In Vaduz wird der „Liechtensteinische Arbeiterverband“ gegründet


Bericht in den „Oberrheinischen Nachrichten“ [1]

4.2.1920

Arbeiterverein

An Lichtmess [2] hielt der Arbeiterverein [Liechtensteinischer Arbeiterverband] seine Gründungsversammlung im „Adler“ in Vaduz ab. Anwesend waren über 250 Personen, von denen viele nicht Arbeiter waren. Das Programm wurde unter der sehr geschickten Leitung des Herrn Andreas Vogt, Balzers, prompt abgewickelt. Die Statuten wurden angenommen. Zu § 1 der Statuten [3] entspann sich unter den Nichtarbeitern eine Debatte, ob der Verein sich „christlich-sozialer Arbeiterverein“ nennen solle. Vom Vorsitzenden und aus Arbeiterkreisen wurde mehrfach betont, dass Verein und Vereinsmitglieder auf katholischer Weltanschauung stehen, dass sie aber auch andersgläubigen Arbeitern den Eintritt in den Verband ermöglichen und in diesem Sinne daher neutral sein wollen. Der derzeitige Standpunkt des neugegründeten Vereins, der nicht so angerempelt zu werden verdient, ist der einzig richtige. Der Verein kann verschiedenen Richtungen seine Beziehungen klären. Die anders deutenden Einsendungen in einem Blatte [4] sind zu verurteilen. Beherzigenswerte Ausführungen machte der von einem Geistlichen mitgebrachte Herr Arbeitersekretär [Georg] Eisele aus St. Gallen, gerade weil bekannt war, dass von gewisser Seite den Arbeitern freiwillig und gratis ein Redner gestellt werden würde. Über seine zukünftige Stellung zu einem grösseren Verbande wird sich die liechtensteinische Arbeiterschaft klar zu werden haben.

Sehr aufgefallen ist an der Versammlung die von manchen so sehr zur Schau getragene Arbeiterfreundlichkeit. Wieviel „Genossen“ gaben sich zu erkennen! Uns will bedünken, dass diese Freundlichkeit mehr gelegenheitlich und vorübergehend sei als anhaltend. Jedenfalls darf der Arbeiter nun Berücksichtigung seiner Wünsche von allen massgebenden Stellen erwarten, denn Genossen hat er angeblich in allen Bevölkerungsschichten. Der Arbeiterstand wünscht nun aber auch Vertretung in den Behörden, damit er seine wirtschaftlichen und sozialpolitischen Postulate durchdrücken kann. Sicherlich hilft ihm dazu die Arbeiterfreundlichkeit von Maria Lichtmess. – Wir wollen gerne sehen.               

Als Organe des Vereins wurden bestellt: Fr. [Friedrich] Kaufmann, Vaduz, als Präsident, Andreas Vogt, Balzers, als Vizepräsident, Fidel Negele, Triesen, als Kassier und Hans Konrad, Schaan, als Aktuar. Der Beitrag wurde vorerst auf eine Krone wöchentlich festgesetzt. Besprochen wurden auch die Lohn- und Arbeitsverhältnisse, worüber demnächst Erhebungen gepflogen werden. – Im allgemeinen hat die Grün[d]ungsversammlung unter der geschickten und umsichtigen Leitung des Andr. Vogt auf Viele einen vorzüglichen Eindruck gemacht. Volles Gelingen dem Verbande!

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[1] O.N., Nr. 10, 4.2.1920, S. 2. Vgl. L.Vo., Nr. 10, 4.2.1920, S. 2 („Gründungsversammlung des Liechtensteinischen Arbeitervereins“). Vgl. auch LI LA RE 1920/0500.  
[2] 2.2.1920.
[3] Die am 11.3.1920 von der Regierung genehmigten Statuten des Liechtensteinischen Arbeiterverbandes finden sich unter LI LA RE 1920/1044.
[4] Vgl. L.Vo., Nr. 8, 28.1.1920, S. 1 („Die liechtensteinische Arbeiterorganisation“) sowie L.Vo., Nr. 9, 31.1.1920, S. 1 („Die liechtensteinische Arbeiterorganisation“) betreffend die vorbereitende Arbeiterversammlung vom 25.1.1920 in Triesen.