Prinz Eduard nimmt Stellung zu den geplanten Verhandlungen über den Abschluss von Wirtschaftsverträgen mit der Schweiz


Maschinenschriftliches Schreiben von Prinz Eduard, Gesandter in Wien, an Emil Beck, Geschäftsträger in Bern [1]

8.1.1920, Wien

Geehrter Herr Doktor!

Ich habe Ihnen heute vormittags meine Ankunft für den 14. telegrafiert [2] und muss Ihnen abends wieder abtelegrafieren. [3] Der Schnellzug wurde eine Stunde vor Abfahrt eingestellt, wahrscheinlich wegen Kohlenmangel. Vielleicht bekomme ich für Sonntag Platz im Ententezug, was heute unsicher war; Montag soll der Schnellzug gehen, was aber auch wieder unsicher ist. Ich fahre eventuell auch mit einem Personenzug, aber unbedingt im Laufe der Woche vom 11. bis 17. Jänner nach Vaduz, möchte dort mit den Herren Fühlung nehmen und die Missverständnisse beseitigen. [4] Am 17. hätte ich in Zürich gewisse Wertsachen des Fürsten [Johann II.] übergeben und dafür Franken für die Lebensmittelschuld erhalten soll. [5] Ich muss mich nach den betreffenden Leuten richten, die auch von hier hinausfahren, und die ich in Zürich oder Bern begegnen soll. Je nach dem aber diese Leute Platz in den Zügen bekommen, können sie hinauskommen und danach muss ich mir mit ihnen Rendezvous geben. Ich glaube es ist daher das Beste, Sie vereinbaren den von der Schweiz gewünschten Termin vom 23.I., damit einmal ein fixer Tag vorhanden ist, und betonen gleichzeitig, dass ich grossen Wert darauf lege, an den Verhandlungen teilzunehmen, aber nicht will, dass dieselben infolge meines eventuellen Ausbleibens hinausgeschoben werden. [6] Ich komme, um im Auftrage des Fürsten dem Herrn Bundespräsidenten [Giuseppe Motta] ein Handschreiben des Fürsten zu überbringen [7] und möchte mit Minister [Charles Louis Etienne] Lardy, oder wen Sie sonst für notwendig halten, vor allem aber mit Ihnen verehrter Herr College gewisse Grundprinzipien festlegen und erörtern und habe in dieser Hinsicht Richtlinien vom Fürsten erhalten.- [8]

Die diplomatische Arbeit von Regierung und beiden Gesandtschaften muss unbedingt etwas besser organisiert werden. Ein Beweis hiefür – unter vielen, die ich anführen könnte – ist wohl, dass mir Ihr interessanter Bericht vom 8. Oktober 1919 an die Regierung in Vaduz, wegen Zollanschluss [9] zum Beispiel erst heute durch Regierungssekretär [Josef] Ospelt zugekommen ist, welcher ihn mit sendet, weil er eine für die beiden Zeitungen bestimmte Ennunziation (Abschrift momentan nicht vorhanden, wird separat angefertigt und übermittelt), [10] die mit dem Fürsten genau vereinbart war, als der Aktenlage nicht genug entsprechend erachtet hat. Es handelte sich hiebei um die von hier gewünschte amtliche Konstatierung, dass von einem Abschluss eines Justizvertrages mit der Schweiz hier nie etwas bekannt geworden ist, dies ist aber zweifellos richtig, denn der Vorgang ist Folgender:

Es wurde im Mai durch den Herrn Landesverweser [Prinz Karl] in Bern angefragt, ob man einen Zoll- und Postvertrag schliessen wolle und scheint dabei auch von einem Justizvertrag die Rede gewesen zu sein. [11] Jedenfalls hat man hieher darüber nie etwas Positives gemeldet. Ich erhielt vom hiesigen Schweizer Gesandten [Charles-Daniel Bourcart] die Bitte, die mit Österreich abgeschlossenen Verträge vorzulegen und haben unterm 16.V.19 Zahl 14 ein Schreiben an die Regierung im Auftrage des Fürsten gerichtet, welches sehr klar weitgehendste Zurückhaltung in gewissen Belangen verlangte. [12] Man hat der Schweiz zwar alle Verträge mit Österreich vorgelegt, damit war aber nicht gesagt, dass man sie auch alle mit der Schweiz zu schliessen beabsichtigt, sondern es erscheint mir vielmehr sehr begreiflich, dass wenn man mit einem Staate Verträge solcher Art schliesst, dieser Staat den Komplex der mit einem anderen Staate bestehenden Verträge auch kennen möchte.- Ich habe daher nie geglaubt, dass wir mit dem Justizvertrage irgend wie gebunden sind. Aus dem Lande ist mir auch nie ein derartiger Wunsch zugekommen und die Bedenken, die nach Ihrem vorzitierten Berichte Herr Lardy Ihnen gegenüber geltend gemacht hat, verfechte ich, seitdem ich von der Möglichkeit eines solchen Vertrages höre und Präsident [Friedrich] Walser scheint sie überigens vollkommen zu teilen. [13]

Andererseits verstehe ich den Landtag nicht! Es wurde positiv vom Landtag beschlossen, das Postabkommen mit Österreich [14] abzuschliessen und ich wurde dazu beauftragt, [15] wie übrigens auch zur Anbahnung eines wirtschaftlichen Abkommens mit Österreich. [16] Ich bin stets nur nach den erhaltenen Weisungen vorgegangen, welche dem Fürsten vorerst zur Kenntnis gebracht wurden und von diesem gebilligt waren. Die Schweiz hat Monate lang kein rechtes Entgegenkommen gezeigt und deswegen, weil man im Mai angefragt hat, ob man solche Verträge wünsche, ist ja noch kein Grund gegeben, dass man sie tatsächlich in Ihrer Gesamtheit abschliesst. Für mich ist die Voraussetzung für das Post-Übereinkommen mit der Schweiz die Währungseinheit mit derselben. Diese wird gewiss durch den Zollvertrag mit der Schweiz gefördert, kann aber auch ohne Zollvertrag eingeführt werden. Die Frage, ob wir mit der Schweiz einen Zollvertrag, ähnlich wie früher mit Österreich, schliessen sollen, ist in erster Linie eine wirtschaftliche und vor allem danach zu beantworten, ob das, was die Schweiz uns als Quote aus ihren Zolleinnahmen bietet, genügend gross ist, um uns den Ausfall der Zolleingänge aus dem ehemaligen Vertrage mit Österreich zu ersetzen und uns der Notwendigkeit, eine straffe Steuergesetzgebung einzuführen, zu entheben. Nach dem was Lardy Ihnen in dieser Hinsicht laut Ihres mehrzitierten Berichtes vom 8. Oktober gesagt hat, ist meine Befürchtung, dass wir aus einem Schweizerischen Zollvertrage keine erheblichen Einnahmen haben werden, [17] sehr begründet. Politisch ist aber eine solche Union mit der Schweiz für unsere dauernde Selbstständigkeit eine grosse Gefahr, die man freilich vielleicht beseitigen kann, die ich aber nicht schaffen möchte, wenn die wirtschaftlichen Vorteile nicht überaus grosse sind.

Was wir also in Bern zu besprechen haben werden, wird erst in Vaduz entschieden werden können. Ich habe den Entwurf des Postübereinkommens mit Österreich bereits dorthin übermittelt. [18]

Auch bringe ich den mir vorgestern zugekommenen Entwurf des Staatsvertrages mit Österreich über Warenaustausch und Grenzverkehr. [19] Wenn diese beiden Verträge in Vaduz akzeptiert werden, [20] haben wir in Bern darüber zu sprechen, wie wir ein ähnliches wirtschaftliches Abkommen mit der Schweiz treffen; werden sie nicht akzeptiert, dann können wir mit der Schweiz über einen Zollvertrag reden und müssen aber erst hören, was sie uns bei einem solchen finanziell bietet und in welcher Weise sie unsere Postverwaltung übernehmen will. Präsident Walser hat aber hier erklärt, wenn das Postübereinkommen mit Österreich nicht Zustande kommt, so wolle das Land eine vollkommen selbständige Post und lediglich von der Schweiz die technische Beaufsichtigung des Telegrafen- und Telefonwesens erbitten. Nach Ihrem Berichte vom 8. Oktober scheint mir die Auffassung Lardys die gewesen zu sein, dass bei der Besprechung unsererseits vorgebracht werden müsse, was für Verträge mit der Schweiz spräche, während die Schweiz sich eher ablehnend verhielt und jetzt wird die Sache eigentlich so gedreht, als ob wir der Schweiz gegenüber nicht mehr zurück könnten, weil wir sie einmal gefragt haben, ob sie mit uns Verträge schliessen wolle.

Ich sende Ihnen diese Ausführung, damit Sie meinen Standpunkt vollkommen kennen und vor unserer Zusammenkunft überlegen können. Ich sende auch eine Abschrift dieses Schreibens an Herrn Regierungsekretär Ospelt, dessen vorsichtiger Haltung und äusserst sachgemässen Berichten, die mir heute zukamen, ich nur meine volle Anerkennung zollen kann.

Ich werde Ihnen von Vaduz aus telephonieren, wann ich ankomme, und bitte dem entsprechend Prinzessin [Maria Luise von] Rohan, [Clemens von] Arvay, [Walter] Probst, Chlumetzky [Leopold von Chlumecky] und Revertera [21] zu verständigen und wegen meiner Vorsprache beim Bundespräsidenten und jenen Stellen, wo Sie glauben, dass ich vorsprechen soll, alles vorzubereiten. Ich muss mich aber bei meiner Reiseeinteilung danach richten, wie die Herren in der Finanzangelegenheit in Zürich eintreffen können und will es wegen der hohen Kosten vermeiden, unnötig in der Schweiz herumzufahren und länger zu bleiben, als unbedingt notwendig ist. Nachdem ich aber auch hier wirklich nicht leicht entbehrlich bin, kann ich meine Anwesenheit am 23. nicht mehr in sichere Aussicht stellen, halte sich auch übrigens, wenn entsprechende Vorbesprechungen stattgefunden haben, für nicht unbedingt notwendig.

Ich bin überzeugt, dass Sie nach diesen Ausführungen meine kurzen weiteren telegrafischen Angaben verstehen und in ihren Motiven würdigen werden und bei dem grossen Takte, mit welchem Sie bisher gegenüber der schweizerischen Regierung operiert haben, auch jetzt alles so darstellen werden, dass eine Verstimmung dort nicht zu befürchten ist.

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[1] LI LA V 002/0049. Aktenzeichen: 17/4-20. Eingangsstempel der Gesandtschaft in Bern, wo das Schreiben am 12.1.1920 unter Nr. 44 einging. Weitere Exemplare unter LI LA SF 01/1920/007; LI LA V 003/0189.
[2] LI LA V 002/0049, Telegramm Prinz Eduard an Emil Beck, 9.1.1920 (?).
[3] LI LA V 002/0049, Telegramm Prinz Eduard an Emil Beck, 9.1.1920 (?).
[4] Prinz Eduard rechtfertigte seine Tätigkeit als Gesandter am 17.1.1920 vor dem Landtag (LI LA LTA 1920/S04).
[5] Es handelt sich um den geplanten Verkauf von Schmuck aus dem fürstlichen Fideikommiss. Prinz Eduard verkaufte den Schmuck am 31.1.1920 in Bern für 605'000 Franken. Mit dem Erlös gewährte der Fürst dem Land ein unverzinsliches Darlehen von 550'000 Franken (LGBl. 1920 Nr. 4), das in erster Linie zur Rückzahlung der bei der Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich bestehenden Lebensmittelschuld des Landes diente.
[6] Tatsächlich fanden die Verhandlungen auf Vorschlag Liechtensteins (LI LA V 002/0299/008, Beck an Bundesrat Felix Calonder, 10.1.1920) schliesslich am 23./24.1.1920 statt. Zu den Verhandlungen vgl. LI LA SF 27/1920/0650 ad 64, Protokoll der Konferenz vom 23./24.1.1920.
[7] Wohl das Schreiben, mit dem Johann II. die Übernahme der Vertretung der Interessen des Fürstentums Liechtenstein und seiner Staatsangehörigen durch die Schweiz verdankte, vgl. LI LA RE 1920/0141, Johann II. an Bundespräsident Motta, 6.1.1920.
[8] Vgl. LI LA SF 27/1920/0413 ad 64, Aktennotiz Josef Martin zuhanden von Prinz Karl, 8.1.1920.
[9] LI LA V 002/0293/06, Emil Beck an Regierung, 8.10.1919.
[10] Nicht aufgefunden.
[11] Prinz Karl hatte am 22.4.1919 bei Bundesrat Felix Calonder vorgesprochen und angefragt, ob die Schweiz bereit wäre, mit Liechtenstein ähnliche Abmachungen zu schliessen, wie sie bis anhin mit Österreich-Ungarn bestanden hatten (LI LA RE 1919/2023, Prinz Karl an Johann II., 25.4.1919).
[12] LI LA SF 27/1919/2482 ad 1710, Prinz Eduard an Prinz Karl, 16.5.1919.
[13] Zur Position von Walser vgl. LI LA RE 1919/5966 ad 589, Prinz Eduard an Gesandtschaft Bern, Nachtrag vom 4.12.1919 zum Schreiben vom 3.12.1919.
[14] Postabkommen vom 18.2.1920 (LI LA RE 1919/3062).
[15] Vgl. LI LA SF 03/1919/72/5056 ad 406, Landtagspräsidium an Regierung, 14.10.1919; LI LA SF 03/1919/72/5056 ad 406, Regierung an Gesandtschaft Wien, 19.10.1919.
[16] Zu den Verhandlungen über ein Handelsabkommen vgl. LI LA RE 1919/5963 ad 4, Protokoll der Sitzung vom 2.12.1919 im deutschösterreichischen Staatsamt des Äussern.
[17] Im Mai 1919 ging Prinz Eduard davon aus, dass Liechtenstein mit einer Entschädigung von etwa 12 Franken pro Einwohner rechnen könne (LI LA V 003/0184, Prinz Eduard an Prinz Karl, 18.5.1919).
[18] LI LA SF 03/1920/0356 ad 40, Gesandtschaft Wien an Regierung, 3.1.1920.
[19] LI LA LTA 1920/L11.
[20] Der Landtag stimmte am 30.1.1920 beiden Verträgen zu (LI LA LTA 1920/S04).
[21] Nicht sicher identifiziert, aber wohl Nikolaus Revertera-Salandra.