Johannes Ude protestiert gegen seine Ausweisung


Handschriftliches Schreiben von Johannes Ude an Regierungschef Josef Hoop [1]

16.9.1932, Tisis

Sehr geehrter Herr Regierungs-Chef!

Soeben teilt mir unser Kartellbruder [Gebhard] Gunz (ein Bundesbruder von mir) mit, dass du mir mit dem Einsperren drohst, wenn ich Liechtenstein betrete. [2]

Ich will dir gar nicht schildern, welchen niederschmetternden Eindruck es auf mich machte, dass ich als Sechzigjähriger über Anordnung eines Kartellbruders gewaltsam verhaftet und mit Schimpf und Schande wie ein Verbrecher unter der Eskorte von Polizisten über die Grenze Eures Landes gebracht wurde. [3] Das glaube ich durch mein bisheriges Leben und Wirken für das Volkswohl nicht verdient zu haben. Auch wenn der hochw.ste Bischof von Chur [Laurenz Matthias Vincenz], mit dem ich inzwischen persönlich gesprochen habe, mein Auftreten in seiner Diözese nicht wünscht, so war das, so meine ich, kein Grund für die Regierung, mich so zu behandeln, wie du mich behandeln liessest. Du hast, daran möchte ich dich eigens erinnern, auf meine Einwendung, dass der Bischof von Chur mir nicht verbieten kann, in seiner Diözese zu sprechen, ausdrücklich gesagt, dass die Regierung ganz unabhängig vom Bischof gegen mich vorgehen werde und wolle. Daher ist die von Euch inspirierte Schlussbemerkung im Vorarlberger Volksblatt Nr. 213 vom 15. Sept. 1932, die von einem grossen Teil der Leser in dem Sinn aufgefasst wird, als ob die Liechtensteinische Regierung erst und nur über Auftrag des Bischofs von Chur gegen mich zum Schutze gewissermassen durch mich gefährdeter katholischer Interessen eingeschritten sei, falsch. [4] Ihr habt Euch an den Bischof gewendet zum Schutze Eurer politischen Interessen, nicht aber der Bischof an Euch. Oder willst und kannst du das in Abrede stellen?

Es ist mir nicht bewusst - du behauptest es zwar - irgendwie taktlos gehandelt zu haben und dazu noch mit einer "Taktlosigkeit", wie du sie in deiner ganzen Regierungszeit noch nicht erlebt hast. Ich möchte dich für diese Behauptung um Aufklärung bitten, um von dir zu lernen, was mir nach deiner Auffassung in dieser Hinsicht fehlt. Was mir bei unserer Unterredung den von dir ebenfalls im Brief an Gunz erhobenen Vorwurf der "Kleinlichkeit" eingetragen hat, weiss ich auch nicht. Vielleicht bist du so gut und teilst es mit mit, damit ich mich bessere. Zum Glück habe ich einen Zeugen bei mir gehabt.

Was du als Chef der Regierung unternommen hast, hast du sicher im Interesse Eures Landes unternommen, aber du kannst nicht hindern, dass dein Vorgehen bereits Kritik gefunden hat und noch weiterhin zu Kritik Anlass geben wird, [5] und dass sich unsere Kartellbrüder ihre eigenen Gedanken darüber machen und sehr viele Leute aller Richtungen, die sonst nicht auf meiner Seite stehen.

Du hättest dir übrigens deine Drohung, mich einsperren zu lassen, falls ich nach Liechtenstein käme, ersparen können, da es mich durchaus nicht gelüstet, ein solches Land wieder zu betreten, durch dessen belebte Strassen ich wie ein Verbrecher über deine Anordnung hin gezerrt worden bin, ein Land, in welchem zwar Devisenschmuggler und Steuerhinterzieher anderer Staaten offen aufgenommen werden und den Schutz der Regierung geniessen, während Leute, die es mit dem Christentum der Tat ehrlich meinen, verhaftet und ausgewiesen werden. [6]

Mit kartellbrüderlichem Gruss

 

 

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[1] LI LA RF 129/247/075.
[2] Hoop hatte Gunz mit Schreiben vom 15.9.1932 darauf hingewiesen, dass Ude verhaftet werde, wenn er wieder nach Liechtenstein einreise (Gedächtnisprotokoll Udes vom 16. und 18.9.1932, abgedruckt bei Alois Kabelka: Der neue Fall Ude. Tatsachen und Hintergründe seiner Verhaftung und Ausweisung aus Liechtenstein, in: Zeitschrift für Volkssittlichkeit und Volksaufklärung 5, 1932, Heft 4, S. 29-37, hier S. 33). Das Schreiben wurde nicht aufgefunden.
[3] Zu Ausweisung Udes vgl. LI LA RF 129/247/062.
[4] "Vorarlberger Volksblatt", Nr. 213, 15.9.1932, S. 3 ("Professor Dr. Ude (aus Graz) in Liechtenstein verhaftet und mit Polizeibedeckung über die Grenz geschafft"). Der angesprochene Satz lautet: "Wie uns soeben von der liechtensteinischen Regierung telephonisch mitgeteilt wird, erklärte der Bischof von Chur durch die liechtensteinische Regierung, dass er nicht wünsche, dass Dr. Ude in Liechtenstein spreche". 
[5] Vgl. die Protesttelegramme des Liechtensteinischen Arbeiterverbands und des Liechtensteinischen Freiwirtschaftsbunds vom 14. und 15.9.1932 (LI LA RF 129/247/063-064) sowie das Flugblatt "Katholische Liechtensteiner!" des Freiwirtschaftsbunds (Beilage zur "Liechtensteinischen Freiwirtschaftlichen Zeitung" vom 16.9.1932).
[6] Hoop beantwortete das Schreibem am 19.9.1932 (LI LA 129/247/078).