Der k.k. Gewerbeinspektor Hubert Stipperger entwirft eine Betriebsordnung für die Steinbrüche des Johann Frick und des Johann Kubli in Balzers


Handschriftliche Fassung einer von Hubert Stipperger ausgearbeiteten Betriebsordnung für die Steinbrüche von Johann Frick und Johann Kubli in Balzers mit Ergänzungen von Landesverweser Karl von In der Maur, gez. ders. [1]

o.D. (7.10.1905/25.3.1906), o.O. (Bregenz/Vaduz)

Betriebsordnung für die Steinbrüche in Balzers

Das Aufsichtspersonale ist verpflichtet, den Steinbruch täglich zu begehen und die Folgen einer etwaigen Erdabrutschung oder eines Felsenabsturzes ungefährlich zu machen.

Mit besonderer Sorgfalt sind diese Begehungen nach jedem stärkeren Regen, nach eintretendem Tauwetter und nach jeder grösseren Sprengung vorzunehmen.

Jeder Arbeiter, welcher am Rande eines steilen Abhanges arbeitet, muss zu seiner Sicherheit ein hinreichend starkes und gut befestigtes Seil im Griffbereiche neben sich haben.

Tragseile, Krahn- und Windenketten sind wöchentlich wenigstens einmal in Bezug auf ihre Haltbarkeit einer strengen Untersuchung zu unterziehen.

Die im Abraummateriale des Steinbruches vorzunehmenden Arbeiten sind vom Aufsichtspersonale streng zu überwachen, um den erfahrungsgemäss bei diesen Arbeiten in grosser Zahl sich ereignenden Unglücksfällen zuvorzukommen.

Das Untergraben des Erdreiches oder Schuttmaterials ist strenge verboten.

Lockeres Schuttmateriale, besonders wenn dasselbe mit grossen und kleineren Felsenstücken vermischt ist, darf nicht steil abgeböscht werden.

Unterhalb einer Abgrabung darf nicht gearbeitet werden, sobald das von oben etwa abrollende Material die untere Arbeitsstelle erreichen kann.

Das Unterschiessen überhängender Gesteinspartien ist zu vermeiden.

Das Niederlegen ganzer Wände durch Riesenminen oder durch Abschiessen sogenannter Füsse /: Unterminieren :/ ist erst dann gestattet, wenn das vorhandene Abraummateriale /: Felsstücke und Schutt :/ bis zur Sohle des Bruches beziehungsweise bis zum Felsen der Bruchwand entfernt worden ist und ist der Aufsichtsbehörde /: d.i. dem Ortsvorsteher :/ vorher anzumelden.

Unterminierungen müssen so hergestellt werden, dass vollkommen feste, hinreichend starke Stützpfeiler stehen bleiben.

Die Pfeiler sind schon während der fortschreitenden Unterminierungsarbeit mit der nötigen Anzahl Bohrlöcher zu versehen.

Vor der Felswand und in deren voraussichtlichem Sturzbereiche sollen möglichst wenige Arbeiter beschäftigt werden; denselben ist rechtzeitig der Fluchtort zu bestimmen.

Die Stützpfeilerminen werden gleichzeitig geladen und miteinander gezündet.

Erfolgt der Sturz nicht bald nach der Zerstörung der Stützpfeiler, so ist durch volle 24 Stunden die Wand zu beobachten und erst dann darf zur Untersuchung geschritten werden.

Frische Bruchflächen an den Felswänden sind stets genau zu untersuchen und lockere Partien zum Abbruche zu bringen.

Nach jeder Niederlegung einer Wand sind die benachbarten Felspartien, welche nunmehr freistehen, dahin zu untersuchen, ob ihre Stabilität beeinträchtigt ist.

Sprengmittel dürfen nur in mit behördlicher Bewilligung erbauten Sprengmittelmagazinen aufbewahrt werden. Ausgenommen hievon sind Mengen unter 3 kg, welche auch in anderen, jedoch unbewohnten, geeigneten Räumen untergebracht werden dürfen.

Bei Arbeiten mit Sprengmitteln sind alle feuergefährlichen Handlungen /: Rauchen :/ untersagt.

Die mit Sprengmitteln gefüllten Gefässe dürfen nie gestürzt, gekollert oder geschoben, auch nicht um einen Stützpunkt am Boden gedreht werden; sie sind mit grosser Vorsicht zu tragen und insbesondere vor jedem Stosse zu schützen.

Zu den Sprengarbeitern dürfen nur solche Arbeiter verwendet werden, welche zuverlässig und mit der Behandlung der Spreng- und Zündmittel vollkommen vertraut sind. Zum Laden ist entweder ein Vorarbeiter oder ein Aufseher zu bestimmen. Die sich der Sprengmittel bedienenden Arbeiter müssen belehrt werden, dass jede mutwillige oder eigenmächtige Benützung des Sprengmittels ihre persönliche Sicherheit in hohem Grade gefährdet, dass speziell Dynamit – auch wenn es ohne Besatz im Freien zur Explosion gebracht wird – zerschmetternde Wirkung äussert, dass insbesondere die Sprengkapseln das Mittel bilden, welches die zerstörende Wirkung einleitet, und dass daher die Kapseln nur zum Zwecke des Sprengens und möglichst kurze Zeit vor dem Schusse in die Zündpatrone eingesetzt werden sollen.

Gefrorene Patronen dürfen nicht zerbrochen, gedrückt oder mit einem harten Körper gerieben werden und sind zum Gebrauch in doppelwandigen Gefässen mit warmen Wasser aufzutauen.

In Zersetzung begriffenes Dynamit kann sich selbst entzünden und fällt durch seinen Geruch auf.

Längere Berührung der Körperhaut mit Nitroglycerinpulver /: Dynamit :/ verursacht Kopfschmerzen und Übelkeiten.

Kapseln dürfen nie mit dem Sprengmittel zusammen aufbewahrt werden.

Zündschnüre, Zündstäbe und somit auch Zündpatronen dürfen nur unmittelbar vor dem Laden des Bohrloches adjustiert werden. Das Zünden der Zündschnur ist mittelst einer gut brennenden Lunte zu bewerkstelligen.

Das Ansetzen der Sprengpatronen in den Bohrlöchern darf nur mit einem hölzernen Ladstocke und ohne viel Kraftaufwand geschehen; die adjustierte Zündpatrone wird auf die Sprengpatrone nur leicht aufgesetzt und ist vor dem festen mit einem losen Besatz zu versehen.

Beim Laden mit Schwarzpulver dürfen Raumnadeln von Eisen und eiserne Ladstöcke nicht verwendet werden.

Das Aufkneifen der Kapseln an der Zündschnur mit den Zähnen ist strenge verboten.

Die Zündschnur muss für jeden Schuss die nötige Länge und Brenndauer haben, damit sich die Arbeiter genügend weit entfernen und bergen können. Sämtliche Zugänge zum Orte, wo Schüsse abgetan werden sollen, sind zu bewachen und die üblichen Warnungssignale durch in Pausen von 3 – 5 Minuten vor dem Zünden dreimal zu wiederholende langgedehnte Rufe „Feuer“ zu geben. Auf den ersten Ruf „Feuer“ haben alle im Bruche Beschäftigten die gesicherten Unterstände aufzusuchen.

Hat ein Schuss versagt, so darf vor Ablauf von einer Viertelstunde der Ort nicht betreten werden und es ist der versagte Schuss nicht auszubohren oder zu ersäufen, sondern durch einen Nachbarschuss zur Explosion zu bringen.

Das Tieferbohren der nach getanen Schüssen zurückbleibenden Büchsen ist untersagt.

Bohrminen, welche erwarten lassen, dass Steine weit ausgetragen werden, sind mit Reisigbündeln zu bedecken.

Wenn bei Bohrlöchern zu der ersten Ladung Dynamit ein ähnliches Sprengmittel verwendet wird um für eine zweite Ladung einen grösseren Raum zu gewinnen, so darf die zweite Ladung erst nach Verlauf einer Stunde vorgenommen werden, damit verhindert werde, dass sich die Munition durch die Wärme des Steines von selbst entzünde. [2]

Die mit Schluss der Schicht bei Tagarbeiten erübrigten Sprengmittel sind dem Aufseher zu übergeben.

Die Steinbruchunternehmer sind verpflichtet, alle ihre im Steinbruche beschäftigten Arbeiter bei einer Unfallversicherungsanstalt gegen Unfall zu versichern. [3]

Übertretungen dieser Verordnung insbesonders jedes leichtsinnige, unvorsichtige Gebaren mit Sprengstoffen werden je nach ihrer Gefährlichkeit und den durch derartige Handlungen herbei geführten Folgen geahndet. Soweit sich die betreffende Übertretung nicht als eine nach dem Strafgesetze [4] zu verfolgende Handlung darstellt wird sie eventuell nach der fstl. Verordnung von 9. Dez. 1858 [5] bestraft. [6]

Ereignen sich schwere Unfälle, so ist der Werksleiter verpflichtet, ungesäumt und mit möglichster Eile einen Arzt an Ort und Stelle zu bringen sowie der Behörde Anzeige zu erstatten.

Der Unternehmer haftet für sein eigenes Verschulden sowie für das Verschulden seines Personals u. ist zur genauen Befolgung u. Durchführung dieser Betriebsordnung verpflichtet. Die nächste und unmittelbare Aufsicht ist Sache der Ortsvorstehers, welcher der Behörde gegenüber für den gewissenhaften Vollzug verantwortlich ist; die fürstliche Regierung führt die Oberaufsicht u. Überwachung nach Massgabe  nach Massgabe der bestehenden Vorschriften. [7]

Fürstliche Regierung

______________

[1] LI LA RE 1905/ad 1869 (Beilage zum Schreiben des k.k. Gewerbeinspektorates in Bregenz bzw. des k.k. Gewerbeinspektors Hubert Stipperger an die liechtensteinische Regierung vom 7.10.1905 (LI LA RE 1905/1869)). Die ergänzte Fassung wurde von der Regierung am 25.3.1906 genehmigt. Hektographiert von Josef Ospelt am 27.3.1906. Ein Exemplar der endgültigen Betriebsordnung findet sich unter LI LA RE 1906/0392 sowie unter LI LA RE 1908/1325.
[2] Satz handschriftlich ergänzt.
[3] Satz handschriftlich ergänzt.
[4] Vgl. das österreichisches Strafgesetz vom 27.5.1852 über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, öst. RGBl. 1852 Nr. 117, rezipiert in Liechtenstein durch fürstliche Verordnung vom 7.11.1859 (LI LA SgRV 1859). 
[5] Fürstliche Verordnung vom 9.12.1858 betreffend die Amtsgewalt des fürstlichen Regierungsamtes und der Vorsteher bei der Vollstreckung von Verfügungen oder Erkenntnissen (LI LA SgRV 1858/02 (Registraturvermerk: Nr. 10073)).
[6] Satz handschriftlich ergänzt.
[7] Absatz handschriftlich ergänzt.