Die Schweiz und Liechtenstein vereinbaren Massnahmen betreffend den Grenzsanitätsdienst, den Grenzschutz und die Behandlung der Flüchtlinge


Amtsvermerk vom 9.4.1945 betreffend die Besprechung vom 6.4.1945, ungez. [1]

6.4.1945

AV. über die Besprechung vom 6.4.45 betr. Flüchtlinge in Bern

Anwesend:

schweizerischerseits: Dr. [Felix] Schnyder vom Politischen Departement, Dr. [Oskar] Wyss vom Finanz-& Zolldepartement, Dr. Jetzler [Robert Jezler], Dr. [Oscar] Schürch und Dr. Siemen [Simmen] vom Justiz-& Zolldepartem., ferner Oberstleutnant [Hans] Vetter vom Militärdepartement.

Liechtensteinischerseits: Regierungschef Dr. [Josef] Hoop, Reg.Chefstellvertreter Dr. [Alois] Vogt und Landesphysikus Dr. [Martin] Risch.

Dr. Jetzler eröffnete die Sitzung und ersuchte die liechtensteinischen Vertreter um Bekanntgabe ihrer Wünsche.

Dr. Hoop gab diese hierauf dahin bekannt, dass mit Rücksicht auf die Entwicklung in der Nachbarschaft der Grenzsanitätsdienst und die mit einem allfälligen Flüchtlingszustrom sich ergebenden Fragen neu geprüft würden. Liechtenstein würde wünschen, dass die bisherige Praxis hinsichtlich der Flüchtlinge beibehalten werden könnte d.h., dass die die liechtensteinisch-deutsche Grenze überschreitenden Flüchtlinge von der Schweiz übernommen würden. Die bezüglichen Wünsche seien schon in den beiden Noten betr. die Verstärkung des Grenzschutzes [2] und des Grenzsanitätsdienstes [3] niedergelegt worden. Dabei wäre Liechtenstein auch bereit, für die Unterbringung der von Liechtenstein nach der Schweiz übergebenen Flüchtlinge etwas an die Kosten beizutragen.

Dr. Vetter gab hierauf die Grundsätze bekannt, die hinsichtlich des Grenzsanitätsdienstes gelten und zwar a) sowohl der normal einreisenden Personen und b) hinsichtlich der Flüchtlinge. Die im normalen Grenzverkehr einreisenden Personen werden an der Grenze ärztlich untersucht mit Ausnahme von Diplomaten. Wenn die Leute nicht gesund sind, werden sie unter Kontrolle gestellt, evtl. in Krankenhäuser eingeliefert oder andere Vorkehrungen je nach dem Fall getroffen.

Hinsichtlich der Flüchtlinge gilt, dass jeder ebenfalls sanitärisch untersucht und evtl. entlaust wird, nachher wird eine ärztliche Überwachung angeordnet und die Flüchtlinge werden in einem Quarantänelager untergebracht.

Dr. Vetter erklärte sich bereit und befürwortet die Durchführung dieser Desinfektionsmassnahmen in Buchs.

Dr. Vogt gibt weiterhin die Erklärung ab, dass die Regierung gewillt sei, hinsichtlich der Flüchtlinge genau die gleichen Grundsätze anzuwenden, wie sie die Schweiz anwendet. Die liechtensteinischen Vertreter der Regierung gaben die Zusicherung ab, sämtliche von den schweizerischen Behörden erlassenen Weisungen über die Behandlung der Flüchtlinge mit sofortiger Wirkung zu übernehmen, was von den schweiz. Delegierten mit Befriedigung zur Kenntnis genommen wird.

Über Wunsch der Vertreter Liechtensteins wird sodann die Frage der Überwachung der Grenze erörtert. Oberstleutnant Dr. Vetter erklärte, dass eine Verstärkung der Grenzwache in Liechtenstein nicht weiter in Frage komme als bisher, da sie zu wenig Personal hätten, eine Neuausbildung den Zweck nicht erfüllte und Liechtenstein sowieso zu einem der bestbewachtesten Grenzabschnitte gehöre. Militär unter die Grenzwache zu stellen sei aus Neutralitätsgründen nicht möglich. Er empfiehlt, dass entlang der liechtensteinischen Grenze ein Stacheldrahthindernis errichtet werde, sodass die Bewachung der Grenzübergangsstellen durch die Grenzwache und Hipo sich im wesentlichen auf Strassen beschränken könnte. Auf Befragen erklärten sich die Vertreter des Justiz-& Polizeidepartementes bereit, beim Militärdepartement die Zurverfügungstellung des Stacheldrahtes zu befürworten und weiterhin erklärten sich die Vertreter des Zolldepartementes bereit, uns bei der Anbringung der Hindernisse behilflich zu sein.

Die Vertreter Liechtensteins gaben sodann ihre Zustimmung zur Anbringung dieses Drahthindernisses.

Dr. Schürch klärte über die Erfahrungen auf bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Nach schweizerischer Praxis sind die Flüchtlinge dem Polizeioffizier des Territorialkommandos zuzuführen. Für Liechtenstein angewendet wäre folgende Regelung in Aussicht zu nehmen. Flüchtlinge, die an der Grenze aufgenommen werden, werden den Grenzwachtposten zugeführt. Dieser entscheidet, ob der Flüchtling zuzulassen sei oder nicht. Wenn er zugelassen werde, werde er dem Polizeioffizier des Territorialkommandos Sargans nach Buchs überführt. Wenn er von diesem Organ zugelassen werde, werde er unter Quarantäne gestellt und die Akten für die Polizeiabteilung erstellt, die letztinstanzlich die Aufnahme prüft. Diese prüft auch die Frage der Weiterbehandlung des Flüchtlings. Ausgenommen sind einzelne Sonderfälle, in denen der Bundesrat Stellung bezieht. Sinngemäss müsste also der in Liechtenstein aufgegriffene Flüchtling dem Polizeioffizier der Festung Sargans nach Buchs überstellt, bei Festnahme durch die Polizei im Inland würde Letztere die Flüchtlinge ebenfalls dem Polizeioffizier nach Buchs überstellen. Eine eventuelle Rückführung würde ebenfalls über liechtensteinisches Gebiet erfolgen.

Die beiden Delegationen erklären ihre Zustimmung zu einer solchen Regelung, wobei seitens der schweizerischen Vertreter die Genehmigung durch die vorgesetzte Behörde vorbehalten bleibt. (Nach Abmachungen würden somit die auf liecht. Gebiet übergetretenen Flüchtlinge von der Schweiz übernommen, wobei über die Kostenmittragung erst später etwas vereinbart werden soll.)

Nach Klärung dieser Vorfrage wird sodann der Grenzssanitätsdienst nochmals besprochen und vereinbart, dass für den ordentlichen Grenzverkehr sofort Massnahmen angeordnet werden, damit der Grenzdienst ähnlich wie in der Schweiz gehandhabt werde und der Vertreter des Militärdepartementes erklärte sich bereit, nächste Woche nach Vaduz zu kommen, um an Ort und Stelle die Einzelheiten festzulegen.

Zuletzt dankten beide Delegationen für das gegenseitige Verständnis in den besprochenen Fragen.

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[1] LI LA RF 230/043a/041. Am Schluss des Dokuments handschriftliche Vermerke von Hoop, wonach er am 9.4.1945 Fürst Franz Josef II. Bericht erstattete sowie mit Oskar Wyss telefonierte, der sich wegen der Beschaffung von Stacheldraht umsehen und nächste Woche wegen der Grenzbegehung vorbeikommen werde (vgl. dazu LI LA RF 230/043a/045). Vgl. auch das schweizerische Protokoll unter CH BAR, E 2001 (E), 1969/262, Bd. 62, Az. B.24.Liecht.85, Frage der Aufnahme von Flüchtlingen in Liechtenstein, 1945-1948, Protokoll der Konferenz vom 6.4.1945 in Bern: Grenzsanitätsdienst und Flüchtlingswesen im Fürstentum Liechtenstein.
[2] Die Regierung fasste am 7.2.1945 den Beschluss, den Schweizer Bundesrat um einen verstärkten Grenzschutz zu bitten. Am 14.2.1945 übergaben Hoop und Prinz Heinrich den Beschluss in Bern an Legationsrat Carl Theodor Stucki (LI LA RF 230/043a/018, 019; LI LA V 143/1788).
[3] Die Regierung wies die Gesandtschaft in Bern mit Schreiben vom 21.2.1945 an, Verhandlungen mit der Schweiz einzuleiten, um das "Eindringen epidemischer Krankheiten" durch Flüchtlinge zu verhindern (LI LA RF 230/043a/021). Prinz Heinrich stellte das entsprechende Ersuchen dann mit Note vom 1.3.1945 (LI LA V 143/1788).