Der Landtag lehnt die Proporzinitiative ab


Protokoll über die öffentliche Landtagssitzung vom 9. Mai 1935, nicht gez. [1]

9.5.1935

6. Behandlung der Proporzinitiative

Präsident [Anton Frommelt]: nimmt die Lesung der eingebrachten Initiative [2] vor und ersucht den Herrn Reg. Chef die Stellungsnahme der Regierung hiezu bekanntzugeben.

Reg. Chef [Josef Hoop]: Wir haben die Anmeldung der Initiative, dann die fristgerechte Einreichung derselben überprüft und festgestellt, dass die Initiative zustandegekommen ist. Wir haben die Angelegenheit, nachdem es sich um eine Aufgabe der Legislative handelt, weiters materiell nicht behandelt. Ich sage deshalb im Folgenden mehr meine persönliche Meinung, wobei ich mir vorbehalte, weiter zur Sache zu sprechen, soferne Anfragen gestellt werden. Das Verhältniswahlrecht, das den Majorz ersetzen soll, hat in der Nachkriegszeit einen Aufschwung erfahren. Allerdings stellen wir heute wieder fest, dass in den verschiedensten Ländern heute sich der Proporz keiner Beliebtheit erfreut. (Reg. Chef gibt eine Stimme aus dem kathol. Staatslexikon Herder bekannt und noch ander Meinungen führender Zeitungen und Schriften, die alle im Proporz nicht nur kein Heil, sondern die Zerrüttung des Staates in Parteien erblicken). Wir fürchten also im Proporz als gute Demokraten geradezu eine Gefahr für unsere Demokratie. Es ist eine alte Erfahrungstatsache, dass jeder Partei durch Männer im Landtage vertreten sein will und so werden automatische Parteien auf den Plan gerufen. So dürfte es kein Wunder sein, wenn neben den bestehenden Parteien sich noch weitere bilden und bei den Wahlen in den Wahlkampf ziehen. Es wird der politische Hader, der bis jetzt in der Presse bestand, auch in den Parlamentsraum verpflanzt. Jede Gruppe wird ihren Standpunkt vertreten, ihre Forderung stellen und im besten Falle werden Kompromisse, sog. Kuhhändel, zustandekommen. In vielen Fällen wird der Landtag zur Untätigkeit verurteilt. Wir sehen im Proporz und seinen Auswirkungen für unser Land nicht das Gute, das andere ihm zuschreiben, sondern wir fürchten vielmehr, das er automatisch und langsam zu einem Zustand treiben wird, wie wir es in anderen Staaten erlebt haben: das Ende wird die Diktatur sein und davon werden sich die Liechtensteiner nichts versprechen. Wir sehen aber neben den politisch nicht diskutierbaren Auswirkungen noch wirtschaftliche Folgen. Wenn die Freunde des Proporzes damit Freunde gewinnen wollen, dass sie sagen, dem Bauer, dem Gewerbetreibenden und den Arbeitern gehe es besser, so ist das geradezu lächerlich. Kein vernünftiger Mensch wird glauben, dass es jemand unter den Proporzverhältnissen auch nur ein Stückchen besser geht. Wenn dieser Grundsatz Berechtigung hätte, dann müsste es ja in der Schweiz keine Krise mehr geben. In Wirklichkeit erleben wir in der Schweiz, wo der Proporz besteht, das Gleiche. Die Preise und die Arbeitslosigkeit sind gleich wie bei uns. Die Krisis macht nicht Halt, wo das Wahlsistem zufällig anders ist. Es soll mir nicht als Überhebung gedeutet werden, aber in Wirklichkeit hat das Ausland, von dem wir zum grössten Teil abhängig sind, Vertrauen zu unserem Lande durch die stabilen Verhältnisse der letzten Jahre gewonnen. Wenn es Liechtenstein verhältnismässig gut und besser gegangen ist, so ist es dieser ruhigen Entwicklung zuzuschreiben. Der Fremde hat gesehen, dass gearbeitet wird, es ging ruhig vorwärts. Die Strassen wurden geteert, es wurden grosse Werke wie der Binnenkanal gebaut. Es hat sich automatisch eine Vertrauenssphäre um Liechtenstein eingestellt und Liechtenstein ist zu einem Lande geworden, das die Krisis durch diese Vertrauen des geldbringenden Auslandes teilweise weniger verspürt hat. Wenn die Verhältnisse auch nur drohen, anders zu werden, so tritt eine gewisse Unsicherheit ein und es überlegt sich mancher etwas, das nicht zum Vorteile für unser Land ist. Ich kann konkrete Sachen nennen. Bei der Sparkasse sind seit dem Einreichen der Initiative ganz grosse Beträge gekündigt worden mit der ausdrücklichen Bedingung: „Wenn diese Initiative durchgeht, will ich mein Geld". Es handelt sich nicht etwa um nur Frs. 1000 eines kleinen Bäuerleins, sondern um grosse Beträge. Wir werden noch Gelegenheit nehmen, der Öffentlichkeit mehr bekanntzugeben. Ich weiss, dass mir entgegengehalten wird, dass dies Folgen der Unruhe des allgemeinen Finanzmarktes seien. Das ist für einen Teil des gekündigten Geldes richtig, für einen anderen Teil aber ist es eine Folge der Initiative. Für die Sparkasse kann eine Situation eintreten, die sich jeder vor Augen halten muss, der weiss, dass über 5 Millionen ausländischen Geldes hier sind. Aber auch nur ein verhältnismässig geringer Abzug wird sie zur Untätigkeit verurteilen. Wenn das Volk auf unserer Warnungen hören will, wohlan. Wenn nicht, so soll es die Folgen tragen. Es wird jenes eintreten, was wir jetzt voraussagen. Wir dokumentieren auch, dass es uns gar nicht um die Sessel zu tun ist. Wenn bei der kommenden Abstimmung die Mehrheit dokumentiert, dass sie den bisherigen Kurs weiter wünscht, so werden wir weiter unseres Amtes walten. Anderenfalls aber sollen die anderen regieren, wir überlassen es ihnen gern und ruhig. Wir wünschen viel Glück dazu. - Man suchte auch Proporzfreunde zu gewinnen, indem man sagte, dann kommt der Friede, alle Volksteile können herangezogen werden und es herrsche die reinste Harmonie. Auch diese Behauptung ist lächerlich und wird täglich durch die Schweizer Zeitungen widerlegt. Auch in der Schweiz, wo man dem Proporz noch huldigt, ist der Zank und der Streit an der Tagesordnung. Wieviele Schlägereien passieren wöchentlich von Genf bis Romanshorn. Wieviele Zeitungen gibt es, die gemassregelt wurden wegen politischen Schreibereien. Wenn der Proporz das Heilmittel wäre gegen Zank und Hader, dann müsste die Schweiz anders dastehen. Ich glaube auch, dass die Initianten selbst nicht daran glauben, dass der politische Zank und Streit aufhöre, sonst hätten sie es nicht notwendig gehabt, die Forderung in die Initiative selbst aufzunehmen, dass es verboten sei, in Zukunft Angriffe auf die Kandidaten zu machen. In diesem Falle ist dies die beste Widerlegung für ihre Behauptung. Der Proporz kommt also für unser Land weder politisch noch wirtschaftlich in Frage und ist deshalb vom Landtage abzulehnen. Ich überlasse es den Herren Abgeordneten, ob sie von ihrem Rechte Gebrauch machen wollen, evtl. einen Gegenvorschlag zu machen oder seinen Standpunkt in einer Botschaft dem Volke zu unterbreiten. Darüber wollen sich die Herren jetzt schlüssig werden.

Präsident: Ich danke dem Herrn Regierungschef für seine Ausführungen und bitte die Herren, die Diskussion zu ergreifen.

[Basil] Vogt: Die Ausarbeitung der bezgl. Gesetzes steht ja der Regierung zu. Ich habe auch eine Botschaft hier und da sind verschiedene Punkte drinnen, die vielleicht zu erwähnen sind (Liest Stellen aus einer Botschaft vom Jahre 1932 heraus). Wenn der Landtag ehrlich sein will, so kann er nur für den Proporz einstehen.

Präsident: Was der Abg. Vogt vorgelesen hat, ist in der Botschaft vom Jahre 1932, die anlässlich der Wahlgesetzabänderung erlassen worden ist, entnommen. Ich glaube, dass dies an der Tatsache nichts ändert. Es denke jeder über den Proporz, wie er will. Es interessiert nur, wie man heute seine Meinung begründet. Ich kann nur daraus schliessen, dass, dass Vogt sagt, dass er den Proporz befürworten möchte mit dieser Stellungnahme. Was das andere betrifft, wegen der Ausarbeitung des Gesetzes, so muss gesagt werden, dass es unmöglich ist, in 14 Tagen ein Gesetz auszuarbeiten, das entspricht. Es ist nicht verständlich, dass die Initianten die Ausarbeitung des Durchführungsgesetzes der Regierung überlassen. Zuerst überlässt man es anderen und dann kann man nachträglich wieder gut schimpfen. Ich sehe darin eine gewisse Schwäche der ganzen Sache. Es gehört zu einer Verfassungsinitiative ein sauber ausgearbeiteter Vorschlag.

Reg. Chef: Was der Abg. Vogt vorgelesen hat, hat er aus der Botschaft vom Jahre 1932 genommen und er hat nur einzelne Sätze herausgerissen ohne Rücksicht auf den Zusammenhang. Man wird vielleicht in der Debatte noch auf das heutige Wahlgesetz zu sprechen kommen, das sich übrigens sehr gut bewährt hat.

[Philipp] Elkuch: Kommt auf die Entwicklung der Wahlrechtes im Lande zu sprechen und weist auf den Kampf vom Jahre 1878 hin, wo das Unterland ein eigener Wahlkreis wurde. Im Jahre 1918 wurde dann das allgemeine, geheime und direkte Wahlrecht eingeführt und im Jahre 1921 die Gemeindebindung. Im Jahre 1930 kam es dann zur Abstimmung über die Einführung des Proporzes, der aber vom Volke mit grossem Mehr verworfen worden ist. Im Jahre 1932 hat dann eine Gesetzesänderung stattgefunden, die eher eine Berechtigung hat als der Proporz. Dadurch wurden die Gemeinden teilweise als eigene Wahlkreise bestimmt. Es hat sich dies auch gut bewährt, da die Gemeinde selbst den Mann am besten kennt, den sie für den Landtag am geeignesten hält. Andererseits wurde die Bestimmung geschaffen, dass die restlichen durch das ganze Land gewählt werden, wobei alle Stände Berücksichtigung finden sollen, so dass also der berufständische Gedanke effektiv verwirklicht ist.

[Basil] Vogt: Durch diese Regelung wählen eben die Unterländer den Oberländer die Abgeordneten und das ist ein Zustand, der nicht haltbar ist.

Präsident: Wir sollten uns auf den Gedanken stellen, ein Land ein Volk. Dass diese Aufteilung das Ideal sei, kann ich nicht verstehen, wenn das Unterland und das Oberland nur für sich wählt. Ich glaube auch, dass das Unterland schon Arbeit geleistet hat, für das wir dankbar sein müssen, nicht als Partei, sondern als das ganze Land.

[Peter] Büchel: Ich möchte mich auf die Ausführungen von Abg. Vogt nicht einlassen, Ober- und Unterland gegen einander auszuspielen. Die Unterländer haben ihre Pflicht getan und sie werden es weiter tun. Was die Initiative anbelangt, beantrage ich Ablehnung derselben. Für mich ist es ein Mischmasch. Es ist nach meiner Auffassung Pflicht des Landtages und der Regierung, das Volk aufzuklären. Die Vorlage ist so widersprechend, dass ich sie nicht annehmen kann. Es ist unmöglich, auf dieser Grundlage ein Gesetz zu schaffen, das allen Wünschen entspricht. Proporz und Ständestaat miteinander kann ich mir nicht vorstellen. Im zweiten Absatz ist der Proporz und der Ständestaat nebeneinander. Wenn ein Initiativbegehren auf Abänderung der Verfassung gestellt wird, so soll es klar und unzweideutig sein. Für meine Person bleibt nichts mehr übrig, als diese Initiative in dieser Form abzulehnen und das Volk soll auf die Folgen aufmerksam gemacht werden. Dann hat der Landtag seine Pflicht getan.

Risch Ferdi: Meine Meinung ist, dass diese Herren mehr für das Wohl des Landes tun könnten, wenn sie an einem gesunden Aufbau der Heimat mithelfen würden, als mit Demonstrationen und derartigen Initiativen. Eine ruhige Mitarbeit würde dem Lande mehr dienen.

Präsident: Nachdem sich weiter niemand zur Diskussion meldet, möchte auch ich meine Meinung kundtun. Ich wollte es nicht früher machen, um den Herren nicht meine Meinung aufzuoktroieren. Mit Proporz wusste ich meiner Lebtag nichts anzufangen. Und heute bin ich noch weniger dafür begeistert, da, wie der Herr Regierungschef erwähnt hat, der Proporz heute ins alte Eisen gehört. Der neue Kampfschritt ist weniger auf Proporz, als vielmehr auf ganz etwas anderes eingestellt. Dieser Schritt ist nicht geeignet, um auf das moderne Wesen zu kommen, es sei denn, dass man den zweiten Abschnitt der Initiative als Grundbasis hinstellt. Gemäss diesem kann überhaupt vieles gemacht werden, ist der Willkür der Weg offen. Von diesem Standpunkte betrachtet, ist es eine starke Zumutung, eine Unverschämtheit, dem liecht. Volke heute diese Zukunftsherrschaft vorzulegen, wie sie hier steht. Dieser Abschnitt soll die Grundlage werden, zu tun, was man will, aber nicht eine Grundlage für das, was das Wohl des Volkes bedingt. Ich bin vor einem Jahr schon wegen dieser Sache angeflegelt worden. Heute zeigt sich nach aussen das wahre Gesicht. Ich kann mich nicht freuen, dass das eintrifft, was ich damals voraussagte, sondern ich bedauere, dass meine damalige Ahnung Wahrheit geworden ist. Parteilosigkeit, Proporz, Ständestaat und Willkür! Ich kann nicht einsehen, wie eine Initiative für das Volkswohl gemeint sein kann, die derartige Widersprüche zusammenbindet. Entweder meint man es ernst mit dem Proporz, das ist ein Standpunkt, den man vertreten kann. Ich könnte verstehen, dass ein anderer für den Proporz eingestellt ist, aber dass es denkende Leute wagen, dem Landtage und dem Volke eine derartige „Sauce" vorzustellen, das empört mich, weil ich es von ernst meinenden Leuten nicht erwarten kann. Alles sind Ideen, aber, was da zusammengewurstelt wird, das ist Unsinn.

Es ist höchsteigentümlich, dass Leute, die solange gegen die Parteibildung geredet haben, heute mit diesem Proporzgesetz kommen. Ich bitte zu überlegen, wie so etwas möglich ist. Es gibt hier nur einen Grund, dass man aus blosser Opposition zu einem Mittel greift, um Opposition zu machen, und zu diesem Zwecke ist eben jedes Mittel gut genug. Wenn aber diese Herren doch so gründlich überzeugt sind, dass der Proporz das Allheilmittel für unser Elend sei, dann glaube ich, wäre es sehr vorteilhaft gewesen, dieses gute Heilmittel für sich zu behalten, bis sie an der Reihe sind, dies anzuwenden. Sie hätten dann den Vorteil, selbst das gemacht zu haben, an dem das Land gesunde. Es wäre ja nicht lange zu warten gewesen, da schliesslich Neuwahlen im nächsten Jahre stattfinden. Wenn das angestrebte Gute unter neuem Wind und neuen Segeln gut fährt, dann begrüsse ich es nur. Es wäre mir aber Leid, wenn dadurch die ganze Sache in Brüche ginge.

Ich habe noch etwas, von dem im Schlusssatz der Begründung die Rede ist: „dass nötigenfalls sich immer ohne Schwierigkeiten das Mittel finde". Ich bitte, einen ernsten Menschen zu fragen, wer in den heutigen Schwierigkeiten immer das Mittel findet. Grosse Staatsmänner in allen Ländern zerbrechen sich den Kopf, Mittel zu finden und es ist erfolglos. Unsere Leute schreiben: "Nötigenfalls findet sich immer ohne Schwierigkeiten das Mittel". Ich würde sehr gerne solche Mittel erwähnt sehen und dann könnte man sie prüfen und der Erweis wäre erbracht für das „ohne Schwierigkeiten Mittel finden". Ohne Verantwortung den schönen Satz hinzuschreiben, ist wohl leicht. Für Kinder lassen sich wohl ohne weiters solche Mittel finden, nicht aber für ehrliche und ernste Männer.

Aus der Begründung, weil die Initiative nur Opposition will, kann ich mich nicht dazu verstehen. Ich beantrage für meine Person eine glatte Ablehnung. Ich bin sehr dafür, dass eine Botschaft [3] an das Volk gerichtet wird, worin das Volk in ruhiger und sachlicher Weise aufgeklärt wird, was der Proporz ist und wie er sich bei uns auswirkt. Es muss unbedingt das Volk auf den zweiten Teil dieser Initiative aufmerksam gemacht werden und auf das, was er beinhaltet.

Wenn weiter niemand sich zum Worte meldet, nehme ich die zweite Lesung vor.

Nach vorgenommener zweiter Lesung werden die einzelnen Artikel noch einmal artikelweise aufgeführt und sodann wird zur Abstimmung über die Vorlage geschritten.

Die Vorlage wird vom Landtage abgelehnt. Für die Vorlage stimmt einzig Abg. Bas[il] Vogt. Abg. [Wilhelm] Beck enthält sich der Stimme.

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[1] LI LA LTP 1935/031. Vgl auch die nichtöffentliche Landtagssitzung vom 9. Mai 1935 (LI LA LTP 1935/025). 
[2] Im Februar 1935 hatten die Volkspartei und der Liechtensteinische Heimatdienst eine Verfassungsinitiative zur Einführung des Proporzwahlrechts lanciert (siehe LI LA RF 152/323/002/001). Das Volk verwarf die Initiative am 30. Mai 1935.
[3] Siehe die Botschaft des Landtages an die Wähler vom 24. Mai 1935 (LI LA RF 152/323/002/036g).