Der liechtensteinische Landtag nimmt das Doppelbesteuerungsabkommen mit Österreich zur „zustimmenden Kenntnis“


Handschriftliches Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung, gez. Landtagspräsident Albert Schädler sowie die Landtagssekretäre Andreas Heeb und Ludwig Marxer [1]

20.7.1901

2. Als erster Gegenstand gelangt hierauf das Übereinkommen der liechtensteinischen mit der österreichischen Regierung die Vermeidung der Doppelbesteuerung betreffend zur Verhandlung.

In der Zuschrift [2] der fürstlichen Regierung, womit dieselbe dem Landtage dieses Übereinkommen zur Kenntnis bringt und welche zur Verlesung gelangt, wird bemerkt, dass durch dieses Übereinkommen von Seite der liechtensteinischen Regierung weder auf Staatshoheitsrechte zu Gunsten Österreichs verzichtet oder über ein solches irgendwie verfügt wurde, noch eine neue Last auf das Fürstentum Liechtenstein oder dessen Angehörige übernommen wurde, sondern dass sich die in Rede stehende Übereinkunft lediglich als zu Gunsten der Landesangehörigen getroffen darstelle. [3]

Hierauf wird eine Abschrift des aus 10 Artikeln bestehenden Übereinkommens, wie es bereits als Verordnung des k.k. österr. Finanzministeriums vom 18. Mai 1901 in dem am 20. Juni 1901 ausgegebenen österr. Reichsgesetzblatte kundgemacht worden ist, [4] verlesen.

Regierungskommissär Herr Cabinetsrat [Karl] von In der Maur führt im Anschlusse aus, wie von Seite der fürstlichen Regierung Anstrengungen gemacht wurden, damit die in Artikel 3 von der österr. Regierung verlangten Ausnahme betreffend die Hypothekarkapitalien in das Übereinkommen aufgenommen worden wäre, sondern die Bestimmungen auch für diese Ertragsquellen massgebend geblieben wären. Von Seite des österr. Finanzministeriums, welches beim Abschluss des Übereinkommens das möglichste Entgegenkommen zeigte, wurde jedoch an dem Prinzipe festgehalten, dass Zinsen aus Hypothekarkapitalien im Staate der haftenden Realität zu den Ertragssteuern heranzuziehen seien. Von der österr. Regierung sei besonders betont worden, dass von diesem Standpunkte umso weniger abgegangen werden könne, als derselbe auch Ungarn und den andern Staaten gegenüber festgehalten wurde. [5] Dieser Passus habe die Verhandlungen durch Jahre hindurch verzögert. Immerhin biete das Übereinkommen wesentliche Vorteile und wenn auch nicht alles, so sei doch manches Gute erreicht worden. Der Landtag könne demselben ohne Bedenken zustimmen.

Nachdem die bezüglichen Verhandlungsschriften, welche zwischen den beiden beteiligten Regierungen in dieser Angelegenheit ausgewechselt worden waren, zur Verlesung gebracht worden waren, [6] betont Präsident Dr. Albert Schädler, es sei zu bedauern, dass Österreich die angezogene Bestimmung nicht habe fallen lassen und diese werde dahin führen, dass Angehörige Liechtensteins ihre Hypothekarkapitalien aus Österreich wegen der hohen Besteuerung - besonders wegen der namhaften Gemeindezuschläge - zurückziehen oder aber, es werden die Schuldner vertraglich verpflichtet, die Steuern hierfür zu übernehmen.

Der Antrag der Finanzkommission [7] geht dahin, das Übereinkommen zur zustimmenden Kenntnis zu nehmen.

Dieser Antrag wird hierauf einstimmig angenommen. [8]

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[1] LI LA LTA 1901/S04/2. Ebd. maschinenschriftliche Abschrift. Vgl. auch den Landtagsbericht in L.Vo., Nr. 30, 26.7.1901, S. 5.
[2] Schreiben von Landesverweser Karl von In der Maur an den Landtag vom 8.7.1901 (LI LA LTA 1901/L06/2 (Aktenzeichen 980)).
[3] Nach § 23 der liechtensteinischen Verfassung vom 26.9.1862 vertrat der Landesfürst den Staat in allen seinen Verhältnissen gegen auswärtige Staaten. Es konnte jedoch ohne Verwilligung des Landtages weder der Staat im Ganzen noch ein Teil desselben oder Staatseigentum veräussert, auf kein Staatshoheitsrecht oder Staatsregal zu Gunsten eines auswärtigen Staates verzichtet oder darüber irgendwie verfügt werden, weiters keine neue Last auf das Fürstentum oder dessen Angehörige übernommen, endlich keinerlei Verpflichtung, welche den Rechten der Landesangehörigen Eintrag tun würde, eingegangen werden.
[4] Verordnung des Finanzministeriums vom 18.5.1901, betreffend das Übereinkommen zwischen der k.k. österreichischen und der fürstlich Liechtenstein'schen Regierung zum Zwecke der Vermeidung von Doppelbesteuerungen (öst. RGBl. 1901 Nr. 68).
[5] Vgl. hiezu die Note des k.k. Finanzministeriums (Finanzminister Eugen von Böhm-Bawerk) an die liechtensteinische Hofkanzlei vom 22.1.1901 (LI LA RE 1901/0019 (Aktenzeichen 3493)). Darin heisst es ausserdem, das das k.k. Finanzministerium prinzipiell durchaus geneigt sei, mit anderen Staaten, „und speziell mit dem wirtschaftlich eng verbundenen Fürstentum Liechtenstein" Doppelbesteuerungsabkommen abzuschliessen - und zwar nach ähnlichen Grundsätzen wie in dem mit Preussen abgeschlossenen Staatsvertrag vom 21.7.1899, öst. RGBl. 1900 Nr. 158. Das k.k. Finanzministerium wollte es im Übrigen der liechtensteinischen Hofkanzlei überlassen, ob diese dem Abschluss eines förmlichen Staatsvertrag oder aber einem einfachen Übereinkommen von Regierung zu Regierung den Vorzug gebe, wobei auch ein solches Übereinkommen österreichischerseits im Reichsgesetzblatt publiziert werden müsse.
[6] Vgl. die diesbezügliche Korrespondenz in LI LA RE 1901/0019, insbesondere die Note des k.u.k. Aussenministeriums vom 4.6.1901, in welcher der liechtensteinischen Hofkanzlei unter Bezugnahme auf deren Note vom 27.4.1901 die Gegenerklärung des k.k. Finanzministeriums vom 18.5.1901 übermittelt und die volle Übereinstimmung der beiderseitigen Regierungen konstatiert wurde (Aktenzeichen 34213/9). Mit Schreiben vom 10.6.1901 wurde die genannte Note von der fürstlichen Hofkanzlei der Regierung übermittelt - zur weiteren Veranlassung und vor allem zur Publizierung des Übereinkommens im Landesgesetzblatt (ebd. (Aktenzeichen 3918)).
[7] Tagesordnung für die auf 20.7.1901 anberaumte Landtagssitzung (Nr. 2). Berichte der Finanzkommission (Referent: Albert Schädler), S. 4 (LI LA LTA 1901/L01).
[8] Vgl. das Schreiben von Landesverweser Karl von In der Maur an die fürstliche Hofkanzlei vom 5.8.1901 betreffend die zustimmende Kenntnisnahme des Übereinkommens durch den Landtag und dessen Publikation im Landesgesetzblatt (LI LA RE 1901/1231 ad 0019): Verordnung vom 27. Juli 1901 betreffend das Übereinkommen zwischen der k.k. österreichischen und der Fürstlich Liechtenstein'schen Regierung zum Zwecke der Vermeidung von Doppelbesteuerungen, LGBl. 1901 Nr. 4.