Die fürstliche Zentraldirektion berichtet Prinz Alois über die ersten Enteignungen liechtensteinischer Besitzungen in der Tschechoslowakei und dringt auf eine zentrale Leitung der fürstlichen Stellen in den Fragen der Bodenreform


Maschinenschriftliche Abschrift eines Schreibens der fürstlichen Zentraldirektion, nicht gez., an Prinz Alois [1]

26.2.1921, Kolodeje

Ew. Durchlaucht!

Die in tiefster Ehrfurcht gefertigte Zentraldirektion gestattet sich Ew. Durchlaucht ihren verbindlichsten und aufrichtigst gefühlten Dank für die huldvolle und liebenswürdige Unterstützung ihrer redlichsten Bemühungen zu unterbreiten. Wohin die dilettantischen Experimente des Dr. S. [2] in Bodenreformfragen führen, haben die jüngsten Beschlüsse des Bodenamtes vom 23./II. gezeigt. – Das Bodenamt beschloss einhellig auch mit der Stimme des Präsidenten Vyškovsky, dass von Seiner Durchlaucht die ganze Herrschaft Radim oder Kaunitz, dann die Güter Auřinowes und Netluk, dann ungefähr 500 Ha von Eisgrub, das Gut Hluk, der Komplex der Meierhöfe Trnavka, Dürrhof, Umiraska, ferner Rovenz, das Gut Aussee, der Meierhof Schönwald und Kreuzendorf zur Enteignung [3] zu gelangen haben. – Selbstverständlich ist mit diesem Beschlusse die Angelegenheit nicht gelöst, sondern wir hoffen auf die Abänderung dieser Beschlüsse, jedenfalls aber ist die Sache äusserst unangenehm, weil wir vor ein fait accomplit gestellt wurden. Wir bedauern im Interesse unseres hohen Herrn aufrichtigst, dass in dieser Lebensfrage die Vollmachten ununterbrochen wechseln. – Dadurch setzte man sich in Widerspruch mit den grundlegenden Erlasse des Bodenamtes, dass für den Bereich der Č.S.R. für alle Handlungen nur die Zentraldirektion verantwortlich ist, und andererseits wurde das Ansehen der Zentraldirektion untergraben, weil die Behörden und die čechischen Amtsorgane daraus deduzieren zu müssen glauben, dass die Zentraldirektion in Wirklichkeit nicht die tatsächliche Repräsentantin Seiner Durchlaucht darstellt. Aus diesem Grunde hat sich die in tiefster Ehrfurcht gefertigte Zentraldirektion bemüssigt gesehen, diese Tatsachen in nackter historischer Darstellung ohne Ziehung irgendwelcher Schlüsse Seiner Durchlaucht zu unterbreiten. Ew. Durchlaucht wissen aus einem unserer früheren Berichte, dass das hiesige Aussenministerium noch immer die Souveränität Seiner Durchlaucht anzweifle. Aus diesem Grunde bat die gehorsamst gefertigte Zentraldirektion, Seine Durchlaucht der regierende Fürst [Johann II.] mögen gestatten, dass Professor Strisover [Leo Strisower] diese Frage historisch und wissenschaftlich bearbeitete. [4] Obgleich die Behandlung dieser Frage evident äusserst dringend war, dauerte es leider lange Zeit, bevor Seine Durchlaucht höchst Seine Einwilligung zu erteilen geruht haben. Auf diese Weise verlieren wir stets sehr viel kostbare Zeit, was keineswegs zum Vorteile Seiner Durchlaucht gereicht. – Den weiteren Sachverhalt belieben Ew. Durchlaucht aus den 3 anruhenden Beilagen [5] zu ersehen. – Was die Person des Herrn Dr. Schwarz betrifft, so zählt er zu den angesehensten Advokaten Prags, allein auf dem Gebiete der Bodenreform ist er ein Dilettant; er selbst besitzt einen kleinen Besitz von ca. 200-300 Ha; auch er hatte mit der bisherigen Durchführung der Bodenreform und anlässlich eines Gespräches mit dem ergebenst gefertigten Justizrate erwähnte er, dass er infolge seiner anderweitigen Inanspruchnahme keine Zeit finde, sich mit den Bodenreformfragen zu befassen. –

Dr. Schwarz war einer jener Advokaten, welcher an dem famosen Verkaufe von Rakonitz und Themenau einen bedeutenden, aktiven Anteil nahm. Wenn trotzdem solche Personen auch weiterhin als Berater Seiner Durchlaucht zugezogen werden, so muss es den Anschein erwecken, als ob Seine Durchlaucht mit jener Transaktion einverstanden wäre. – Auf diese Weise werden die besten und aufrichtigsten Absichten der tief ergebensten Zentraldirektion vereitelt. –

Die in tiefster Ehrfurcht gefertigte Zentraldirektion hält es für ihre Pflicht, Ew. Durchlaucht aufmerksam zu machen, und zu ihrem tiefsten Bedauern zu bitten, dass Ew. Durchlaucht für unsere Intentionen nicht eintreten, weil von einer Seite die Bemerkung fiel, Ew. Durchlaucht sind der Anwalt und das Sprachrohr der Zentraldirektion. – Gegenwärtig wird in Wien fleissig daran gearbeitet, dass in Ansehung der hochfürstlichen Organisation eine weitgehenste Dezentralisation eingeführt und möglichst viele voneinander unabhängige Zentralstellen errichtet werden. [6] Wenn diese Idee durchdringen sollte, dann greift eine vollständige Desorganisation platz. – Wenn auch alle Ministerien oder die einzelnen Bankfilialen oder Fabrikszweigniederlassungen in ihrem eigenen Wirkungskreise selbständig sind, so wird überall die oberste Leitung von dem Ministerratspräsidium oder von der Hauptanstalt zusammen gefasst und in der Hand behalten. – Die tief ergebenste Zentraldirektion legt persönlich gar kein Gewicht darauf, dass sie mit der obersten Leitung betraut wird, sondern sie ist mit jeder Form einer Zentralleitung einverstanden, nur muss diese Organisation bedingungslos und mit der grössten Schärfe durchgeführt werden, weil sich sonst der ganze Organismus in Anarchie auflösen muss.

In tiefster Ehrfurcht:

______________

[1] LI LA SF 01/1921/026. Das Schreiben stammt vermutlich von Justizrat Victor Kaplan. Eine Abschrift wurde von Kaplan noch am 26.2.1921 an Landesverweser Josef Peer übermittelt (ebd. (Aktenzeichen: Z.D. 3159.J.R.)).
[2] Vermutlich Emil Sommerschuh. Vgl. in diesem Zusammenhang die Denkschrift der fürstlichen Zentraldirektion an Fürst Johann II. vom 25.2.1921 (LI LA SF 01/1921/026 (Aktenzeichen der Zentraldirektion: Z.D. 3159)).
[3] Vgl. das tschechoslowakische Enteignungsgesetz vom 19.4.1919.
[4] Vgl. das undatierte Rechtsgutachten des Wiener Völkerrechtsprofessors Leo Strisower über die Souveränität des Fürstentums Liechtenstein und des Fürsten von Liechtenstein unter LI LA V 003/0337 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien: 153/1).  
[5] Vgl. in diesem Zusammenhang die Beilagen zum oben genannten Schreiben Kaplans an Landesverweser Peer vom 26.2.1921. 
[6] Vgl. schon die Höchste Entschliessung des Fürsten vom 23.11.1920 betreffend Richtlinien für die Reorganisation der Zentralbehörden unter LI LA SF 01/1920/174 (Aktenzeichen der fürstlichen Kabinettskanzlei: Präs. No. 823).