Das „Liechtensteiner Volksblatt“ erklärt die sozialistische Ideologie, welche auf dem Atheismus beruhe, für unvereinbar mit dem christlichen Glauben (4)


Veröffentlichung einer Einsendung im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

14.12.1920

Christentum und Sozialismus

In dem sattsam bekannten Traktätlein möchte man die römische, d.h. päpstliche Haltung dem bischöflichen Vorgehen entgegen halten. Man möchte glauben machen, dass Rom sogar für den Sozialismus wäre. Wie stellt sich Rom zum Sozialismus? Das ist eine sehr wichtige Frage für jeden Katholiken. Denn könnte dies annähernd bewiesen werden, so würden viele Gegenreden verstummen und würde auch ich mit vielen andern die Feder sofort niederlegen. Denn Rom ist für jeden Katholiken, also auch für uns höchste und letzte Instanz in Fragen des Glaubens und der Sitten und seinem Urteilsspruch hat sich jeder Katholik unbedingt und unwiderruflich zu unterwerfen. Also was spricht Rom? Sobald wir das wissen, gilt für uns das Wort des hl. Augustin Roma locuta, res est finita, d.h. Rom hat gesprochen, der Streitfall ist erledigt.

Alle kennen wenigstens dem Namen nach die Arbeiter-Enzyklika [2] Leos XIII. von der die protestantische Kreuzzeitung in Berlin seinerzeit schrieb, dass sie ein weltgeschichtliches Ereignis sei. – Im Eingange dieses Rundschreibens geisselt Leo XIII. mit den schärfsten Ausdrücken den unchristlichen Kapitalismus, den gefrässigen Wucher der liberalen Wirtschaftsordnung, wodurch die Produktion und der gesamte Handel fast zum Monopol einiger weniger gemacht werden und wenige übermässig Reiche der unabsehbaren Menge der Besitzlosen ein nahezu sklavisches Joch auflegen konnten. Dann geht er zur Frage über: wie kann diesem Übel abgeholfen werden? und sagt: Nicht durch den Sozialismus, denn mit seiner Forderung der gewaltsamen Aufhebung des Privateigentums schädigt der Sozialismus die Arbeiter selbst, er vergewaltigt das Recht auf Privateigentum, das in der Natur des Menschen begründet ist, er führt zur Auflösung der Familie, zur Sklaverei aller und zum Ruin des Wohlstandes. So würde aus der erträumten Gleichheit aller in Wirklichkeit nichts anderes als der nämliche klägliche Zustand der Entwürdigung aller ohne Unterschied. Den Klassenkampf um den Klassenhass, wie ihn die Sozialdemokratie predigt, nennt Leo XIII. ein Hohn auf Vernunft und Wahrheit. Es gibt kaum eine Schrift, die philosophisch und theologisch gründlicher mit der Sozialdemokratie abrechnet, als es in diesem päpstlichen Hirtenschreiben geschieht. Und der das geschrieben, ist kein Bischof von Chur und keiner der Herren der hiesigen neuen Arbeiterrichtung, sondern Papst Leo XIII., der wegen seines Geistes, grosser Klugheit und Milde mit der ganzen Welt, auch in der nichtkatholischen das allergrösste Ansehen besass. So schreibt Leo XIII. vor 30 Jahren. Und hat vielleicht Rom seither umgelernt und den Kampf gegen den Sozialismus eingestellt? Kaum. Papst Benedikt [XV.] schrieb im August 1920 an die schweiz. Bischöfe, belobt sie wegen ihrer Tätigkeit zur Verteidigung des Glaubens und guten Sitten und schreibt dann wörtlich: „Ihr selber sehet, wie nötig es ist, dass in diesen schweren Zeiten die Hüter des Heiligtums ihre Kräfte vereinigen und mit aller Macht arbeiten um die hinterlistigen Anschläge der Gottlosen zu nichte zu machen, besonders der Sozialisten, welche den Armen eine trügerische Neuerung der Wirtschaftsordnung als Lockmittel vorhalten und dadurch versuchen, alle Ordnung aufzulösen und somit der bürgerlichen Ordnung zugleich auch Religion und Sittengesetz zu Fall zu bringen.“

Es sollte allen, die guten Willens sind, genügen zu zeigen, dass die katholische Kirche mit dem heutigen Sozialismus im schwersten Kampfe liegt. Da gibt es keinen Frieden und darf keinen geben, den der Kampf, der da geführt wird, geht um Grundsätze, ein Kampf um die Fundamente, ein Kampf um Kirche, Religion, christliche Ehe, Familie, Vaterland, Recht und Gesetz, also ein Kampf um Alles. Und da mögen sozialistische Zeitungen und Traktätlein noch so viele Aussprüche von Staatsmännern und protestantischen Pfarrherren anführen, dass Christentum und Sozialismus ganz gut miteinander harmonieren. Und mag man da oder dort darauf ausgehen, Aussprüche kathol. Geistlicher zu erhaschen, das zu beweisen scheint, der Sozialismus sei religiös nicht so gefährlich – da hilft nichts. – Jeder kathol. Arbeiter unseres Landes muss es wissen: die kathol. Kirche hat von höchster Warte aus den Sozialismus in seiner heutigen Form in den schärfsten Ausdrücken verworfen, weil die Grundsätze des Sozialismus, wenn sie zur Herrschaft gelangten, nicht nur die kathol., sondern jede Religion unmöglich machten. Es war deshalb die Anweisung der schweiz. Bischöfe an die Geistlichkeit in ihrem Bettagshirtenschreiben die einzige richtige Folgerung, d.h. diejenigen, die in sozialistischen Vereinen sind und mit den Grundsätzen des Sozialismus übereinstimmen vom Empfange der hl. Sakramente auszuschliessen. Da hilft kein Gang zur fürstl. Regierung, weil die Kirche von jeher sich selbst regiert hat. –

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[1] L.Vo., Nr. 99, 14.12.1920, S. 1. Vgl. zuvor L.Vo., Nr. 96, 1.12.1920, S. 2 („Christentum und Sozialismus“); Nr. 97, 4.12.1920, S. 1 („Christentum und Sozialismus“) und Nr. 98, 11.12.1920, S. 1-2 („Christentum und Sozialismus“).
[2] Die von Papst Leo XIII. verfasste Sozialenzyklika „Rerum novarum“ war am 15.5.1891 veröffentlicht worden.