Bedeutung vielleicht nicht einsah. Ich erhebe bittend und warnend meine Stimme: der Bau des Lawenawerkes ist das Fundament jeder weitern Entwicklung. Tram, Schmal- oder breitspurige Bahnen werden und müssen kommen, wenn einmal die Kraft da ist. Ich muss lachen, wenn man davon spricht, die Sache rentiere nicht; auch bei einem anfänglichen allfälligen Defizit ist der indirekte Nutzen ein grosser – für alle Zukunft ist gesorgt. Das Land muss das Geld hergeben; es erfüllt dabei eine heilige Pflicht, jetzt oder nimmermehr. Für den Kauf österr. Staatspapiere wird niemand zu haben sein. Der sofortige Bau ist eine zwingende Notwendigkeit in diesem arbeitslosen Winter; wir sind ein Bauvolk und im Auslande gesucht; ich glaube mein Pflicht getan zu haben, wenn ich meine und wie ich glaube auch meiner Wähler Ansicht zum Ausdruck gebracht zu habe.

Der Herr Reg.chef: Ich bin überrascht von diesen wohlvorbereiteten Reden; ich protestiere gegen die masslosen und ungerechten Angriffe des Abg. Walser und weise seine Anschuldigungen zurück. Ich habe im April 1913 dem Landesausschusse die Ergebnisse der Verhandlungen mit der Gemeinde Triesen vorgelegt [6] und im Mai die Angelegenheit dem Ing. Fussenecker [Arnold Fussenegger] in Feldkirch in Auftrag gegeben; [7] aus den vorliegenden Akten kann ich die ungerechten Vorwürfe Walsers entkräften. – Der H. Reg.chef holt die bezgl. Akten und bringt bezügliche Daten zur Verlautbarung. – Wer Einsicht hat, weiss, dass für solche Arbeiten Zeit nötig ist; die Aufnahmen sind Witterungsverhältnisse halber verzögert worden und dass das Projekt heute nicht vorliegt, ist nicht meine Schuld; sowie es eintrifft, werde ich es zur Behandlung vorlegen; es erscheint mir bedenklich, eine voraussichtlich grosse Summe Geldes in dieses Werk zu stecken; die Leute können Licht und Kraft zu gleichen Preisen erhalten, ohne ein so grosses Kapital anzulegen; die Regierung ist keine Stelle für kommerzielle Unternehmungen und das Land könnte schlechte Erfahrungen machen. Bei Verweigerung des Budgets kann auch die Notstandsfrage nicht gelöst werden.

Der Herr Präsident [Albert Schädler]: In der letzten Sitzung ist die Anfrage gestellt worden, ob das Lawenawerk heuer noch zur Verhandlung komme; Schaan stehe im Begriffe an Feldkirch anzuschliessen und Balzers habe Angebote vom Albulawerk; [8] der Landtag kann diese Sache nicht übergehen und würde sich einer Pflichtvergessenheit schuldig machen, wenn man trotz der eigenen Kräfte im Land ins Ausland betteln ginge. Die Regierung will die Angelegenheit nicht verhindern, sondern werde sofort das Projekt vorlegen, wenn dasselbe eingegangen, was bald geschehen dürfte. Walser will das Werk fördern, aber sein Antrag ist zu scharf gehalten. Über das Budget soll erst abgestimmt werden, wenn die Lawenafrage behandelt ist. Von der Regierung wurde betont, dass sie den Betrieb eines solchen Werkes nicht übernehmen könne; die Regierung ist tatsächlich mit Arbeit überlastet. Eine Überprüfung des Projektes wird ergeben, ob eine Rendite in Aussicht steht; ist dies der Fall, sollte das Land, statt ins Ausland zu gehen, zugreifen. Der Widerstand der Regierung würde sich wohl heben lassen dadurch, dass ein aus praktischen Leuten zusammengesetzter Verwaltungsrat bestellt würde, welcher dem Landtage und der Regierung verantwortlich wäre. Zunächst muss aber Material vorliegen; ich lege Wert darauf, dass die Sache heuer noch zur Behandlung gebracht wird.

Der Antrag, die 2. Lesung des Budgets jetzt vorzunehmen, die Abstimmung aber auf später zu verschieben, wird mit allen gegen 2 Stimmen angenommen.

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[1] LI LA LTA 1913/S04/2. Ebd. eine maschinenschriftliche Abschrift.
[2] Eine vollständige Wiedergabe der Wortmeldung Walsers wurde dem Protokoll beigeheftet (LI LA LTA 1913/S04/2, Äusserung des Abgeordneten Fr. Walser in der Sitzung vom 4.12.1913).
[3] Der Landtag hatte am 5.12.1912 die Regierung beauftragt, mit der Gemeinde Triesen Verhandlungen aufzunehmen wegen der Nutzung der Wasserkraft im Lawenatal und nach Abschluss der Verhandlungen im Einvernehmen mit dem Landesausschuss das weitere Vorgehen zu veranlassen (LI LA LTA 1912/S04/2).
[4] Der Landtag hatte die Frage des Lawenawerks bereits am 1.12.1913 im Rahmen der ersten Lesung des Voranschlags für 1914 behandelt (LI LA LTA 1913/S04/2).
[5] Die ablehnende Haltung des Fürsten zu den Bestrebungen, die Eisenbahnverbindung von Feldkirch in die Schweiz durch Liechtenstein nach Sargans zu führen, ging angeblich auf den Einfluss seines Beraters Clemens von Westphalen zurück.
[6] LI LA V 011/008, Aktennotiz In der Maur, 21.4.1913.
[7] LI LA V 011/008, Aktennotiz In der Maur, 9.5.1913.
[8] Vgl. LI LA LTA 1912/S04/2, Landtagsprotokoll vom 1.12.1913. Mit dem Albulawerk dürfte das 1906-1910 errichtete Kraftwerk der Elektrizitätswerke der Stadt Zürich mit Zentrale in Sils (Domleschg) gemeint sein.