Der Landtag diskutiert über die Einbürgerung von Juden


Protokoll der nichtöffentlichen Landtagssitzung, gez. Schriftführer Johann Georg Hasler, Schriftführer Ferdinand Heidegger und Landtagspräsident Anton Frommelt [1]

18.6.1936

2. Einbürgerung Max Albert Bloch [2]

Dr. [Otto] Schädler wünscht, dass inskünftig jeweils die Tagesordnungen den Abgeordneten zugestellt werden, damit diese wissen, was zur Behandlung steht.

Präsident [Anton Frommelt] bemerkt, dass sich die Praxis herausgebildet habe, dass Einbürgerungen erst bei der Sitzung bekannt gegeben werden. Weiteres habe nichts zur Behandlung gestanden und es sei dies als ein Ausnahmefall anzusehen.

Dr. Schädler beantragt, die Aufnahme des Bürgerrechtswerbers abzulehnen, weil er Jude sei und die Unterlagen nicht vollauf entsprächen. Er kommt auch auf den Einbürgerungsfall des Khan [Mohammed Hossein] Ayrom zu sprechen, der, soviel ihm von einer Seite mitgeteilt worden sei, auch nicht ganz einwandfrei sei. [3] Er regt an, dass man diesen Fall im Auge behalte und evtl. von der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit der Aberkennung des Bürgerrechtes im Bedarfsfalle Gebrauch mache.

Präsident klärt über den Fall Ayrom auf im Sinne der politischen Schwierigkeiten Ayroms in der Heimat. Er habe diese Darlegungen selbst bei der Regierung deponiert und sei in dieser Sache nicht im Sinne einer Täuschung vorgegangen. Dabei sei wohl zu bemerken, dass wohl die meisten Bürgerrechtswerber aus irgend einem bestimmten Grunde sich ein neues Bürgerrecht verschaffen und dass jedenfalls der Bürgerrechtswerber die damit verbundenen Auslagen mit den Vorteilen des neuen Bürgerrechtes abwägen werde.

Dr. Schädler: nimmt noch einmal Stellung zur Einbürgerung von Juden und führt aus: Jeder von uns weiss, dass die Juden lieber ausgebürgert als als Bürger aufgenommen werden. Ich sehe keine Veranlassung, dass wir hier die Juden, die anderswo abgelehnt werden, hier aufnehmen sollen. Verschiedene Staaten klassifizieren ihre Leute in Staatsbürger und Reichsangehörige. Es ist leicht, einen günstigen Leumund zu erhalten für Leute, die ein Interesse haben, an einem anderen Orte eingebürgert zu werden. Schon aus diesen Gründen möchte ich empfehlen, diese Einbürgerung abzulehnen. Wir wollen den Liechtensteinern das erhalten, was wir sind. Es gibt manche, die aus reiner Vergrämung etz. eine andere Staatsbürgerschaft aufsuchen. Wenn solche herkommen, die reine Wäsche haben, dann ist es leicht möglich, sie aufzunehmen. Wenn aber andere Momente massgebend sind, dass man Verbrechen oder unsauberes Verhalten oder schliesslich eine gewisse Abstammung nachweisen kann, dann soll man sie nicht hereinnehmen.

Präsident: Ich bin auch der Ansicht, das alle Vorsicht gewaltet werden soll. Wenn wir auf die warten, die aus Idealismus zum Lande Liechtensteiner werden, dann müssen wir alle bisherigen ausbürgern und in Zukunft von jeder Einbürgerung abstehen. Die Ansicht Dr. Schädlers bzgl. der Juden hingegen ist nur schwer zu teilen. Es ist verfehlt, nach dem Blut zu urteilen. Man soll den Menschen nach seinem Charakter beurteilen. Es hat auch anständige Menschen unter den Nichtariern. Vom christlichen Standpunkte aus ist Mensch eben Mensch und es kommt nicht auf die Rasse an, sondern auf das, was einer tut. Diese Beurteilung nach Rasse und Blut ist zu sehr ausländischen Verhältnissen entlehnt und wir haben keinen Grund, diesen Standpunkt auch bei uns anzuwenden. Diese Rassengeschichten sollte man bei uns zum Verschwinden bringen.

Dr. Schädler: Mit dieser Auffassung bin ich nicht einverstanden. Wir sind ein eigenes Völklein und ich bin dagegen, dass der Charakter unseres Volkes durch fremdstämmige Menschen verunreinigt wird. Ich prophezeie nicht viel, aber ich glaube, es geht in Erfüllung, dass wenn die Judeneinbürgerung lax gehandhabt wird, das Judenprogrom in unserem Lande auftaucht und die, welche heute schützend mitmachen, werden dann mithelfen müssen, sie hinauszuwerfen. Wenn ein Jude sich irgendwo festsetzt, so wird er dafür sorgen, dass der nächste wieder ein Jude ist. Der Antisemitismus wird bei uns erst kommen. Damit er aber nicht akut werde, schneiden wir das Übel bei der Wurzel ab. Ich möchte auf den Fall Rotter verweisen. [4]

Präsident: Diesen Fall anzuziehen steht uns am allerwenigsten an, nachdem wir hier unangenehme Erfahrungen haben machen müssen.

Risch Ferdi [Ferdinand]: befürwortet die Aufnahme und erwähnt einen Einbürgerungsfall [Josef] Stiegelmayer, der ein anständiger und freigebiger Mensch sei, wie sie noch keinen gehabt hätten in Schaan. [5]

Reg.Chef [Josef Hoop]: betont, dass er nicht ein grosser Freund sei von allzuviel Juden, er halte aber vom wirtschaftlichen Standpunkte aus einen ausgesprochenen Antisemitismus für unsere besonderen kleinen Verhältnisse als sehr gefährlich. Mit Ausnahme des Falles Rotter seien bis heute noch keine Schwierigkeiten zu verzeichnen gewesen. Das Land werde auch nicht überschwemmt werden, da das Betätigungsfeld anderswo liege. Was die Wirtschaft betreffe, müsse geschaut werden, Arbeit und Verdienst zu verschaffen, da die Schweiz auf lange Sicht gesperrt sei. Wenn aber der Antisemitismus aufgezäumt werde, so sei auch die Gründung von neuen Industrien erschwert oder ganz fertig. Man habe z.B. erst kürzlich mit einer Firma in Zürich verhandelt, die sich hier etablieren und eine Fabrik gründen wollte, die viele Arbeitslose beschäftigt hätte. Die Verhandlungen seien vor dem Abschluss gestanden, dann aber habe die Behandlung des Falles [Sally] Isenberg sie bewogen, nicht hieher zu kommen. Aus wirtschaftlichen Gründen möchte er bitten, niemals die Äusserungen Dr. Schädlers in der Öffentlichkeit breitzuschlagen.

Auf die Frage des Reg.Chef, was für eine Stellung Dr. Schädler zu jenen Leuten bezw. Juden einnehme, die Arbeit bringen und hier Betriebe aufmachen, antwortete Dr. Schädler, dass solche begrüsst werden. Wenn sie nur als Gäste hier seien, seien sie beruhigt. Bei diesen bestehe auch die Möglichkeit des jederzeitigen Entzuges der Aufenthaltsbewilligung. Als Bürger jedoch sollten Juden nicht aufgenommen werden.

[Philipp] Elkuch und [Franz Xaver] Hoop teilen die Bedenken Dr. Schädlers nicht. Die Gemeinden würden auch Geld benötigen.

Der Landtag beschliesst sodann mit 8 Stimmen, bei Seiner Durchlaucht [Franz I.] die Aufnahme des Bürgerrechtswerber zu beantragen.

 

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[1] LI LA LTP 1936/086.
[2] Vgl. das Einbürgerungsdossier LI LA V 004/1936/03.  
[3] Zur Einbürgerung von Ayrom vgl. LI LA V 004/1936/02, LI LA LTP 1936/042.
[4] Die 1931 in Mauren eingebürgerten Brüder Alfred und Fritz Schaie, genannt Rotter, wurden im März 1933 Opfer eines Entführungsversuchs durch liechtensteinische Nationalsozialisten. Der Anschlag misslang, Alfred und seine Frau Gertrud stürzten jedoch auf der Flucht zu Tode.
[5] Zur Einbürgerung von Josef Stiegelmayer vgl. LI LA V 004/1935/04, LI LA LTP 1935/063.