Die liechtensteinische Regierung wünscht im Rahmen des Zollvertrages die wirtschaftliche Gleichstellung des Fürstentums mit einem Kanton


Note der Regierung an das Eidgenössische Politische Departement [1]

14.7.1940

Höflichst bezugnehmend auf die verschiedenen Besprechungen, die der Herr Regierungschef Dr.  [Josef] Hoop und Regierungschef-Stellvertreter Dr. [Alois] Vogt mit Herrn Legationsrat Dr. [Peter Anton] Feldscher vom Eidgenössischen Politischen Departement hatte, gestattet sich die fürstliche Regierung im nachstehenden nochmals gewisse Wünsche bezüglich Vertiefung der durch den liechtensteinisch-schweizerischen Zollvertrag geschaffenen gegenseitigen Beziehungen zu unterbreiten. Die fürstliche Regierung möchte vorweg der Hoffnung Ausdruck geben, dass es den Eidgenössischen Behörden möglich sein wird, diesen Wünschen zu entsprechen und damit die Voraussetzungen für eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Fürstentums herbeizuführen.

Mit ihrer Note Zl. 180/103 vom 3. Mai 1938 hat die fürstliche Regierung bereits die Anträge, die sie damals zu stellen hatte, formuliert. [2] Sie kann sich heute deshalb auf eine summarische Wiederholung derselben beschränken.

1.) Verwendung des Armbrustzeichens für liechtensteinische Erzeugnisse

Die fürstliche Regierung hat bereits im Jahre 1935 beim Zentralsekretariate der Schweizer Woche den Wunsch des liechtensteinischen Gewerbes angebracht, seinen Erzeugnissen die Verwendung des Armbrustzeichens zu gestatten. [3] Die Verhandlungen hierüber sind soweit gediehen, dass im allgemeinen der Stattgebung dieses Wunsches nichts im Wege steht. Durch die Übernahme der Schweizerischen Verordnung über die Ursprungszeugnisse [4] dürfte die letzte Voraussetzung für die Zuerkennung des schweizerischen Ursprungszeichens für liechtensteinische Erzeugnisse gegeben sein.

2.) Gleichstellung liechtensteinischer Lastwagenbesitzer mit schweizerischen Lastwagenbesitzern bei Ausführung von Transporten in der Schweiz

Liechtensteinische Lastwagenbesitzer sind in der Schweiz wegen Ausübung von Transporten wiederholt gebüsst worden. Andererseits setzt das Fürstentum Liechtenstein der Ausführung von Autotransporten in Liechtenstein durch schweizerische Lastwagenbesitzer nicht das geringste Hindernis entgegen. Die fürstliche Regierung findet es deshalb nur billig, wenn auf diesem Gebiete seitens der Schweiz Gegenrecht gehalten wird. Es würde auch von den liechtensteinischen Interessenten schwer verstanden werden, dass sie jetzt wieder von der Möglichkeit Transporte in die Schweiz durchzuführen, ausgeschaltet würden, nachdem während der ganzen Dauer des gegenwärtigen Krieges die schweizerischen Behörden die Tätigkeit liechtensteinischer Camioneure nicht nur zuliessen, sondern sogar förderten.

3.) Freie Arbeitsannahme liechtensteinischer Arbeiter, Lehrlinge und Gesellen in der Schweiz

Diese Frage ist so oft Gegenstand von Besprechungen zwischen den zuständigen liechtensteinischen und schweizerischen Stellen gewesen, dass die fürstliche Regierung darauf verzichten kann, sie näher zu erörtern. Ihr Wunsch geht dahin, dass liechtensteinische Arbeiter, Lehrlinge und Gesellen hinsichtlich der Arbeitsannahme und der Regelung des fremdenpolizeilichen Verhältnisses gleichgestellt würden mit jenen eines schweizerischen Kantons. Dies würde in sich schliessen, dass liechtensteinische Arbeiter, Lehrlinge und Gesellen sich frei um Arbeit in der ganzen Schweiz umsehen können und nur zu polizeilicher Meldung verpflichtet wären. Die fürstliche Regierung darf nur noch beifügen, dass dieser Frage gerade in der gegenwärtigen Zeit erhöhte Bedeutung zukommt.

4.) Gegenseitigkeit in der Ausübung von Gewerben

Wiederholt sind liechtensteinische Gewerbetreibende, die in der Schweiz Aufträge bekommen haben, in der Ausübung ihrer Tätigkeit von kommunalen und kantonalen Organen Hindernisse in den Weg gelegt worden. Es ist deshalb der Wunsch des liechtensteinischen Gewerbes, eine Vereinbarung zwischen der Schweiz und Liechtenstein herbeizuführen, nach welcher schweizerische Gewerbetreibende in Liechtenstein und liechtensteinische Gewerbetreibende in der Schweiz ungehindert Aufträge ausführen dürfen.

5.) Handelsreisende

Die Tätigkeit der schweizerischen Handelsreisenden in Liechtenstein auf Grund der grünen und roten Karte ist unbeschränkt. Es wird liechtensteinischerseits keine Kontrolle geübt, ob z.B. die Nächtigung in Liechtenstein oder in der Schweiz erfolgt. Im Fürstentum Liechtenstein wohnhafte Handelsreisende erfahren aber öfter Schwierigkeiten bei ihrer Tätigkeit in der Schweiz. Dass hiemit schwere Nachteile für die wenigen liechtensteinischen Firmen, die Reisende nach der Schweiz entsenden, verbunden sind, liegt auf der Hand. Die fürstliche Regierung wäre deshalb dankbar, wenn auch in dieser Hinsicht seitens der Schweiz Gegenrecht geübt würde.

6.) Gegenseitige Belieferung mit Waren

Schweizerische Unternehmer beliefern liechtensteinische Konsumenten direkt in einer dem Hausiergewerbe nahestehenden Form durch Besuche von Haus zu Haus, wobei die Waren im Auto mitgeführt werden. Brot, Fleisch, Lebensmittel anderer Art, Schuhe u.s.w. Versuche liechtensteinischer Geschäftsleute gleiche oder ähnliche Geschäfte in einem viel kleineren Ausmasse im schweizerischen Grenzgebiet zu tätigen, erfahren grosse Schwierigkeiten durch das Verhalten der kommunalen oder kantonalen Organe. Infolge Bussen und anderer Verfügungen sind solche Geschäfte von Liechtensteinern im schweizerischen Grenzgebiete geradezu unmöglich gemacht.

7.) Anerkennung der Ohrmarken liechtensteinischer Viehzuchtgenossenschaften

Im Jahre 1931 wurde das von der fürstlichen Regierung gestellte Gesuch um Anerkennung der liechtensteinischen Braunviehzuchtgenossenschaften, der liechtensteinischen Belegscheine und Ohrmarken abschlägig beschieden. [5] Auch alle späteren Versuche, eine solche Anerkennung zu erzielen, sind gescheitert. Indessen liegt nach Ansicht der fürstlichen Regierung kein Grund vor, liechtensteinische Zuchttiere den schweizerischen nicht gleichzustellen. Die liechtensteinische Viehzucht hat in den letzten Jahren solche Fortschritte gemacht, dass von einer Minderwertigkeit des liechtensteinischen Viehes wohl nicht mehr gesprochen werden kann.

8.) Liechtensteinische Landesbank

Die fürstliche Regierung beantragt, dass der Sparkasse für das Fürstentum Liechtenstein (Liechtensteinische Landesbank) die völlige Gleichstellung mit einer Schweizerischen Kantonalbank eingeräumt werde. Dies hätte zur Folge, dass dem Institute der Weg zur Darlehenskassa der Schweizerischen Eidgenossenschaft in Bern und zur Pfandbriefzentrale der schweizerischen Kantonalbanken oder allenfalls der Pfandbriefbank Schweizerischer Hypothekar-Institute geöffnet würde. Eine weitere Folge sollte die Möglichkeit des Eintrittes der Landesbank bezw. von Organen derselben in die Schweizerische Bankiervereinigung sein.

9. Ausübung freier Berufe

Nach wie vor üben schweizerische Ärzte, Rechtsanwälte und Architekten ihren Beruf in Liechtenstein ohne irgendwelche behördliche Beschränkung aus. Nicht das Gleiche ist in der Schweiz der Fall, wo immer wieder die liechtensteinische Staatsangehörigkeit ein Ausschliessungsgrund von der Berufsausübung darstellt.

Die fürstliche Regierung gestattet sich deshalb auch in dieser Frage gegenseitige Gleichstellung zu beantragen.

10. Kriegsrisikoversicherung

Seit Beginn des Krieges bemühte sich die fürstliche Regierung die Zulassung liechtensteinischer Exportfirmen zur Eidgenössischen Kriegsrisikoversicherung zu erreichen. Verschiedene Verhandlungen mit dem Kriegstransportamt und dem Eidgenössischen Versicherungsamt der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartementes und dem Politischen Departement führten bisher zu keiner endgiltigen Regelung dieser Frage. Als Grundlage der Zulassung liechtensteinischer Exportfirmen zur Kriegsrisikoversicherung wurde die Erklärung der Anwendbarkeit der Schweizerischen Ursprungszeugnisverordnung auf das Gebiet des Landes Liechtenstein vereinbarungsgemäss angenommen. Mit dem 7. März 1940 wurde wurde die genannte Eidgenössische Verordnung für das Land Liechtenstein anwendbar erklärt und damit die Voraussetzungen für die Zulassung liechtensteinischer Firmen zur genannten Versicherung geschaffen.

Die fürstliche Regierung gestattet sich deshalb nochmals auf die Dringlichkeit der Lösung dieser Frage hinzuweisen.

Zusammenfassend möchte die fürstliche Regierung den Wunsch aussprechen, dass dem Fürstentum Liechtenstein im Rahmen der Schweizerischen Eidgenossenschaft wirtschaftlich die völlige Gleichstellung mit einem Kanton eingeräumt wird. Es schiene ihr das einfachste, wenn diese Stellung in einem Zusatzabkommen zum liechtensteinisch-schweizerischen Zollvertrage festgelegt würde. Damit wäre die Gewähr gegeben, dass nicht fallweise langwierige Verhandlungen mit den Kantonen oder interessierten Vereinigungen einsetzen müssten, um eine Regelung herbeizuführen.

Die fürstliche Regierung möchte nicht unterlassen, das Eidgenössische Politische Departement ihrer Dankbarkeit für das so oft bewiesene Wohlwollen der Eidgenossenschaft zu versichern. Wenn sie heute neuerlich mit einer Anzahl Anliegen an die Eidgenossenschaft herantritt, geschieht dies aus dem Zwange der eingetretenen Verhältnisse heraus, wobei sie allerdings ihrer Hoffnung Ausdruck gibt, dass die Erfüllung der Wünsche eines kleinen mit der Schweiz seit Jahren so eng verbundenen Landes keine untragbare oder auch nur ins Gewicht fallende Belastung darstellt. Sie spricht deshalb nochmals die Bitte um eine wohlwollende und rasche Prüfung vorstehender Anträge aus und benützt die Gelegenheit, das Eidgenössische Politische Departement ihrer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern. [6]

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[1] LI LA RF 180/103/028.
[2] LI LA RF 180/103/004.  
[3] Die Regierung fragte im August 1935 beim Zentralsekretariat der Schweizerwoche an, ob das Armbrustzeichen auch für liechtensteinische Produkte verwendet werden dürfe. Die Schweizerwoche teilte mit Schreiben vom 23.3.1936 mit, dass eine Beteiligung Liechtensteins an den Aktionen der Schweizerwoche und die Verwendung des Armbrustzeichens nicht möglich sei (LI LA RF 155/067/002/041).   
[4] Bekanntmachung von 7.3.1940 über die Anwendbarkeit der Schweizerischen Ursprungszeugnisverordnung (vom 9.12.1929), LGBl. 1940 Nr. 7.
[5] Die Regierung verhandelte ab 1930 - vorerst erfolglos - mit dem Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement wegen der Anerkennung der liechtensteinischen Ohrmarken für Vieh (Rech.ber., 1930, S. 57, 1931, S. 57).
[6] Das Eidgenössische Politische Departement antwortete der liechtensteinischen Regierung mit Note vom 3.8.1940, dass die Angelegenheit an die zuständigen Behörden im empfehlenden Sinn weitergeleitet und der ganze Fragenkomplex seitens derselben einer eingehenden Prüfung unterzogen werde (LI LA RF 180/103/031). In der Folge kam die Schweiz dem Fürstentum partiell entgegen, etwa bei den Schweizer Ursprungszeugnissen oder bei den Ohrmarken. Nicht erreicht wurde der Kantonalbankstatus. Ergebnislos blieb auch das Bemühen Liechtensteins um das Armbrustzeichen für liechtensteinische Produkte.