Im "Liechtensteiner Volksblatt" wird der Huldigung an Fürst Franz Josef II. vom Mai 1939 gedacht und an den liechtensteinischen Patriotismus appelliert


Leitartikel im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

25.1.1941

Lebendiges Liechtensteinertum

Dem Liechtensteiner sind Fürst, Vaterland, Freiheit und Selbstbestimmung des Volkes Inbegriff alles politischen Denkens. Was am 29. Mai 1939 bei der Huldigung angesichts des Schlosses Vaduz sich abspielte [2], lebt im Volke gleich wahr und unverfälscht fort. Die Worte des Schwures, den Fürst [Franz Josef II.] und Volk sich an jenem historischen Tage leisteten, hallen immer noch in den Herzen nach, ihre Bekräftigung wird immer neu, so oft der Liechtensteiner sich beim Gedanken trifft, es könnte seinem Lande, seinem Volke und der Freiheit desselben von irgendeiner Seite eine Gefahr erstehen. Damals, als Landespräsident Pfarrer A. [Anton] Frommelt den ersten Satz der Schwurformel sprach, nahm ihm die gegen zehntausendköpfige Menge das Wort buchstäblich aus dem Mund, um dessen Wahrhaftigkeit im kräftigen Nachhall zu bestätigen und zu untermauern. [3] Es war dies keine Episode, kein Vorübergang oder etwa eine zeitbedingte Begeisterung, lebendiges Liechtensteinertum quoll da unverhalten aus den Tausenden von Herzen. Gewiss war es ein Ausdruck lebhafter Sympathie für unsern jungen Fürsten und ein Dank an die verstorbenen edlen Sprossen einer Durchlauchten Dynastie und an ein ganzes Fürstenhaus, es war aber auch der tief im Wesen des Liechtensteiners verwurzelte Wille, in der hergebrachten Staatsform mit seinem Fürsten sein Geschick selbst zu bestimmen. Und so urwüchsig jener Schwur aus dem Herzen des Volkes gegen die Berge scholl, so wenig wird auch dieser Wille im Liechtensteiner verblassen.

Die Zeit mag vieles ändern. Seit dem Mai 1939 sind auf dem europäischen Kontinent Staaten verschwunden und vieles neu gemodelt worden, auch unser Volk musste einmal mit Bangigkeit die nächste Entwicklung verfolgen. All dies hat am einzigen grossen Wollen fürs Vaterland nichts geändert. Die oberste Führung anvertrauten wir immer Gottes Hand, auf unseren Fürsten bauen wir und setzen unser Bestes in unser tägliches Schaffen, unser Volk und Land in allen Wirren durchzuhalten. Wir erinnern an die Thesen, die hinüber und herüber den Äther durchquerten mit der Frage, ob es überhaupt noch eine Neutralität geben könne, ob nicht der Bestand des kleinen Staates Unbekömmliches für den Grossraum bedeute, und dass schliesslich auch v. Neutralen für einen Partner Stellung bezogen werden müsste. Keines von diesen trifft zu, echte Neutralität muss und kann nur von dem Willen getragen sein, dem eigenen Vaterlande rückhaltlos zu dienen und die Stellung der andern zu achten. Heute können die Schweiz, Jugoslawien, Schweden und Portugal und an ihrer Seite Liechtenstein [4] als neutrale Staaten angesprochen werden. Wenn wir aber von Neutralität und vom Willen des Volkes zur strikten neutralen Haltung sprechen, haben wir unser Volk im Auge. Von ihm wissen wir, wie es denkt, wir wissen, dass die Erhaltung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit unseres Landes das einzige im Volke verkörperte Wollen in unserem Lande ist. In diesem Wollen tritt das lebendige Liechtensteinertum täglich an uns heran, das im Mai 1939 sich in der Äusserung eines glühenden Patriotismus rückhaltslos Bahn brach.

Unter den unlängst an Regierung u. Landtag ohne Rücksicht auf die finanzielle Leistungsfähigkeit von Land und Gemeinden gestellten Forderungen [5] sahen wir auch die auf Freigabe eines fremden Hoheitszeichens. [6] Es würde sich um die Heraushebung eines Einzelfalles aus einem allgemeinen Verbote handeln. Die Frage, ob so etwas mit dem unbedingten Neutralitätswillen des Volkes zu vereinbaren wäre, scheint uns überflüssig. Eine solche Forderung steht dem allgemeinen Volkswillen und den ureigensten Gesetzen der Neutralität entgegen. Diese Forderung und das Gebahren der sie erhebenden Träger hat mich an die Zeit der revolutionsschwangeren Zeit des Jahres 1809 erinnert. Damals haben Unüberlegte zum Anschlusse an die vorarlbergischen Freiheitskämpfer sich bewegen lassen; dem Geiste verfassungstreuer Männer war es zu verdanken, dass unser Land vor verhängnisvollem Irrtum bewahrt blieb. Auch die betonte Abhänglichkeit von der Schweiz, der wir in jenen Forderungen begegnen konnten, war ebenfalls nicht von dem Willen zu einer unbedingten Neutralität getragen. Liechtenstein hat mit der Schweiz aus freiem Ermessen ein Wirtschaftsbündnis geschlossen. Aus der Erfahrung war uns bekannt, dass wir gewissen polizeilichen Belangen des Wirtschaftspartners die Grenze öffnen würden. Dass es aber Pflicht und ebenso selbstbewusstes und lebendiges Liechtensteinertum ist, zum Vertragspartner zu stehen und in unsern Interessen auch seine zu wahren, ergibt sich aus der einem Staatsvertrag innewohnenden Moral, selbst wenn nicht das Volk in der ganzen Geschlossenheit die Beibehaltung und die Vertiefung des heutigen Verhältnisses wünschte. Derartige Anführungen einer unberufenen Feder sind zumindest eine grobe Entgleisung und haben vor dem Tribunal des Volkes keinen Bestand.

Das echte Liechtensteinertum wächst auch aus der Geschichte. - Sie ist gross genug, den Tatendrang einer lebenden Generation zu fassen. Am friedlichen und zielbewussten Schaffen der Väter, an der weisen und tatkräftigen Führung durch unsere Fürsten kann sich jeder Liechtensteiner grossziehen. Und ist es nicht ein wundersamer Weg, den in unserer Geschichte die Vorsehung uns führte? Wir können ruhig behaupten, dass kaum ein Staat Europas in einer derart friedlichen Entwicklung werden konnte, wie gerade unser kleines Fürstentum. Das, was sie uns in rund 600 Jahren werden liess, geschah nicht in Blutvergiessen und Gewalt, ein ganz natürliches Werden hat unser Vaterland von heute gebracht. Die Leidenswege des Volkes führten meist durch Zeiten, in denen fremde Interessen nicht nach denen dieses kleinen Volkes am oberen Rheine fragten. Umsomehr können es auch die Leiden sein, die mit dem zähen Ringen der Vorfahren Eckpfeiler unseres völkischen Denkens und Fühlens sein können. Eben heute erfahren wir doppelt die Wohltat dieser unserer Geschichte, aus der lebendiges Liechtensteinertum reichlich seine Nahrung zieht. Grosse Männer wiesen uns den Weg, kräftige Volksgestalten beschritten ihn, und wir gehen ihn auch in schwerer Zeit opferbereit weiter, aber auch bereit, Verfälschungen echten lebendigen Liechtensteinertums mit ganzer Kraft entgegenzutreten. [7]

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[1] L.Vo., Nr. 9, 25.1.1941, S. 1.
[2] Siehe hiezu etwa den Bericht über die Huldigungsfeier für Fürst Franz Josef II. im "Liechtensteiner Volksblatt" vom 31.5.1939 (L.Vo., 1939.05.31).
[3] Vgl. auch die Ansprache von Landtagspräsident Anton Frommelt an der Huldigungsfeier (L.Vo., 1939.06.03).
[4] Vgl. die Notifikation der liechtensteinischen Neutralität durch die Regierung an das Eidgenössische Politische Department am 30.8.1939 (LI LA RF 193/056/001/058).
[5] Siehe z.B. die Forderungen der Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein (VDBL) betreffend die Umgestaltung des Landes im nationalsozialistischen Sinn im "Umbruch" vom 14.12.1940 (Umbruch, 1940.12.14).
[6] Mit Art. 1 der der Verordnung vom 20.5.1940, LGBl. 1940 Nr. 9, war von der Regierung während der Dauer des Krieges das öffentliche Hissen, Aushängen und Herumtragen ausländischer Fahnen, Flaggen, Landesfarben und anderer Hoheitszeichen auf dem Gebiet Liechtensteins verboten worden. Die genannte Verordnung wurde durch Art. 28 Abs. 2 des Staatsschutzgesetzes vom 14.3.1949 aufgehoben, LGBl. 1949 Nr. 8.
[7] Vgl. in diesem Zusammenhang die "Eschner Rede" von Regierungschef Josef Hoop vom 11.12.1938, abgedruckt im "Liechtensteiner Volksblatt" vom 13.12.1938 (L.Vo., 1938.12.13).