Der Landtag debattiert im Zuge des Friedenschlusses der Parteien über das Vorgehen gegen die einheimischen Nationalsozialisten und das Verhältnis zur Schweiz


Protokoll der Konferenzsitzung des Landtags, ungez. [1]

30.3.1938

Präsident [Anton Frommelt]: Zur Diskussion steht als einziger wichtiger Punkt die Umbildung der Regierung. Ich gestehe gerne, dass die Befürchtung, wie sie bei der letzten Sitzung war, [2] heute um ein Bedeutendes zurückgemildert ist. Man hat einen ruhigeren und sicheren Boden wieder unter den Füssen und so kann ich aus persönlicher Meinung heraus zur Behandlung des Gegenstandes die Hand bieten und sie begrüssen unter der Voraussetzung, dass es zu einer ernsten und vernünftigen Befriedung führen werde.

Reg.Chef [Josef Hoop]: Ich habe mir vorgestellt, dass die Umbildung in der Form erfolgt, dass die bisherigen Mitglieder der Regierung zurücktreten. Ich bin in der Lage, den Herren Abgeordneten zu erklären, dass alle Regierungsmitglieder ihre Demission angeboten haben [3] und ich möchte bitten, um einen Unterbruch in der Geschäftsführung nicht eintreten zu lassen, zur Neuwahl zu schreiten. Nach aussenhin soll das Wort "Demission" vermieden werden. Wir dürfen nach aussenhin nur von einer Umbildung reden. Nach den Abmachungen zwischen den Parteien hätte die Bürgerpartei den Reg.Chef, die Union den Reg.Chef-Stellvertreter, die B.P. einen ständig amtierenden Regierungsrat und die Union einen nicht ständig amtierenden Reg.Rat. [4] Anschliessend an die Wahlen hätte ich mir vorgestellt, sollte eine gemeinsame einhellige Erklärung des Landtages erfolgen, dass beide Fraktionen des liecht. Landtages auf dem Standpunkte stehen, die Souveränität und Selbständigkeit des Landes unter dem Fürstenhause zu wahren und daran unentwegt festzuhalten und auch an den bestehenden Verträgen festzuhalten. Das wird von verschiedener Seite gewünscht und eine solche Erklärung wäre geeignet, in der Schweiz eine Beruhigung hervorzurufen. Das Land hat infolge der eingetretenen Verhältnisse einen Steuerausfall von ca. 1/4 Million und die Safes der Sparkasse sind geleert worden.

Präsident: Es wird notwendig sein, die Propositionen der Parteien zu diskutieren. Ich hätte am liebsten gesehen, wenn man ohne Betonung der Parteien bestimmt hätte. Man sollte den Parteistandpunkt überhaupt ausser Acht lassen. Ich würde weniger vom Standpunkte der Partei diese Nominationen machen, als vielmehr vom Standpunkte des Landtages. Ich glaube, das würde auch nach aussen das Bild verschönern.

Beck Wend. [Wendelin]: Ich möchte Auskunft, was der Reg.Chef. in Berlin ausgerichtet hat.

Reg.Chef: Ich hatte in Berlin Gelegenheit, mit Politikern und Staatsmännern in Fühlung zu kommen und auch mit unserem Vertreter in Berlin und ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Grenzen Liechtensteins respektiert werden. Wir haben nichts zu befürchten für unsre Selbständigkeit, es sei denn, dass eine Bewegung in Liechtenstein entsteht. [5] Der schweiz. Gesandte in Berlin [Paul Dinichert] hat mir genau die gleichen Eindrücke geschildert. Vorgestern war ich in Feldkirch und hatte Gelegenheit, mit dem neuen Bezirkshauptmann [Ignaz Tschofen] und anderen zu reden und sie stehen ebenfalls auf dem Standpunkte, dass wir Liechtensteiner seien und bleiben. Also aussenpolitisch ist die Sachlage befriedigt. Die grosse Kunst wird sein, zu vermeiden, dass von Liechtenstein aus Anschlussbewegungen oder so etwas erfolgen.

[Ferdinand] Heidegger: Ich möchte fragen, wie es sich verhält und was gemacht wird, wenn in Liechtenstein solche Versammlungen und Anschlussbewegungen entstehen.

Reg.Chef: Ich möchte da nicht mit Verboten einschreiten, weil ich fürchte, es könnte eine Reaktion kommen, die unerwünscht wäre. Wenn wir anfangen, das Hakenkreuz zu verbieten, dass bekommt es einen Reiz, sonst gehen sie von sich selber wieder ab von diesen Lapalien.

[Peter] Büchel: Wir haben diese Frage in der Regg. besprochen und sind zu diesem Standpunkte gekommen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam machen, welche Folgen solche Versammlungen für unser hier bestehende Kapital hat. Mit was soll man die Arbeiterschaft beschäftigen und die Armen beschützen, wenn noch mehr Kapital abwandert. Ich bin von schweizer Seite aufmerksam gemacht worden, was für eine Beunruhigung es in Zürich ausgelöst hat und wie man Liechtenstein weiter im Auge behalte. Diese Leute sind schon am Abend vor der letzten Landtagssitzung aufgeklärt gewesen. Sie haben ihre Vertrauensleute hier und das Kapital ist empfindlich. Unsere Entwicklung haben wir vielfach diesen Geldern zu verdanken und man sollte sie auch in Zukunft zu halten versuchen. Die letzte Landtagssitzung ist Veranlassung gewesen, dass soviele jährliche Steuern dem Lande entgangen sind.

Dr. [Otto] Schädler: Es ist betont worden, dass der Hauptabgang von Gesellschaften auf die letzte Landtagssitzung zurückzuführen sei.

Präsident: Der Abgang der Steuergelder ist erfolgt durch die Lage als solche. Die Landtagssitzung kann nicht als Begründung aufgestellt werden für den Abgang der Gelder.

Dr. Schädler: Ich möchte noch ergänzen, dass mir bekannt ist, dass bedeutende Gesellschaften schon vor der Landtagssitzung liquidiert haben. Eine grosse Anzahl ist vorher schon fort.

Präsident: Es wäre ungerecht, wenn man die Landtagssitzung als einziges Motiv der Abwanderung von Gesellschaften feststellen würde. Es wäre eben gerade in Rücksicht auf diese Umstände nett gewesen, wenn man hätte eine uneingeschränkte Erklärung damals abgegeben. Das hätte beruhigt. Die Sitzung hat die Sache vielleicht noch etwas verschärft und ist von manchem auch noch als Vorwand benützt worden.

[Franz Xaver] Hoop: Ich möchte auf die Anfrage vom Abg. Heidegger zurückkommen. Es wird nicht gut sein, von der Behörde aus etwas dagegen zu unternehmen, aber, jeder, der Einfluss hat, sollte seinen Einfluss auf die Leute ausüben.

Präsident: Eine gewisse Psychose wird weiter gehen. Ich würde aber weiter gehen und sagen, wir wünschen unter Liechtensteinern eine derartige Propaganda und solche Versammlungen nicht. Wir wollen natürlich keine Märtyrer schaffen und keine vergewaltigen. Aber im Interesse der wirtschaftlichen Verhältnisse würde ich es vertretbar finden. Ich glaube auch, dass man darin keine Gefährdung der freundschaftlichen Beziehungen sehen würde, wenn man erklärt, dass unter Liechtensteinern eine derartige Werbung unerwünscht scheine. Das ist auch der Standpunkt der Schweiz.

Büchel: Ich sehe mich noch veranlasst, punkto meiner Ausführungen noch etwas zu sagen. Ich möchte meine Ausführungen nur in Gegenwart von Dr. Schädler machen. Der Präsident hat sich richtig ausgedrückt, dass die Landtagssitzung nicht der einzige Grund gewesen sei für die Abwanderung von Gesellschaften. Aber ich kann meine Behauptung nicht widerrufen. Man hat mir gesagt, die Landtagssitzung habe derart die Unruhe verschärft, dass es am Abend in Zürich katastrophal gewirkt habe. Der Betreffende hat mich gefragt, hat der Landtag einstimmig Stellung bezogen für Liechtenstein. Ich habe gesagt ja, alle Anwesenden seien dieser Auffassung gewesen. Die haben sich aber des genauesten ausgekannt. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass jene Landtagssitzung viel beigetragen hat. Es war zwar nicht der einzige Grund. Es sind ja vorher schon Gesellschaften fort, aber nach der Sitzung hat eine grosse Unruhe auf diesem Gebiete geherrscht, nachdem sich der Landtag nicht einhellig hiezu aufraffen konnte. So bin ich von massgebender Stelle aufgeklärt worden. Man hat mir gesagt, wenn es so weitergehe, so gebe es unbedingt eine Katastrophe für unsere Gesellschaften. Ich habe betont, dass es nicht der einzige Grund war, aber verschärft hat die Sitzung die Situation.

Reg.Chef: Was die Propaganda der Nationalsozialisten im Lande betrifft, so haben die Deutschen meines Wissens den Auftrag, keine solche zu machen.

Risch Ferd. [Ferdinand]: Gut wäre es, wenn man diesen Deutschen sagt, dass man nichts gegen ihre Versammlungen habe, wenn aber Liechtensteiner sich ihnen anschliessen oder ihre Versammlungen besuchen, so würde man dies nicht gerne sehen.

[Ludwig] Ospelt: Betreffs unseren Leuten möchte ich mich den Ausführungen des Präsidenten anschliessen, wenn wir unsere Selbständigkeit hochhalten wollen. Sonst greift das immer weiter.

Beck Wend.: Wegen der Ausführungen Büchel's muss ich sagen, dass man mir gesagt hat, dass die Haltung Dr. Schädler's von massgebender Seite gebilligt worden sei. In der Schweiz habe man die Gleichberechtigung für verständlich gefunden.

Dr. Schädler: Ich möchte im Interesse vermeiden, auf die Ausführungen von Büchel zurückzukommen. Ich überwinde mich, denn ich habe die Spitze schon herausgefühlt. Ich werde weiter nichts mehr reden.

Büchel: Dass es eine absichtliche Spitze sei, möchte ich verneint haben. Ich habe das zur Begründung gebracht, dass die letzte Sitzung im Ausland so gewirkt hat. Ich habe wollen aufmerksam machen, dass Versammlungen in Zukunft für unser Kapital schädigend wirken würden. Ich habe keine Spitze wollen.

Präsident: Wenn wir wollen zusammenschaffen, würde ich bitten, zu sehr auf diese Sache nicht Rückschluss zu nehmen. Ich glaube, es wird mich jeder verstehen, wir wollen nicht die Sache verschärfen, sondern es besteht die Absicht, die Spitzen zu brechen und die Schärfe zu mildern. In dieser Absicht möchte ich bitten, die heutige Diskussion zu führen. Eine Sachlichkeit natürlich muss man vertragen. Die Freiheit des Wortes soll in dieser schweren Überlegung gewahrt bleiben, aber das, was als Spitze empfunden werden könnte, soll gemildert werden.

Beck Wend.: Ich möchte noch fragen, was in Bern gegangen ist und was man errreicht hat. [6]

Präsident: Bern ist an Liecht. sehr interessiert und zwar aus strategischen Gründen. Die Schweiz sagt, es freut uns, wenn ihr einheitlich auf dem Boden der Selbständigkeit und der Verträge steht. Wenn ihr diesen Gedanken habt, wollen wir euch unterstützen, soweit wir können. Wir haben vorgeschlagen, dass die Schweiz uns entgegenkomme mit dem Sender und mit der Einreise von Saisonarbeitern. Man hat uns zugesichert, dass der Liechtensteiner eine Vorrangstellung haben soll vor anderen Ausländern. Heute begrüsst man es in der Schweiz von verschiedenen Stellen, die liechtensteinischen Interessen nach allen Seiten zu fördern. Man hat uns gesagt, man werde tun, was sie tun können. Positive Zusage ist keine erfolgt. Positiv war nur die Übernahme landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter. Die Konferenz hat mehr einen informativen Charakter gehabt. Eine Frage wäre auch, wie sich Liechtenstein stellt zur Neutralität. Wir haben gesagt, dass wir es begrüssen würden und wünschen, dass die liechtensteinische Neutralität so verankert werde wie die schweizerische. Von Bern aus ist uns nahegelegt worden, wir sollen unsere Neutralität schützen lassen durch schweizerisches Militär, d.h. die militärische Grenze der Schweiz würde auf unsere Grenzen verlegt. Nach meiner Meinung ist dann die Selbständigkeit Liechtensteins erledigt. Damit profitieren wir nichts. Unsere Geschichte hat uns gezeigt, dass wir in Kriegsläufen schwere Zeiten mitmachen können. Es sind Franzosen, Schweizer etz. durch unser Land gezogen, nachher aber war es wieder vorbei. Gerade dadurch, dass Liechtenstein nichts gemacht hat, hat man unser Land wieder bestehen lassen. Ich sehe also keine Vorteile für uns in diesem Vorschlage.

Heidegger: Diese Ausführungen sind sehr wertvoll, da man viel gefragt wird. Ich teile auch den Standpunkt des Präsidenten bezgl. der Grenzverlegung.

Ospelt: Wir sind sicherer hier, wenn wir kein Schweizer Militär hier haben.

Präsident: Unsere Kleinheit ist der Schutz unserer Neutralität. Hingegen hat die Schweiz betont, dass wir besorgt sein sollen, auf einen grösseren Schutz der öffentlichen Ordnung und evtl. der Grenzen besorgt zu sein.

Büchel: Ich bin immer ein bisschen Materialist und ich würde empfehlen, die Regierungsumbildung noch heute Vormittag durchzuführen.

Präsident lässt abstimmen über die Frage, ob die Regierung unter den gegebenen Umständen und mit der Begründung der inneren Befriedung des öffentlichen Lebens umgebildet werden soll. Die Abstimmung erfolgt einstimmig.

Präsident: Meinerseits bestehen keine Schwierigkeiten.

Es werden sodann beiderseits die Vorschläge gemacht und zwar:

Bürgerpartei:

Als ständig amtierender Reg.Rat. Pfr. Frommelt,

Reg.Rat Stellvertreter Jakob Schurte, Triesen.

Union:

Reg.Chefstellvertreter Dr. Alois Vogt, Balzers,

Reg.Rat Arnold Hoop, Eschen,

Reg.Rat-Stellvertr. Eugen Meier, Mauren.

Präsident: Damit Rechtsklarheit besteht, muss festgestellt werden, dass das neu eintretende Verhältnis der Beginn einer neuen Amtsperiode bedeutet. Es wird noch mein Verhältnis geklärt werden müssen. Ich möchte den Wunsch äussern, dass mir die Schule als Domäne zuerkannt werde. Es muss auch beschlussmässig mein Gehalts- und Pensionsverhältnis geregelt werden. Ich möchte nicht bei jeder Budgetverhandlung der Spielball sein.

Büchel: Ich glaube nicht, dass man heute Beschluss fassen kann, aber wir sollten uns verpflichten, die Wünsche des Präsidenten voll und ganz zu berücksichtigen.

Dr. Schädler: Ich kann unsererseits die Erklärung abgeben, dass wir an den bestehenden Verhältnissen keine Änderung eintreten lassen möchten. Es tritte also bis zu einer neuen Volkswahl weder in Bezug auf Gehalt noch Pension eine Änderung ein. Es wünscht auch niemand eine bezügliche Änderung der Stellung des Präsidenten.

Ich möchte den Antrag stellen, dass der inskünftig amtierende Regierungsrat Pfr. Frommelt die gleichen Gehaltsbezüge zu Recht hat und die gleichen Bedingungen bezgl. Pension zu gelten haben, wie als Regierungschefstellvertreter.

Dieser Antrag wird einstimmig angenommen bei Enthaltung des Präsidenten.

Reg.Chef: Über meine Person ist noch nicht gesprochen worden.

Präsident: Es ist gesagt worden, dass der Regierungschef wieder in die neue Regierung übernommen werde.

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[1] LI LA LTP 1938/044. Vgl. das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 30.3.1938, an welcher im Gefolge des Friedensschlusses zwischen den Parteien die für die Regierungsumbildung erforderlichen Beschlüsse gefasst wurden (LI LA LTP 1938/051).
[2] Vgl. das Protokoll der Konferenzsitzung des Landtags vom 15.3.1938 (LI LA LTP 1938/010).  
[3] Regierungschef Josef Hoop, Regierungschef-Stellvertreter Anton Frommelt, Regierungsräte Peter Büchel und Alois Schädler sowie Regierungsratstellvertreter Heinrich Brunhart und Josef Öhri. Vgl. etwa den Amtsvermerk von Hoop vom 29.3.1938 (LI LA RF 180/443/001/017).
[4] Protokoll der Parteien vom 21.3.1938 über die innenpolitische Befriedung des Landes (LI LA RF 180/443/001/007-008).
[5] Vgl. die Notiz von Regierungschef Josef Hoop vom 28.3.1938 betreffend den Besuch in Berlin vom 20. bis zum 24.3.1938 (LI LA RF 179/130/032).
[6] Vgl. das Protokoll der liechtensteinisch-schweizerischen Konferenz im Eidgenössischen Politischen Departement (EPD) vom 16.3.1938 (LI LA RF 170/130/022-025).