Wilhelm Beck kommentiert den Gesetzentwurf über die allgemeine Landesverwaltungspflege (2)


Ausführungen von Wilhelm Beck in den „Oberrheinischen Nachrichten" [1]

22.4.1922

Bericht und Begründung zum Gesetzesentwurfe über die allgemeine Landesverwaltungspflege

(Von Dr. Beck)

Zu diesen organisatorischen Bestimmungen wollen wir keine weiteren Bemerkungen machen, da sie beim Lesen verständlich sind. Sodann enthält der Entwurf eine Regelung des einfachen Verwaltungsverfahrens, in Preussen z.T. das sogenannte Beschlussverfahren, welches Verfahren bei Setzung von Verwaltungsakten eingehalten werden muss, soweit nicht nach besonderen Gesetzen und Verordnungen – Ausnahmen bestehen. – Im weitern regelt der Entwurf das sogen. Verwaltungszwangsverfahren, d.h. das Verfahren, welches bei Anwendung des Zwanges in der Verwaltung zu beachten ist, soweit wieder nicht besondere Abweichungen bestehen. Es ist dies bei uns z.T. nicht, z.T. äusserst mangelhaft geregelt; wir haben meist ein nicht normalisiertes Zwangsverfahren, das mit dem Geiste der neuen Verfassung [2] eben schlecht harmoniert. Hier besonders ragen Überreste aus der polizeistaatlichen Periode in die rechtsstaatliche Zeit hinein. Endlich will der Entwurf im dritten Hauptstück das sog. Verwaltungsstrafverfahren, das heisst das Verfahren in Polizei-, Finanz-, Disziplinar- und Ordnungsstrafsachen vor den Verwaltungsbehörden regeln, soweit keine oder keine abweichenden Vorschriften bestehen. Dass auch auf diesem Gebiete manche grosse Lücke auszufüllen und dem Gedanken des Rechtsstaates zum Durchbruche zu verhelfen ist, steht ausser Zweifel. – Hierlands sind derzeit den Verwaltungsbehörden auch rechtsprechende Aufgaben übertragen und es besteht bei uns die zur Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes (Art. 104 der Verfassung) grundsätzlich Identität der Organe für die reine Verwaltung und für die Verwaltungsrechtsprechung. Daraus erklären sich manche Bestimmungen d. Entwurfs.

Die Bedeutung der Vorlage erschöpft sich aber nicht in den soeben angeführten Punkten. Darüber hinaus kann die einmal zum Gesetze erhobene Vorlage Anwendung finden.

1. Das einfache Verwaltungsverfahren kann mit geringen Abänderungen gleichzeitig als eine Ordnung des allgemeinen Teils des Rechtsfürsorgeverfahrens in Betracht kommen. [3] Das Rechtsfürsorgeverfahren (Verfahren ausser Streitsachen) ist mit seinen verschiedenen Gebieten und im Grossen und Ganzen nichts Anderes, als von den Gerichten (statt von den Verwaltungsbehörden) besorgte Verwaltungstätigkeit. Das Rechtsfürsorgeverfahren ist hierlands meist gar nicht geregelt und wird in Anlehnung an österreichische Gesetze, Theorie und Praxis gehandhabt, während z.B. Österreich und das Deutsche Reich ausführliche Gesetze besitzen. [4] Diesem Übelstande soll nun durch die gleichzeitig gelangende Vorlage über ein Gesetz betreffend das Rechtsfürsorgeverfahren abgeholfen werden.

Mit wenigen Artikeln werden manche Abschnitte der Vorlage über die allgemeine Landesverwaltungspflege auf das Rechtsfürsorgeverfahren anwendbar erklärt und so erhält letzteres eine Regelung des allgemeinen Verfahrens in einer selbständigen, für uns passenden Art und Weise.

2. Die Bestimmungen über das einfache Verwaltungsverfahren (mit Ausnahme des zweiten Abschnittes über Verwaltungsbote) bilden gleichzeitig den grössten Teil einer Prozessordnung des öffentlichen Rechts für die meisten vor dem Staatsgerichtshofe (Art. 104 der Verfassung) durchzuführenden Angelegenheiten. [5] Es wird daher gleichzeitig mit dieser Vorlage ein grosser Teil des Gesetzes über den noch einzurichtenden Staatsgerichtshof verwirklicht und damit dieses selbst höchst vereinfacht. Die Bestimmungen des Verwaltungszwangsverfahrens können gleichzeitig auf die Vollstreckung von Entscheidungen des Staatsgerichtshofes in grösserem oder geringerem Umfange Anwendung finden.

3. Eine weitere Bedeutung des zu schaffenden Gesetzes liegt nicht zum mindesten darin, dass in Zukunft viele Verwaltungsgesetze vereinfacht werden, soweit es sich um Verfahrensvorschriften oder Strafbestimmungen (Art. 139) handelt. Es kann in den inskünftig zu schaffenden Verwaltungsgesetzen einfach auf manche Bestimmungen der Vorlage verwiesen werden. Dadurch gelangen wir aber auch zu einer einheitlicheren und feststehenderen Gesetzgebung und Praxis, was nach den früheren Bemerkungen nur zu begrüssen wäre.

Der etwas dickleibig erscheinende Entwurf soll die Verwaltungstätigkeit nicht etwa erschweren, sondern er will einen Beitrag an den sogen. Verwaltungsabbau und an die dringend notwendige Reform der Verwaltung sein, die endlich einmal energisch an die Hand genommen werden müssen. In dieser Hinsicht kommt ihm insbesondere die Bedeutung zu, dass er die Regierung und den Regierungschef von Bagatellverwaltungsakten entlasten und dafür manche heute selbst unselbständig arbeitende Beamte mehr mit selbständiger Erledigung von Verwaltungssachen betrauen will. Die Regierung und ihr Chef hätten sich demnach mehr mit wichtigeren Verwaltungsangelegenheiten und mit der Aufsicht und Überwachung der mehr oder minder selbständig für ihren Verwaltungsbereich tätigen Amtspersonen – (z.B. der Landestechniker, Landeskassenverwalter) zu befassen. Nach dem heutigen mehr noch durch eine veraltete Praxis als durch Vorschriften feststehenden Aufbau muss sich die Regierung und ihr Chef mit kleinen Sachen fast ebenso befassen wie mit wichtigeren Landesangelegenheiten. Dabei besteht die Gefahr, dass wichtige Verwaltungssachen in ihrer Behandlung zu kurz kommen. Weshalb können denn nicht einfache Polizeistrafverfügungen vom Sekretär, einem damit betrauten Landweibel u.s.w. unter Aufsicht der Regierung bezw. ihres Chefs erlassen werden? Warum soll z.B. nicht der Landeskassenverwalter in Steuer- und Gebührensachen, der Landestechniker in Bausachen nicht selbständig verfügen dürfen? Sie kennen oftmals die Tatsachen ja besser als der Chef oder die Regierung. Es ist mithin ein Abbau von oben nach unten vorgesehen, oder mit andern Worten, es soll in gewissem Sinne der Grundsatz der sogen. Dekonzentration verwirklicht werden. Diese Zwecke verfolgen insbesondere die Verwaltungsbote u. Verwaltungsstrafbote und das Unterwerfungsverfahren. Diese Dekonzentration oder Verselbständigung des Wirkungskreises der einzelnen wichtigeren Beamten soll in der Regel auf Grund des Gesetzes durch eine Verordnung erfolgen. Gerade in manchen Verwaltungssachen ist das Verfahren höchst einfach, vor allem im Verwaltungsbots- und Verwaltungsstrafbots- und Unterwerfungsverfahren. Zum Beispiel: Ein selbständiger Beamter gibt in einer geringen Verwaltungsstrafsache ein Verwaltungsstrafbot heraus, gegen welches sodann nur mehr Beschwerde zulässig ist (Art. 146). Der Regierungschef oder die Regierung hat sich, abgesehen vielleicht von der Vollstreckung, gar nicht damit zu befassen. Die für die Verwaltungspraxis wichtigsten Teile sind der Abschnitt über das Verwaltungsbot, das Verwaltungsstrafbot und manche Artikel des Verwaltungszwangsverfahrens. –

Die Vorlage will zugleich, was nicht zu übersehen ist, eine Vorarbeit für die Ausscheidung zwischen Landes- und Gemeindeverwaltungsangelegenheiten einleiten. Im Verlaufe der Verhandlung der Reform- und Abbaufrage wird sich der Landtag auch mit der diesbezüglichen Frage so oder anders zu befassen haben. Manche Einrichtungen, so das Verwaltungsbot und das Verwaltungsstrafbot, können direkt in Erledigung von Verwaltungssachen durch Gemeindeorgane (Ortsvorsteher) Anwendung finden, so z.B. in ortspolizeilichen Strafsachen. Die Vorlage enthält denn auch darauf bezügliche Bestimmungen (z.B. Art. 48,4; 147, 5).

Das Verhältnis der Vorlage zu bestehenden Verwaltungsgesetzen und Verordnungen, insoweit sie Verfahrensvorschriften enthalten oder nicht, ist folgendes: in erster Linie gelten die in den bestehenden Rechtsvorschriften (nicht etwa in internen Dienstvorschriften usw.) enthaltenen Verfahrensbestimmungen, soweit solche fehlen oder keine vorhanden sind, finden die Bestimmungen der Vorlage Anwendung. Gewisse Vorschriften der Vorlage wie über Rekursfristen, Form der Verfügungen und Entscheidungen finden aber unter allen Umständen Anwendung. – Die Vorlage steht auf dem Standpunkt, dass eine umfassende Regelung des einfachen Verwaltungsverfahrens sehr wohl möglich ist.

Was endlich die praktische Anwendung des Gesetzes durch nicht rechtlich gebildete Personen betrifft, so dürften sich hier keine grossen Schwierigkeiten ergeben. Es ist versucht worden, die Vorschriften möglichst klar, die bedeutendsten Stellen eines Abschnittes durch Sperrdruck zum Ausdruck zu bringen und zudem Überschriften zu den einzelnen Artikeln anzubringen. Ausserdem soll nach dem letzten Artikel zur bessern Handlichkeit und leichtern Auffindbarkeit von Bestimmungen in einer Sache Schlagwortverzeichnis herausgegeben und bei Anwendung des Gesetzes sollen möglichst Formulare, die die wesentlichsten Punkte vorgeruckt enthalten, benützt werden. Hinsichtlich des Inhaltes der einzelnen Vorschriften ist darauf hinzuweisen, dass dem das Gesetz handhabenden Beamten unter Wahrung der Rechte und Interessen der Parteien, ein möglichst grosser Spielraum gelassen wird (Verwaltungsermessen). Aus den Verweisungen auf die Zivil- und Strafprozessordnungen dürften wohl kaum etwelche Schwierigkeiten entstehen; sie sollen nur dann und insoweit Anwendung finden, als die Vorlage über eine Frage keine Regelung enthält, also in der Regel nur ergänzend und wenn ihre Anwendung nach dem Zwecke des Verwaltungsverfahrens nicht ausgeschlossen erscheint. Wenn einmal in einer Frage Zweifel auftauchen, kann ja auch der Richter zu Rate gezogen werden. Gerade dadurch, dass auch der Landrichter zur Anwendung mancher Bestimmungen dieses Gesetzes durch die Vorlage über das Rechtsfürsorgeverfahren berufen erscheint, wird das Verständnis und die Anwendbarkeit für das Gesetz nur gehoben. Dasselbe trifft hinsichtlich der Verwendung für das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof zu. Die Vorlage will ein Wegweiser sein, nicht aber ein Hemmschuh.

Hinsichtlich der Verwaltungsgebühren ist auf den Bericht über die Gerichtsorganisation [6] zu verweisen. Die Vorlage sieht vor, dass im Verordnungswege mässige Veraltungsgebühren eingeführt werden. Neben den Gebühren hat eine Partei in der Regel die dem Staate erwachsenden Kosten und die Kosten einer allfälligen Gegenpartei zu bezahlen, die Höhe des letzteren ist aber nach freiem Ermessen der Behörde (Amtsperson) zu bestimmen.

(Fortsetzung folgt.)

 

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[1] O.N., Nr. 31, 22.4.1922, S. 1. Vgl. weiters O.N., Nr. 29, 12.4.1922, S. 1 („Bericht und Begründung"); O.N., Nr. 32, 26.4.1922, S. 1 („Bericht zu den Gesetzesentwürfen") und O.N., Nr. 33, 29.4.1922, S. 2 („Bericht und Begründung").
[2] Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5.10.1921, LGBl. 1921 Nr. 15.
[3] Vgl. das Gesetz vom 21.4.1922 betreffend das Rechtsfürsorgeverfahren, LGBl. 1922 Nr. 19.
[4] Vgl. das Kaiserliche Patent vom 9.8.1854, wirksam für alle Kronländer, mit Ausnahme der Militärgränze, wodurch ein neues Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten ausser Streitsachen eingeführt wird, welches im lombardisch-venetianischen Königreiche, in der serbischen Wojwodschaft und dem Temeser Banate am 1.11.1854 und in jedem der übrigen Kronländer mit dem Tage in Geltung zu treten hat, an welchem daselbst die Wirksamkeit der neuen Gerichts-Organisation beginnen wird, öst. RGBl. 1854 Nr. 208.
[5] Vgl. Art. 17 des Gesetzes vom 5.11.1925 über den Staatsgerichtshof, LGBl. 1925 Nr. 8.
[6] Vgl. O.N., Nr. 25, 29.3.1922, S. 1-2 („Bericht zu den Gesetzesentwürfen betreffend die Gerichtsorganisation, das Nachtragsgesetz zur Zivil- und Strafprozessordnung") bzw. O.N., Nr. 27, 5.4.1922, S. 1-2 ("Bericht zu den Gesetzesentwürfen (Schluss)").