Die Schweiz fordert Liechtenstein auf, schärfer gegen die nationalsozialistischen Umtriebe im Land vorzugehen und die Finanzeinbürgerungen einzustellen


Note des Eidgenössischen Politischen Departements, Abteilung für Auswärtiges, an die liechtensteinische Regierung [1]

30.1.1939

Der Fürstlich Liechtensteinischen Regierung beehrt sich das Eidgenössische Politische Departement auftragsgemäss mitzuteilen, dass den Bundesbehörden verschiedene Vorkommnisse zur Kenntnis gelangt sind, welche das schweizerische Interesse in wesentlichem Masse berühren. [2]

Vor einigen Wochen unterrichtete Herr Regierungschef Dr. [Josef] Hoop die Öffentlichkeit über nächtliche Anschläge mit Sprengkörpern, die anscheinend gegen jüdische Bewohner Liechtensteins gerichtet waren. [3] Es soll der Polizei nicht gelungen sein, der Täter habhaft zu werden. In den letzten Tagen sind in liechtensteinischen Gemeinden zahlreiche Flugblätter verteilt worden, die zum Teil gegen die jüdische Beeinflussung des öffentlichen Lebens in Liechtenstein, zum Teil aber auch gegen die Vertragsgemeinschaft des Fürstentums mit der Schweiz sich wenden und die liechtensteinische Bevölkerung auffordern, an deren Stelle Anschluss an den deutschen Wirtschaftsraum zu suchen. [4]

Das Politische Departement muss mit Bedauern feststellen, dass gegen alle diese Erscheinungen in Liechtenstein bisher kaum ernstliche behördliche Vorkehren getroffen wurden, oder dass solche zum mindesten durchaus erfolglos geblieben sind. Es kann nicht verschwiegen werden, dass dieser Zustand die schweizerischen Behörden mit einer gewissen Besorgnis erfüllt und sie nötigt, zur Wahrung der schweizerischen Rechte und Interessen in Liechtenstein vorsorgliche Massnahmen zu treffen. Es sind deshalb vor allem die schweizerischen Zollorgane an der liechtensteinisch-deutschen Grenze angewiesen worden, die Kontrolle über die Einfuhr von Gegenständen nationalsozialistischer Propaganda zu verschärfen und solches Material, das ansonst ungehindert in die Schweiz eindringen könnte, gegebenenfalls zu beschlagnahmen. Ferner darf das Departement die Erwartung zum Ausdruck bringen, dass seitens der Fürstlichen Regierung so rasch als möglich ähnliche Vorschriften, wie sie in dem beigegebenen Bundesratsbeschluss vom 5. Dezember 1938 betreffend staatsgefährliche Umtriebe enthalten sind, auch für das Gebiet des Fürstentums erlassen werden. [5]

Das Politische Departement gestattet sich ferner, daran zu erinnern, dass seitens des Herrn Regierungschefs verschiedentlich die Erklärung abgegeben worden ist, es würden keine Einbürgerungen jüdischer Emigranten im Fürstentum mehr zugelassen. Nach zuverlässigen Mitteilungen sollen entgegen dieser Zusicherung noch in der allerletzten Zeit Einbürgerungen von Emigranten erfolgt sein, die ganz bedeutende Gebühren hiefür hätten erlegen müssen. Diese Praxis berührt die Schweiz in verschiedener Hinsicht. Denn einmal wird es für die schweizerischen Behörden mit Schwierigkeiten verbunden sein, solche Neubürger am Betreten schweizerischen Gebietes zu verhindern, solange die Grenzkontrolle an der liechtensteinisch-schweizerischen Grenze aufgehoben ist. Ausserdem aber wird das Politische Departement vielleicht auch genötigt, sich der Interessen solcher neu eingebürgerter Liechtensteiner gegenüber fremden Staaten anzunehmen, da es die Vertretung der liechtensteinischen Interessen im Auslande ausübt. Schliesslich ist nicht zu verkennen, dass die Niederlassung solcher Emigranten im Grenzlande Liechtenstein der nationalsozialistischen Propaganda Stoff zu einer vielleicht nicht in allen Teilen ungerechtfertigten Kritik bietet und Grund zu steter Beunruhigung bildet, die für das Land auch in finanzieller und kreditpolitischer Hinsicht, wie die Ereignisse des letzten Jahres zeigten, sehr nachteilig sein kann.

Angesichts der geschilderten Verhältnisse sehen sich die Bundesbehörden veranlasst, der Fürstlichen Regierung diese Sachlage zu ganz besonderer Beachtung zu empfehlen und sie zu bitten, gleichzeitig davon Kenntnis zu nehmen, dass bis zur Klärung der Situation der noch nicht in Anspruch genommene Kredit des Bundesrates gesperrt bleiben muss. [6]

Das Departement gibt sich gerne der Hoffnung hin, dass die Fürstliche Regierung in der Lage sein wird, bald beruhigende Aufschlüsse zu geben, die es erlauben würden, die ergriffenen Vorsichtsmassnahmen wieder aufzuheben. [7]

Es benützt auch diesen Anlass, der Fürstlichen Regierung die Versicherung seiner ausgezeichneten Hochachtung zu erneuern.

1 Beilage

______________

[1] LI LA RF 185/101/069-070. Aktenzeichen: B 14.21 Liecht. 2/14 -SB. Paraphe, wohl von Pierre Bonna. Die Note ist ediert in DDS, Bd. 13, Nr. 16, Anhang. Auf der Rückseite des zweiten Blattes handschriftliche, z.T. stenographische Notizen von Josef Hoop zur Vorbereitung von Besprechungen mit Vertretern des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements am 29./30.3.1939. Zu diesen Besprechungen vgl. CH BAR E 2001 (E), 1969/262, Bd. 15, Az. B.14.21.02.33, Regelung der Beziehungen zum Fürstentum Liechtenstein nach dem Anschluss von Österreich an das Deutsche Reich, 1935–1962, Conférence du 30 mars 1939 au matin und Conférence du 30 mars 1939, après-midi. 
[2] Der Bundesrat hatte den Text der Note am 30.1.1939 gutgeheissen und das Politische Departement mit deren Ausführung beauftragt. Anlass zur Note war einerseits die Weigerung Liechtensteins, der Schweiz das strategisch wichtige Ellhorn abzutreten, andererseits die schweizerische Besorgnis, dass Fürst Franz Josef II. und die liechtensteinische Regierung der immer stärker werdenden nationalsozialistischen Bewegung in Liechtenstein "freie Hand" lassen wollten und beabsichtigten, "den Dingen mehr oder weniger ihren Lauf zu lassen". Der Bundesrat erachtete es daher als notwendig, "die Regierung des Fürstentums zu veranlassen, eindeutig Farbe zu bekennen" (DDS, Bd. 13, Nr. 16).
[3] Zur Böllerkampagne der Volksdeutschen Bewegung im Herbst 1938 vgl. LI LA V 005/1938/1431 (a), Walter Wohlwend an Heinrich Feger, 29.11.1938; LI LA J 007/S 071/327 (a), Bericht des Sicherheitskorps an das Landgericht, 2.12.1938.
[4] Zu den Flugblättern der Volksdeutschen Bewegung im Januar 1939 vgl. LI LA J 007/S 072/064/Fasz. 1/IV/002.
[5] Bundesratsbeschluss vom 5.12.1938 betreffend Massnahmen gegen staatsgefährliche Umtriebe und zum Schutze der Demokratie (AS 1938, Bd. 54, S. 856-858). Die Beilage fehlt im Akt.
[6] Die Schweiz gewährte Liechtenstein Ende 1938 einen Kredit von 2 Millionen Franken. Die Hälfte des Kredits wurde am 30.12.1938 ausbezahlt (LI LA RF 185/101/066).
[7] Liechtenstein beantwortete die Note erst am 5.7.1939 (LI LA RF 185/101/075-076).