Wilhelm Beck fordert im Landtag die Auflösung des Zollvertrags mit Österreich


Handschriftliches Protokoll der Landtagssitzung, gez. Schriftführer Johann Wohlwend und Wilhelm Beck[1]

14.6.1919

Hierauf schildert Abg. [Josef] Gassner die Not, die in Triesenberg infolge des Ausbleibens des Mehles herrsche. Wenn nicht sogleich Mehl komme, stehe man am Berg vor einer Katastrophe.

Vizepräsident [Friedrich] Walser gibt Aufklärung, dass der Ernährungskommissär [Franz Josef Schlegel] die ausständige Mehlsendung energisch betrieben habe. Für Juni sei noch nichts da, man habe telegraphiert, aber die Antwort stehe noch aus. Es seien in letzter Zeit Einfuhrbewilligungen für Kartoffeln erteilt worden und wie er bestimmt wisse, seien schon welche in Schaan eingerollt.

Abg. [Emil] Risch sagt, auch in Triesen hätten viele Leute Mangel, es sei dort bald gar nichts mehr erhältlich, es müsse hierin sofort etwas geschehen.

Abg. Dr. Beck bemerkt, die neue Notstandskommission [2] solle in dieser Sache helfen.

Abg. [Franz Josef] Hoop drückt den Wunsch aus, dass Bauersleute nach der Schweiz ausführen können, wo man gutes Geld bekomme. Wann man eine Kuh verkaufe, löse man wohl  4 bis 5000 Kr., aber wenn es gefehlt gehe, habe man bloss einen Fünftel davon. Von einem solchen Wisch Papiergeld habe der Bauer nichts. Was Franken anbelange, seien nur die Schmuggler jetzt gut daran. Zoll werde auch noch eingehoben, obwohl man heute noch nicht wisse, ob das Land etwas davon bekomme. Die Wacht im Unterland nütze nichts mehr, da oben Tür und Tor offen sei und alles dort in die Schweiz geschmuggelt werde. Der Erfolg der Grenzwache sei überhaupt fast Null.

Vizepräsident Walser bemerkt dazu, er wisse nicht, ob es klug sei, schon im jetzigen Zeitpunkt die Grenzwache aufzulassen. Man beabsichtige, einen Teil unseres Viehes nach der Schweiz zu verkaufen, ein andern Teil aber müssten wir nach Deutschösterreich, vielleicht noch nach Deutschland und der Tschechoslowakei als Kompensationsobjekt ausführen. Wenn er Hoop recht verstehe, handle es sich auch um die Ausfuhr von Eiern nach der Schweiz. Die Eiergeschäfte soll in andere Bahnen gelenkt werden. Die Sache sei vom Ernährungskommissär heute schon vorgebracht worden.

Abg. [Albert] Wolfinger sagt, in Balzers fahren Wagen bei Tag und Nacht, oft mit 8 bis 9 Mann. Diese seien frech und fürchten sich nicht. Da können die Grenzwächter der Schmuggler nicht mehr Herr werden.

Abg. [Josef] Sprenger meint, wenn man wollte, könnte man täglich 10 bis 20 Schmuggler erwischen. Unsre Wache nütze nichts, auch die österr. Finanzwache erreiche nichts.

Betreffend den Zollvertrag [3] erklärt Vizepräsident Walser, dass es beschlossen sei, denselben provisorisch zu halten. [4] Auch ein Schreiben vom deutsch-österreichischen Staatsamt laute in diesem Sinne. Seither sei es jedoch wieder anders. Wie unser Gesandter Prinz Eduard, in der Finanzkommission mitgeteilt habe, zahle Deutschösterreich allein nur noch bis 12. November 1918, nachher hätten die Nationalstaaten unsre Forderungen aus dem Zollvertragsverhältnis zu zahlen. [5] Der Gesandte werde sich jedoch bei der Wiener Regierung für das Land einsetzen. Walser spricht weiter über den 300%igen Steuerzuschlag, der in Vorarlberg schon am 1. Mai eingeführt worden sei. Der Zeitpunkt werde einmal kommen, wo der Landtag zu dieser Sache Stellung nehmen müsse, jetzt aber halte er es für besser, abzuwarten, bis sich die politische Lage der umliegenden Länder geklärt habe.

Abg. Dr. Beck: Wir sollen nicht mehr abwarten, denn so spielen wir va banque. Wir lassen die grossen Zölle einziehen und wissen nicht, ob wir überhaupt noch etwas bekommen. Wie inoffiziell aus Paris gemeldet wurde, stehe Deutschösterreich vor dem Staatsbankrott. Wir klammern uns immer an die alten Zustände. Mit unsern Banknoten können wir vielleicht noch die Lusthäuschen tapezieren. Prinz Eduard habe ihm selber gesagt, der tschechische Gesandte habe von dieser Sache nicht viel hören wollen. [6] Redner habe die felsenfeste Überzeugung, dass wir so noch verarmen, er sage nochmals, wir spielen va banque. Das Zollvertragsverhältnis solle sofort gelöst werden. Die Statistik sage uns nur von vergangenen Zeiten, sie sei heute wertlos. Er beantrage, darüber zu debattieren, was zu tun sei.

Abg. Risch stimmt Dr. Beck bei, er wünsche, dass etwas geschehe in der Sache, wir sollen uns selbständig stellen.

Abg. Dr. Beck spricht weiter, am Ende müssten wir mit allen Nationalstaaten, vielleicht noch mit Deutschland und Italien in Verhandlung treten. Von hiesigen offiziellen Stellen aus neige man immer noch betreffs Zollanschluss nach Österreich. Wir sollen uns selbständig stellen. Es sei ein gefährliches Spiel, unsern Leuten werden Steuern abgenommen, und wir wissen nicht, ob wir noch etwas bekommen dafür.

Vizepräsident Walser: Er kenne hier keine amtlichen Stellen, die unbedingt an Österreich Anschluss wollen. [7] Protzig dürfen wir nirgends auftreten. Landammann Basil Hopp [Hoop] habe im Festspiel des Kanonikus [Johann Baptist] Büchel zur Zweijahrhundertfeier [8] gesagt: Wir seien ein kleines Land und ein armes Völklein und müssen bescheiden sein. Arm seien wir zwar jetzt nicht mehr, aber klein seien wir doch geblieben, bescheiden müssen wir deshalb heute noch sein. Redner beantragt, heute keineswegs darüber abzustimmen, denn man könne etwa in 14 Tagen wieder Sitzung halten. Bis dahin könne sich unser Gesandter Prinz Eduard in Wien mit dem deutschösterreichischen Staatsamt in Verbindung setzen betreffs Auszahlung der rückständigen Zollgelder.

Der Landtag einigt sich dann dahin, dass die Finanzkommission sich mit der Sache befasse und in der nächsten Sitzung darüber Bericht erstatte. [9]

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[1] LI LA LTA 1919/S04.
[2] Der Landtag hatte die Landesnotstandskommission in der gleichen Sitzung neu bestellt.
[3] "Vertrag zwischen Seiner Majestät dem Kaiser von Österreich und apostolischen Könige von Ungarn und Seiner Durchlaucht dem souverainen Fürsten von Liechtenstein über die Fortsetzung des durch den Vertrag vom 5. Juni 1852 gegründeten Österreichisch-Liechtenstein'schen Zoll- und Steuervereines" vom 2.12.1876 (LGBl. 1876 Nr. 3).
[4] Vgl. LI LA RE 1918/4941 ad 2, Vollzugsausschuss an Vorarlberger Landesrat, 16.11.1918.
[5] Österreich hatte Liechtenstein seit dem 1.6.1917 nur noch die im Zollvertrag festgelegten Mindestraten ausbezahlt, nicht aber die Liechtenstein zustehenden Mehrerträge. Liechtenstein bemühte sich nach dem Krieg hartnäckig um die ausstehenden Gelder. Die Angelegenheit zog sich jedoch über Jahre hin, da strittig war, ob Deutschösterreich allein oder alle Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie für die Bezahlung aufzukommen hatten. Schliesslich leistete Österreich Anfang 1922 eine Entschädigung von 299'428 Kronen (LI LA V 003/0356, österreichisches Bundesministerium für Äusseres an Gesandtschaft Wien, 26.1.1922).
[6] Tatsächlich vertrat die tschechoslowakische Republik den Standpunkt, dass Deutsch-Österreich und Ungarn alleine Rechtsnachfolger der österreichisch-ungarischen Monarchie seien und deshalb alleine "die Verbindlichkeiten der alten Monarchie aus dem Zollvertrage zu begleichen" hätten (LI LA RE 1919/5143 ad 4, Gesandtschaft Wien an Regierung, 3.10.1919).
[7] Folgt gestrichen: "Eine vertragslose Zeit sei auch nichts."
[8] Johann Baptist Büchel: Bilder aus der Geschichte. Dramatisch vorgeführt am Jubiläums-Feste zur 200. Wiederkehr des Jahrestages der Übergabe der Graffschaft Vaduz an das fürstliche Haus Liechtenstein. 1712-1912. Triesen 1912.
[9] Vgl. LI LA LTA 1919/S04, Protokoll der Landtagssitzung vom 2.8.1919.