Regierungschef Josef Hoop notiert nach einem Berlinbesuch seine Eindrücke über die Haltung des nationalsozialistischen Deutschlands zur Unabhängigkeit Liechtensteins


Aktennotiz von Regierungschef Josef Hoop, ungez. [1]

28.3.1938

Notiz über Besuch in Berlin

Der Gefertigte weilte in der Zeit vom 20. bis und mit 24. März in Berlin auf Besuch. Bei dieser Gelegenheit konnte er mit verschiedenen Persönlichkeiten in Fühlung treten und Wertvolles für die Stellungnahme des Reiches zu unserem Lande erfahren. Der Besuch erfolgte im Einvernehmen mit dem Eidgenössischen Politischen Departemente und im Besonderen mit dem Bundesrat [Giuseppe] Motta. Deutscherseits wurde das Programm des Aufenthaltes organisiert vom persönlichen Referenten von Minister [Josef] Göbbels, dem Prinzen [Friedrich zu] Schaumburg-Lippe. Ständiger Begleiter waren der Referent im Propaganda-Ministerium, Werner Voss, sowie der persönliche Referent des Reichsinnenministers Dr. [Wilhelm] Frick, Ministerialrat und Reichstagsabgeordneter Dr. [Franz Ludwig] Metzner. Letzterer und Werner Voss holten mich am Bahnhofe ab und waren bei den einzelnen Besuchen zum Teil zugegen. Montag nachmittags 5 Uhr war ich bei Reichsinnenminister Frick zum Thee geladen und 3/4 7 Uhr beim Chef der Reichsanstalt, Herrn Staatsminister Dr. [Otto] Meissner. Beiden überbrachte ich die Glückwünsche der Regierung mit der Bitte, sie dem Führer und Reichskanzler [Adolf Hitler] weiterzuleiten. Dienstag war ein Besuch vorgesehen in der Reichsdruckerei, im deutschen Postmuseum, hernach bei Reichspostminister [Wilhelm] Ohnesorge und Dr. Lausmann, am Nachmittag wurde ich in die Schorfheide, dem Landhause Görings, und dem Schiffshebewerk Niedervienov geführt. Mittwoch Vormittag war ich ca. 2 1/2 Stunden beim Minister [Paul] Dinichert. Die verschiedensten Unterredungen mit den vorgenannten und noch anderen Persönlichkeiten ergaben folgende Eindrücke:

Die nationalsozialistische Auffassung ist überall scharf ausgeprägt, dass eines Tages wohl alle Deutschen Angehörige des grossen Deutschen Reiches sein werden. Wann dies für die einzelnen Völker der Fall sei, sei eine offene Frage. In allen Fällen sei selbstverständlich für einen Anschluss an Deutschland die unbedingte Voraussetzung, dass die einzelnen Völker zu Deutschland wollen. Es besteht demnach auch für Liechtenstein durchaus keine Gefahr, dass unser Land etwa mit Gewalt dem Deutschen Reiche einverleibt würde. Unsere Grenzen, unsere Selbständigkeit und Unabhängigkeit werden von Deutschland restlos respektiert. [2]

Indessen bleibt die Tatsache bestehen, wie dies übrigens aus den Reden der führenden deutschen Staatsmänner hervorgeht, dass das Deutsche Reich es nicht dulden würde, wenn Deutsche im Auslande wegen ihrer nationalsozialistischen Gesinnung unterdrückt u. verfolgt würden. Praktischerweise ergibt sich daraus, dass eine Bewegung in Liechtenstein, die nach nationalsozialistischer Weltanschauung die Gründung einer nationalsozialistischen Partei mit dem Ziele des Anschlusses an Deutschland entstehen würde, eine solche Bewegung auf die Sympathie u. moralische Unterstützung Deutschlands rechnen könnte, und für Liechtenstein es praktisch unmöglich wäre, die Bewegung zu inhibieren. Für die Selbständigkeit des Landes ist es also von grösster Wichtigkeit, dass im Innern des Landes keine nationalsozialistische Bewegung auftritt.

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[1] LI LA RF 179/130/032.
[2] Vgl. das Protokoll der Konferenzsitzung des Landtags vom 15.3.1938, in welcher nach kontroverser Debatte die staatliche Unabhängigkeit Liechtensteins bekräftigt wurde (LI LA LTP 1938/010).