Die Anhänger der Fortschrittlichen Bürgerpartei verabschieden in Vaduz neuerlich eine Resolution in der Peer- bzw. Landesverweserfrage


Artikel im „Liechtensteiner Volksblatt" [1]

5.5.1920

Die Versammlung vom 2. Mai in Vaduz

Am 2. Mai versammelten sich im Adlersaale in Vaduz etwa 250 stimmberechtigte Bürger. Besonders stark vertreten waren die Männer gesetzten und betagten Alters. Gerade von den angesehendsten Bürgern des Landes waren viele vertreten. Auch solche waren dabei, die früher anders dachten, die aber einsehen, dass es um Ruhe, Ordnung und wahren Fortschritt geht. Aus jeder Gemeinde waren Vertreter da, aus den entfernteren weniger als von den näher gelegenen. Auch aus dem Unterlande waren einige erschienen. Der Obmann der Fortschrittlichen Bürgerpartei, Franz Verling, leitete die Versammlung ähnlich wie im Unterlande, nachdem er in einleitenden Worten zur Ruhe und Sachlichkeit mahnte und Dr. [Josef] Peer als Landesverweser begrüsste. 

Die Versammlung in Vaduz kann sich derjenigen in Eschen würdig zur Seite stellen, wenn auch in Vaduz weniger Teilnehmer zugegen waren. 

Unter grossem Beifall verlas der Obmann folgendes Schreiben: [2] 

Fürstl. Liechtenst. Gesandtschaft in Wien

Wien, am 30. April 1920 

Geehrter Herr Obmann! 

Im hohen Auftrage Seiner Durchlaucht des regierenden Fürsten [Johann II.] beehre ich mich Ihnen geehrter Herr Obmann mitzuteilen, dass Hochderselbe das von Ihnen gefertigte Telegramm der fortschrittlichen Bürgerpartei anlässlich der Versammlung in Eschen vom 25. April mit lebhafter Befriedigung zur Kenntnis genommen haben. Seine Durchlaucht begrüsst wärmstens den von Loyalität und Fürstentreue durchdrungenen Standpunkt der Partei, deren Obmann Sie sind und bittet Sie alle Mitgliedern derselben seinen aufrichtigsten Dank für die, in den jetzigen schweren Zeiten doppelt erfreuliche Kundgebung auszusprechen. Die Gesinnung, die in derselben zum Ausdruck kommt, ist die beste Gewähr dafür, dass Liechtenstein in treuer und verfassungsgemässer Zusammenarbeit zwischen Volk und Fürsten einer glücklichen Lösung der schwierigen, derzeit schwebenden wirtschaftlichen und verfassungsrechtlichen Fragen und damit einer aussichtsreichen Zukunft gehen wird. 

Genehmigen geehrter Herr Obmann den Ausdruck der ausgezeichneten Hochachtung, mit der ich verbleibe 

Ihr 

ergebener 

Eduard Prinz Liechtenstein

Dann wies Franz Verling die Angriffe der O.N. in ihrer letzten Nummer [3] entschieden zurück: Ihn habe noch nie nach fremdem Eigentum gelüstet. Er könne sich einer Äusserung, die gegen das fürstliche Eigentum gerichtet gewesen wäre, nie erinnern und wenn er auch am 6. November 1918 als damaliger Anhänger der Volkspartei eine Äusserung bezüglich des fürstl. Eigentums getan haben sollte, so könnte sie nur in dem Sinne geschehen sein, dass jetzt allerdings für jene, die danach gelüsten würde, der Zeitpunkt gekommen wäre, wo man an so was denken könnte. Der Beweis für seine Ausführungen liege schon darin, dass er vom 7. November [4] an, also von dem Zeitpunkte an, der ihm zeigte, wohin es gehe, nicht mehr mittat. 

Landtagspräsident [Friedrich] Walser führte nun folgendes aus: 

Werte Mitbürger! 

In der heutigen Tagesfrage spielt das Losungswort: „Liechtenstein den Liechtensteinern" eine grosse Rolle. Ich habe schon letzten Sonntag in Eschen erklärt, [5] dass ich nicht der Letzte war, der in diesen Ruf eingestimmt, wenn ich aber heute nach den Erfahrungen der letzten anderthalb Jahre dafür halte, dass es in der gegenwärtigen Zeit kein Glück für unser Land wäre, wenn unbedingt ein Liechtensteiner an die Spitze unserer Regierung berufen würde, so schäme ich mich dessen nicht, zumal wir dafür halten, dass wir gegenwärtig keinen geeigneten Mann für diesen Posten haben.  

Wir sind im Landtage darüber einig, dass in die künftige Verfassung die Bestimmung aufgenommen werde, dass bei der Bestellung eines Landesverwesers in erster Linie auf einen geeigneten Liechtensteiner Rücksicht genommen werden soll. Da wir aber heute nach Ansicht der Mehrheit im Landtage mit bestem Gewissen dem Landesfürsten keinen solchen Liechtensteiner in Vorschlag bringen können, welcher das Vertrauen eines Grossteils der Bevölkerung geniesst und von dem wir hoffen dürfen, dass er in der bewegten Zeit diesen Posten voll und ganz vorstehen kann, erachten wir das Wohl des Landes darin, dass uns unser Landesfürst an die Spitze unserer Regierung einen für dieses Amt vollkommen fähigen und über den Parteien stehenden Mann beruft, wenn er auch kein Liechtensteiner ist. 

Wir brauchen für diesen Posten einen Mann, welcher mit unsern Verhältnissen vertraut ist, der im gesamten Verwaltungsdienste praktisch erfahren und befähigt ist, der die vielen in Aussicht stehenden neuen Gesetze nach den Beschlüssen des Landtages und mit Berücksichtigung unserer Verhältnisse gesetzestechnisch selbst verarbeiten kann, von dem wir aber insbesondere auch hoffen dürfen, dass er zu Unterhandlungen und Vertragsabschlüssen mit unseren Nachbarstaaten das nötige Geschick besitzt. 

Wenn uns unser Landesfürst den Herrn Dr. Peer als Landesverweser beruft, so dürfen wir versichert sein, dass unser oberstes Amt in gute Hände kommt.

Die „Oberrheinische" hat letzte Woche berichtet, ich hätte in der Versammlung am letzten Sonntag in Eschen geäussert, Herr Dr. Peer sei mein Freund! [6] Ich erkläre diese Behauptung öffentlich als eine Unwahrheit. Ich würde mich solcher Freundschaft gewiss nicht schämen, aber gesagt habe ich, ich kenne Herrn Dr. Peer schon viele Jahre als einen Mann lauteren Charakters, als hervorragenden Juristen und tüchtigen Verwaltungsbeamten, man möge aber nicht auf mein Urteil allein bauen, sondern möge sich erkundigen, wo Dr. Peer gewirkt habe, man höre nur das eine Urteil, wenn Liechtenstein diesen Mann als Landesverweser bekommt, ist dem Lande nur zu gratulieren. 

Die heutige Tagesfrage ist nach meiner Ansicht absolut keine Parteisache, sondern eine reine Personenfrage. Wenn wir nicht die Rechnung für die in Aussicht stehenden Zustände selbst bezahlen müssten, wäre gewiss die einfachste Lösung, unser Landesfürst würde den Wünschen einiger Herren der Volkspartei nachgekommen und einen oder vielmehr drei der Herren ernennen, welche sich hiezu berufen fühlen. Die Herrlichkeit würde nicht lange dauern, das beste Beispiel haben wir an Herrn Dr. [Martin] Ritter, welcher auch nach seinem Rücktritte vom Volkspartei-Ausschuss hochgehalten wurde, heute aber von demselben schon vollständig abgeschüttelt ist. Wenn solches am „grünen" Holze geschieht, was würde denn erst dem „dürren" passieren! Nach unserer Ansicht ist aber gegenwärtig für das Land nicht die Zeit für solche Versuchsproben, wir brauchen Ruhe und Ordnung im Lande, damit die Wunden, die uns der lange Krieg und speziell die Währungsmisere hinterlassen, bald wieder ausgeheilt und unser Ansehen im Auslande nicht ganz verloren geht. 

Mag aber auch im staatlichen wie im privaten Haushalt gegenwärtig Verschiedenes nicht rosig aussehen, ich habe die feste Zuversicht, dass wir bei einigem Zusammenarbeiten diese Krise in verhältnismässig kurzer Zeit überstanden haben werden. 

Wir haben zwar im Lande wahre Genie für Wühlarbeit und Untergrabung der Autorität, aber ich glaube, wir brauchen jetzt einen Baumeister, welcher den Wiederaufbau mit Geschick leitet und in dieser Beziehung haben diese Herren noch absolut keinen Befähigungsnachweis erbracht. 

Nach meiner Meinung braucht in dieser Sache jeder Bürger, welcher für Ruhe und Ordnung im Lande ist und gehöre er dieser oder jener Partei an, nicht lange zu überlegen, auf welche Seite er sich zu stellen hat. 

Jetzt heisst es getreu und fest hinter der vom Fürsten bestellten Regierung stehen. 

Die Leitung der Volkspartei spricht von Zeit zu Zeit ihre Entrüstung darüber aus, dass ihnen zugemutet werde, sie wollen an der jetzigen Staatsform unseres Landes rütteln und versichern, sie halten unsern Fürsten in Ehren. Wenn sie dieser Versicherung den Nachsatz beifügen würden: Der Fürst und die Regierung haben aber unbedingt das zu tun und zu lassen, was der hohe Volkspartei-Ausschuss beschliesst, - dann würde ich nach den praktischen Erfahrungen diesen Erklärungen etwas mehr Glauben schenken. 

Malin, Mauren, trat in sehr guten Ausführungen für einen Mann mit der Umsicht und Tatkraft eines Dr. Peer auf und betonte am Schlusse: „Das Unterland ist ein Faktor, mit dem man rechnen muss und mit dem man rechnen kann". 

Dr. Rudolf Schädler, Vaduz, trat ebenfalls in trefflichen Ausführungen für Dr. Peer ein

Er habe sich zurückgezogen von der Politik, aber in dieser Frage bekenne er gerne seine Ansicht und Farbe. Es könnte ihm sonst Mangel an Mut vorgeworfen werden

Wenn z.B. Österreich nach dem unglücklichen Krieg von 1866 [7] einen Ausländer, den Sachsen [Friedrich Ferdinand von] Beust, zum Staatskanzler berufen habe und selbst Städte mit Hunderttausenden von Einwohnern zu ihrem Bürgermeister gerade den tüchtigsten Mann wählen, unbekümmert darum, ob er Bürger sei oder nicht, dann brauche sich das kleine Land Liechtenstein mit seinen 9000 Einwohnern nicht zu schämen, nur nach dem Tüchtigsten zu schauen, ob er nun Inländer sei oder nicht. Gerade die heutigen Verhältnisse verlangen einen tüchtigen Mann und dieser sei Dr. Peer, den er schon seit langen Jahren kenne. Auch seine Ansicht gehe dahin, dass in Zukunft parlamentarisch regiert werden solle, d.h. dass der jeweilige Landesverweser nicht gegen den Willen der Mehrheit der Volksvertretung vorgehen dürfe

Dr. [Eugen] Nipp betonte ein Zusammenarbeiten des ganzen Volkes, ohne sich jetzt zu zanken. Denn den Schaden am Streite von wenigen hat schliesslich immer nur die Gesamtheit. Fest Hand ans Werk! sei jetzt nötig, um kulturell und wirtschaftlich vorwärts zu kommen. Ein Landesverweser, selbst wenn er Ausländer sei, könne doch dem Landtage und den Regierungsräten nicht über den Kopf wachsen, wenn die Volksvertretung fest arbeite. Freie Bürger wollen wir sein, aber auch dem Fürsten geben, was des Fürsten sei, da unser Ländchen nur in Verbindung mit dem Fürstenhause gedeihen könne

In der Diskussion traten auch Regierungsrat [Johann] Wanger und Baumeister [Josef] Hilti für Zusammenarbeit und für positive Arbeit ein und äusserten sich ebenfalls im Sinne der Vorredner. Hierauf schritt der Obmann zur Verlesung folgender 

Resolution: [8] 

Wir am 2. Mai 1920 in Vaduz versammelten 250 stimmberechtigten Bürger begrüssen die fürstliche Ernennung des Hr. Dr. Peer zum Landesverweser von Liechtenstein für den Fall, als der jetzige Landesverweser Durchlaucht Prinz Karl nicht mehr auf seinem Posten zu verbleiben gedenkt. 

Wir verharren auf dem Standpunkte, dass das Recht des Fürsten, einen Landesverweser zu ernennen, der das Vertrauen der Volksmehrheit hat, nicht geschmälert werden soll. 

Wir verurteilen auf das Entschiedenste jedes Vorgehen gegen den Bestand des Landes als konstitutionelle Monarchie und geloben als freie Bürger unserem Fürsten unentwegte Treue. 

Hoch Fürst und Vaterland! 

Wie im Unterlande wurde auch in Vaduz diese Resolution fast einstimmig und begeistert durch Handmehr angenommen. Bei der Gegenprobe stimmten nur 4 dagegen und zwar ausgesprochene Anhänger der Volkspartei. Betont sei noch, dass manche Anhänger der Volkspartei anwesend waren. 

Dann brachte der Obmann das Fürstenhoch aus, in das alle freudigst einstimmten. 

Stehend und entblössten Hauptes sangen hierauf die Teilnehmer die Volkshymne, worauf die Versammlung geschlossen wurde. [9]

______________

[1] L.Vo., Nr. 36, 5.5.1920, S. 1. Vgl. auch die von der Fortschrittlichen Bürgerpartei organisierte Versammlung in Eschen vom 25.4.1920, an der bereits eine Resolution an den Fürsten für die Bestellung von Josef Peer zum liechtensteinischen Landesverweser verabschiedet worden war (L.Vo., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1 („Die grosse Volkskundgebung im Unterland")). Vgl. in diesem Zusammenhang auch O.N., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1-2 („Unterländer Versammlung").
[2] Das Schreiben findet sich auch in den Wiener Gesandtschaftsakten: LI LA V 003/1190 (Aktenzeichen 353/1).
[3] O.N., Nr. 35, 1.5.1920, S. 2 („Saulus – Paulus"). Franz Verling soll am Vortage des „Novemberputsches" vom 7.11.1918 geäussert haben: "Jetzt ist die richtige Zeit, dem Fürsten alles wegzunehmen und aufzuteilen."
[4] Aufgrund der Vorgänge vom 7.11.1918 („Novemberputsch") kam es zum Ausscheiden von Landesverweser Leopold von Imhof und bis Dezember 1918 zu einem Intermezzo mit einem provisorischen Vollzugsausschuss unter Martin Ritter.
[5] Es handelte sich um die oben erwähnte Versammlung der Bürgerpartei vom 25.4.1920.
[6] Vgl. O.N., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1-2 („Unterländer Versammlung"), hier S. 1.
[7] Im preussisch-österreichischen Krieg von 1866 standen sich Österreich und die meisten deutschen Staaten einerseits und Preussen, Italien sowie einige norddeutsche und thüringische Kleinstaaten andererseits gegenüber. Nach der Niederlage des österreichisch-sächsischen Heeres bei Königgrätz musste Österreich im Frieden von Prag u.a. der Auflösung des Deutschen Bundes zustimmen.
[8] Die in Vaduz verabschiedete Resolution entsprach - bis auf den Eingangssatz - der Eschner Resolution vom 25.4.1920 (vgl. L.Vo., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1 („Die grosse Volkskundgebung im Unterland")).
[9] Im Gegenzug wollte die Christlich-soziale Volkspartei ihren Standpunkt in der Landesverweserfrage durch einen öffentlichen Aufmarsch am 9.5.1920 in Vaduz stärken. Die Volkspartei konnte nach eigenen Angaben an dieser Versammlung über 1000 Mann mobilisieren (O.N., Nr. 38, 12.5.1920, S. 1-2 („Die grosse Volks-Demonstration vom 9. Mai 1920 in Vaduz, ein historischer Tag")).