Die "Eschner Rede" von Regierungschef Josef Hoop vom 11. Dezember 1938 über "aktuelle Landesfragen"


Wiedergabe der Rede von Regierungschef Josef Hoop vom 11.12.1938 in Eschen im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

13.12.1938

Die Volksversammlung vom Sonntag in Eschen

Der Eintracht-Saal vermochte sie nicht zu fassen, die alle herbeigeeilt waren, an der Volksversammlung vom Sonntag teilzunehmen. Gedrängt sass Mann an Mann im Saale, auf der Galerie und auf der Bühne, sie standen gedrängt, wo noch ein Plätzchen war u. im Zugange zum Saal, die übrigen Gastlokale waren, gefüllt mit solchen, die im Saale nicht mehr Platz finden konnten und die nicht weggegangen waren oder im Freien standen. Es wurden rund 600 Teilnehmer gezählt. Sie setzten sich aus beiden Parteien des Landes zusammen.

Herr Vorsteher Josef Meier eröffnete die Versammlung u. erklärte, wie die Versammlung erwachsen sei, und erteilte Herrn Regierungschef Dr. Hoop das Wort zum Thema "Aktuelle Landesfragen". Wir lassen die Ausführungen nachstehend in ihrem Wortlaute folgen:

"Ich glaube, dass wir uns noch nie so fragend, vielleicht auch so zurückhaltend gegenübergestanden sind wie heute. Es ist eine gewisse Missstimmung gegen die Regierung entstanden, weil sie angeblich den Ernst der Lage nicht erkenne oder nicht erkennen wolle und weil sie einem durch neue, im höchsten Grade verdammenswerte Methoden charakterisierten Treiben einer ganz geringen Anzahl Irregeleiteter nicht energisch genug Halt gebiete. Bei manchem wieder schwingt noch ein Misston der Unzufriedenheit über die Abmachungen mit, die im heutigen Frühjahr zwischen den liechtensteinischen Parteien getroffen worden sind, [2] Ereignisse also, die sich über ¾ Jahre erstrecken, sind schuld an diesem Unbehagen und ich bitte Sie, mir deshalb zu gestatten, dass ich näher auf diese Zeit zurückkomme.

Vorerst möchte ich eine persönliche Bemerkung vorausschicken: In den 10 Jahren meiner Regierungstätigkeit habe ich stets, soweit das Gesetz des Handelns in meinen Händen lag, jenen Weg gewählt, der mir nach bestem Wissen und Gewissen der richtige schien, unserm braven liechtensteinischen Völklein seine Heimat zu erhalten, es über alle Fährnisse hinwegzuleiten und ihm eine Zukunft zu bereiten, in der es bescheiden und friedlich, und ohne Not und frei auf seiner Scholle leben könnte. (Spontaner anhaltender Beifall.) Und Sie werden mir zugeben, dass ein schönes Stück auf diesem Wege zurückgelegt werden konnte. Was an Rheinverbauungen, Strassenbauten, Bodenverbesserungen, Entwässerungen, Ausbau der sozialen Fürsorge und anderem geschaffen worden ist, legt für unser kleines Land ein glänzendes Zeugnis ab. Wir haben bis jetzt mit unseren Methoden recht behalten und Erfolg gehabt und ich habe die Überzeugung, dass wir auch diesmal und heute den richtigen Weg eingeschlagen haben. Deshalb ist mir um die Zukunft unserer Heimat auch heute nicht im geringsten bange, wenn das Volk nur ruhig, überlegend und ein bisschen guten Willens ist und nicht wegen jedem Bubenstreich die Flinte ins Korn werfen will. (Anhaltender Beifall.)

Als am 12. März die deutsche Armee in Österreich einrückte und das uns wohlbekannte und vertraute Land an das deutsche Reich angliederte, war die ganze Welt nervös und bangte, was da noch kommen werde. Kein Wunder, dass sich auch in Liechtenstein Ängstliche fragten: Geht es Liechtenstein, geht es der Schweiz etwa auch so? Ich habe damals nicht nur aus innerster Überzeugung, sondern auch auf Grund meiner Besprechungen in Berlin [3] erklärt, dass jede Angst überflüssig sei, dass Deutschland etwa die Absicht habe, auch Liechtenstein anzugliedern. Und diese Tatsache besteht unverändert fort, denn bei uns und in der Schweiz liegen die Verhältnisse ganz anders als sie etwa in Österreich oder auch im Sudetenland lagen.

In Österreich waren seit der Zeit der unglücklichen Friedenverträge bis zum Jahre 1933 nicht nur alle Parteien, sondern auch alle Regierungen gleich welcher Richtung für einen Anschluss an Deutschland und haben das Volk in diesem Sinne bearbeitet. Dazu kam, dass grosse Volksteile, die immer den Anschluss an Deutschland wollten, von 1933 ab unterdrückt, der staatsbürgerlichen Rechte beraubt und zahlreichen Massregelungen nur wegen ihrer politischen Gesinnung ausgesetzt waren, obwohl Deutschland gegenüber Österreich wiederholt erklärt hat, dass es die politischen Unterdrückungsmethoden auf die Dauer nicht dulde. Als diese nicht aufhörten, kam es letzten Endes zur Entwicklung, wie wir sie kennen. In Österreich herrschte Not, Elend und riesige Arbeitslosigkeit.

Bei uns aber waren und sind die Verhältnisse ganz anders. Wir lebten und leben in einem Wirtschaftsgebiete, das trotz mancher krisenhafter Erscheinungen als das gesündeste von Europa angesehen wird, wo die Freiheit des Wortes und der Meinung seit altersher als ein Lebenselement hochgehalten wird, wo die persönliche Freiheit als unantastbar gilt, wo jedermann trotz zeitweiligen Arbeitsmangels infolge der sozialen Einrichtungen wenigstens bescheiden zu leben hat und wo deshalb nie Bestrebungen aufkamen, unser Land mit einem anderen zu vertauschen. Bei uns gibt es auch keine unterdrückten Menschen, die etwa auf Hilfe von aussen angewiesen wären. Jeder kann seine politische Überzeugung betätigen im Rahmen der von unserem Volke sich selbst gegebenen Gesetze, niemand wird gemassregelt, weil er eine andere Überzeugung hat als die der Regierung, ja jedermann kann in wirklich freiester Form seinen Gedanken Ausdruck geben. So besteht auch hier keine Veranlassung, dass sich ein ausländischer Staat in unsere Verhältnisse einmischt. In der Tat sind denn auch unsere Beziehungen zu unseren beiden Nachbarstaaten korrekt, herzlich und gut. Mit der Schweiz sind wir dauernd in Verhandlungen, die in freundschaftlichem Tone, im vollsten Verständnis für die gegenseitigen Bedürfnisse und im Geiste des Entgegenkommens der grösseren Schweiz gegenüber unserem kleinen Lande geführt werden.

Mit dem Deutschen Reiche ist das Verhältnis gleicherweise herzlich. Zwischen dem Führer und Reichskanzler [Adolf Hitler] und unserem Fürsten [Franz Josef II.] sind wiederholt herzlich gehaltene Handschreiben [4] gewechselt worden. Mit den deutschen Amtsstellen führen wir einen klaglosen und angenehmen Verkehr. Die Interessen des Fürsten im nunmehrigen deutschen Reichsgebiete werden nach Recht und Gebühr berücksichtigt und ich selber habe den Vorzug, mit hohen Persönlichkeiten des Deutschen Reiches persönlichen Kontakt zu haben.

Dazu kommt die Erklärung des deutschen Reichskanzlers, die er am letzten Parteitag in Nürnberg, [5] unter Vorbehalt der Tschechoslowakei, abgegeben hat und die lautet: 'Deutschland hat nach allen Seiten von heute an vollständig befriedigte Grenzen und es ist entschlossen und es hat dies versichert, diese Grenzen nunmehr als unabänderliche u. endgültig hinzunehmen und anzunehmen.' Und als die Verhältnisse in der Tschechoslowakei den Lauf nahmen, der Ihnen bekannt ist, erklärte der Reichskanzler: 'Es ist die letzte territoriale Forderung, die ich in Europa zu stellen habe.' (Beifallskundgebung.)

Ich fasse also zusammen: Liechtenstein hat von aussen nicht das Geringste zu befürchten, kein Staat hat Eroberungsabsichten gegen uns und kann diesbezüglich ruhig und sorglos in die Zukunft blicken.

Während aussenpolitisch sich durch die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich keine Änderungen der Verhältnisse ergab, ist sie innerpolitisch nicht ohne Folgen geblieben. Es gab eine Anzahl Leute, die glaubten, dass ein wenigstens wirtschaftlicher Anschluss an das neue Grossdeutschland im Interesse Liechtensteins läge und eine gewisse Propaganda für diese Ansicht machten, während das ganze übrige liechtensteinische Volk sozusagen geschlossen an der Parole festhielt: Liechtenstein soll Liechtenstein bleiben und die Verträge sollen beibehalten werden, die es mit der Schweiz verbinden. (Anhaltender Beifall.)

Alle Nachbarstaaten des neuen Deutschland fanden es damals im März für im Interesse der Beruhigung Europas gelegen, das in seinem innersten Gefüge zu wanken drohte, feierliche Erklärungen abzugeben, denen zufolge sie ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit beibehalten wollten.

Für das grosse Europa wäre eine solche Erklärung Liechtensteins nicht besonders interessant und deshalb auch nicht notwendig gewesen, aber ein anderes Land interessierte sich an der Erhaltung Liechtensteins auf das lebhafteste in jenen Tagen: das war die Schweiz, die heute in unserem Lande so ausgedehnte Interessen besitzt. Es hat zahlreiche Schweizer hier, die ihren Berufen nachgehen und fremdenpolizeilich und zolltechnisch unsere Grenzen schützen. Diese haben ihre Familien hier. Schweizer Banken haben hier namhafte Guthaben usw. Für die Schweiz war es wichtig, zu wissen, was Liechtenstein zu tun gedenke. Nach der Einstellung der überwältigenden Mehrheit unseres Volkes konnte unsere Erklärung nur dahin lauten, dass Liechtenstein an seiner Selbständigkeit unter dem Fürstenhause Liechtenstein festhalte und auf dem Boden der liechtensteinisch-schweizerischen Verträge stehe. [6] (Beifall.) Wir riefen die Führer beider Parteien zusammen, um in dieser Richtung eine einhellige Erklärung an die Schweiz und das übrige Ausland zu formulieren. Die Führer der Vaterländischen Union stellten sich im Zuge der Verhandlungen wie jene der Bürgerpartei auf den Standpunkt der Unabhängigkeit und Selbständigkeit, hielten es aber für notwendig, dass im gleichen Zuge eine innerpolitische Befriedung eingeleitet werde. (Beifall).

Die Führer der Vaterländischen Union wiesen darauf hin, dass ihre Parteimitglieder die proportionelle Gleichberechtigung auf allen Gebieten des staatlichen Lebens fordern, wenn sie sich hinter die gewünschte Erklärung ihrer Führer stellen sollten. Wir haben diesen Standpunkt bedauert, konnten ihn aber nur zur Kenntnis nehmen. Wir standen vor der Wahl, der Welt zu offenbaren, das die Vertreter von fast der Hälfte unseres Volkes nicht auf dem Boden der Selbständigkeit unseres Landes stünde oder aber die proportionelle Gleichberechtigung einzuräumen und nach aussen als ein geschlossenes und entschlossenes Liechtenstein dazustehen, das an seiner Selbständigkeit festhalten will und auf dem Boden der Verträge mit der Schweiz steht.

Die Wahl konnte nicht fraglich sein. Wollten wir das Vertrauen der Schweiz uns erhalten, wollten wir nicht das Abgleiten eines grossen Teiles der Anhänger der Union ins Unbekannte riskieren, musste Frieden gemacht werden.

Und dieser Friede, mit welchem der seinerzeitigen Opposition der V.U. eine verhältnismässige Vertretung im Landtage auf dem Wege des Verhältniswahlrechtes, eine proportionelle Vertretung in den Behörden und Kommissionen eingeräumt wurde, dieser Friede, der von den Unterhändlern der Parteien beschlossen und von den Delegiertenversammlungen genehmigt wurde, dieser Friede hat Liechtenstein gerettet. [7] Dies ist meine tiefinnerste Überzeugung, wie es auch meine innerste Überzeugung ist, dass wir heute vom Abgrund verschlungen wären, wenn wir den Frieden nicht gemacht hätten.

Die Durchführung der Friedensbestimmungen nach vielen Jahren des Haders und heftigsten Parteistreites ging gewiss nicht immer ohne gewisse Reibungen ab, aber ich sage hier als Chef der Regierung und im Einverständnis mit meinen Kollegen in der Regierung, dass die Zusammenarbeit mit den neuen, in die Regierung eingetretenen Mitgliedern eine korrekte, verständnisvolle, kollegiale und angenehme ist. Nach aussen hin stehen Landtag und Regierung als eine einige Körperschaft da, die feierlich erklärt hat, Liechtenstein frei und unabhängig und selbständig zu erhalten und das Volk steht, mit verschwindenden Ausnahmen, als ein einiges, geschlossenes Ganzes hinter ihnen, vom gleichen Geiste beseelt: die Freiheit, die Liebe zur heimatlichen Scholle, auf der unsere Väter lebten und starben, hinüberzutragen auf Kinder und Enkel und ihnen eine Heimat zu bereiten, in der sie zwar bescheiden, aber frei und zufrieden und glücklicher als irgendwo auf der Welt leben können. (Anhaltende Beifallskundgebung.)

Ich weiss nun, dass einige, meist junge Leute, namentlich in Eschen, Nendeln und Schaanwald, anderer Meinung sind und glauben, der Anschluss an das Deutsche Reich brächte uns etwas Besseres. Um das beurteilen zu können, müssten wir einen Vergleich ziehen zwischen den gesamten Lebensverhältnissen in Deutschland und jenen in Liechtenstein. Hier wage ich frei und in aller Offenheit zu behaupten, dass jeder Liechtensteiner grosse Augen machen würde, wenn er sich in das Leben, die harte Disziplin, das Tempo und die Opferpflicht des nationalsozialistischen Deutschlands einfügen müsste. Erinnern Sie sich, was der deutsche Reichskanzler am fünften Jahrestage der Übernahme der Regierung von der Lage Deutschlands im Jahre 1933 gesagt hat: Hunderttausende von Bauern standen vor dem Verlust ihrer Höfe und ihres Besitzes, Hunderttausende von Arbeitern gewerblicher Betriebe hatten ihr Brot verloren, Zehntausende von Unternehmungen hatten ihre Tore schliessen müssen, eine Armee von über 6 Millionen Erwerbslosen, ein geistiges Proletariat, alte blühende Industriestätte waren verödet, grosse Gebiete drohten mangels Absatzes ihrer Produktion auszusterben. Es gab Elendsgebiete, in denen die Kinder mit 3 und 4 Jahren keine Zähne bekamen infolge grauenerregender Unterernährung: Nur mit ungeheueren Anstrengungen, mit ungeheueren Opfern des Volkes ist das deutsche Volk nunmehr hinaufgeführt worden zu einem menschenwürdigen Dasein. - Wir aber in Liechtenstein haben dank eines gütigeren Geschickes dieses menschenwürdige Dasein schon gehabt und die Lebensverhältnisse bei uns sind heute noch, wie jeder, der die Verhältnisse in Deutschland und bei uns kennt, wesentlich bessere als in Deutschland. (Beifall.) Erinnern Sie sich ferner, was der deutsche Reichskanzler immer wieder in seinen Reden erklärt, dass er Opfer fordere, dass er Opfer brauche, wie wir sie uns nie zugemutet haben und auch nie zumuten würden. Denken Sie nur an die Steuern. In Deutschland trifft es im Rechnungsjahre 1937/38 auf den Kopf der Bevölkerung nur an Reichssteuern Mark 186.-, in Liechtenstein eine Steuer von Fr. 14.-. Ein lediger Arbeiter mit einem Einkommen von 1000 Mark zahlt in Deutschland 65 Mark nur Einkommenssteuer, in Liechtenstein Fr. 6.-, gleich ein Elftel, eine ledige Person mit 2000 Einkommen zahlt 356.- Mk., bei uns Fr. 16.-, gleich ein Zweiundzwanzigstel. Der junge Mann gehört 3 Jahre sozusagen ohne Bezahlung dem Staate: zuerst 1 Jahr Arbeitsdienst, sodann zwei Jahre Militärdienst. Wenn wir hier in Liechtenstein den Arbeitsdienst einführen würden, wäre der Arbeitermangel bei uns da. Die persönliche Freiheit existiert nicht, wenn es um den Staat und das Volksganze geht.

Das Deutsche Reich fordert von seinen Bürgern aber nicht nur viel höhere Lasten als Liechtenstein, sondern kann auch bei weitem nicht so viel für die Bevölkerung aufwenden wie wir. Post-Steuern. Liechtenstein konnte im Jahre 1937 307 Fr. pro Kopf der Bevölkerung aufwenden, Deutschland nur 211 Mk. Das Winterhilfswerk, auf das Deutschland berechtigterweise stolz sein darf, ergab 1937 auf den Kopf der Bevölkerung 6.50 Mark. In Liechtenstein konnten auf den Kopf der Bevölkerung Fr. 27.-, mehr als das vierfache, für soziale Fürsorge ausgegeben werden. Das sind nur ein paar nackte Ziffern über die Wirtschaft, die sich beliebig vermehren liessen. Dazu kommen ideale Werte, die dem Liechtensteiner teuer und heilig sind: die Freiheit des Wortes und der Kritik, das Recht, an der Gesetzgebung mitzuwirken und das Recht der Wahl der Behörden. Ein Vorzug, der nicht hoch genug einzuschätzen ist, ist die Befreiung vom Militär- und Kriegsdienst. Die Welt ist unruhiger als je, morgen schon kann ein Krieg auflodern, der Europa in Brand steckt. Vergegenwärtigen wir uns das Elend, das über uns hereinbräche: Der Vater irgendwo auf dem Schlachtfelde, fern von der Frau und den Kindern, die Tag und Nacht um ihren Ernährer bangen und morgen schon ihn als Krüppel oder als Toten beweinen müssen; der Sohn in einer fernen Schlachtfront, blutenden Herzens in Gedanken bei seiner Braut, einer jungen Frau, daheim bei seinen Kindern, die er vielleicht nie wieder sehen wird.

Es wäre ein Frevelmut ohnegleichen, wenn ein Liechtensteiner dieses einzigartige Glück des Friedens verkaufen würde, um welchen Preis es auch wäre. (Langanhaltender, tosender Beifall.) Gegen diesen Frevelmut würde das ganze Liechtenstein sich erheben wie ein Mann, um sich sein altes heiliges Recht zu wahren, für seine Lieben zu leben und nicht zu sterben (Beifall.)

In den letzen Tagen haben sich Vorfälle ereignet, die ich, mögen sie diesen oder jenen Beweggrund zur Ursache haben, hier nicht übergehen kann. In unverantwortlichem Leichtsinn haben bis jetzt von der Polizei nicht auffindbare Täter Sprengkörper vor die Häuser mit friedlichen Bewohnern gelegt und zur Explosion gebracht. [8] Neben den schweren landesschädigenden Folgen dieser Machenschaften ist bis jetzt Sachschaden entstanden. Überlegen sich diese Leute aber nicht, was für Unheil sie anrichten könnten, wenn ein ahnungsloser Mensch im Moment der Explosion in die Nähe kommt. Sind sich diese Leute nicht bewusst, dass sie Mörder werden könnten, eine ganze Familie ins Unglück stürzen könnten. Ich will zu ihren Gunsten annehmen, dass sie sich in jugendlichem Leichtsinn dieser verhängnisvollen Folgen nicht bewusst gewesen sind.

Diese Taten sind Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit und vom Strafgesetze unter strenge Strafe gestellt. Es sind Gewalttätigkeiten, die der Staat hintanhalten, verfolgen und auf das schärfste bestrafen wird und die das friedliche Volk sich nicht mehr gefallen lässt. (Beifallskundgebung.)

Ich richte deshalb an den oder die Täter hier die Aufforderung, aufzuhören mit diesen Gewalttätigkeiten, augenblicklich aufzuhören, denn die Empörung über ihr menschengefährdendes Treiben ist bitter, ist gross und könnte sich erheben und jene hinwegfegen, die unter dem Schutze der Nacht das Leben friedlicher Menschen aufs Spiel setzen, denn, wenn es der Polizei und der Wachsamkeit der Bürger nicht gelingen sollte, weil es ausserordentlich schwer ist, in der Nacht ihrer habhaft zu werden, die Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen, oder wenn die Paragraphen auf dem Papier nicht hinreichen, um diesen Verbrechen Einhalt zu gebieten, so holt sich unser empörtes Volk schliesslich sein Recht herunter von den Sternen, um sein Hab und Gut und Leben zu schützen. (Beifall der Versammlung.)

Wir wollen friedlich und in Ruhe leben, arbeiten und Arbeit schaffen und können dies. Die Staatsfinanzen sind in bester Ordnung. Mit der Schweiz sind die Verhandlungen über eine weitere wirtschaftliche Annäherung in bestem Gange. Unsere Beziehungen zum neuen grossen Nachbarn im Deutschen Reiche sind freundschaftlich. Im Innern haben wir Frieden zwischen den beiden Parteien und arbeiten kollegial zusammen.

Das sind Tatsachen. Man schenke keinen Glauben den zahllosen, aus Dummheit oder Böswilligkeit aufgebrachten Gerüchten, mit denen Unruhe und Verwirrung bezweckt ist. Man werfe uns nicht Prügel an die Füsse, sondern arbeite vertrauensvoll mit am weiteren Aufbau unseres Landes. Ich ersuche aber auch, nicht überempfindlich zu sein und lasse manchmal lieber lächelnd reden. Das liechtensteinische Staatswesen ruht auf festem Fundamente. (Beifall.) Es sah alte Reiche zusammenstürzen und Throne in den Staub sinken. Es hat den Stürmen von sechs Jahrhunderten getrotzt, so wie ein schwaches Rohr dem Sturme standhält, während ein mächtiger Baum von ihm zu Boden gerissen wird.

Ich hoffe, mich deutlich genug ausgedrückt zu haben. Wenn nicht, so wiederhole ich:

Ich will, wir wollen ein selbständiges, unabhängiges und freies Liechtenstein unter der Führung unseres Fürsten. (Anhaltender, grosser Beifall.)

Ich will und wir wollen jeden ungesetzlichen Angriff auf diese unsere Selbständigkeit und Unabhängigkeit abwehren und ahnden, auf das schärfte ahnden. (Beifall.)

Ich will, und die Regierung, ganz einhellig, will diese Sprengstoffanschläge verhindern, die Täter der gerechten Strafe zuführen. Ich beschwöre sie nochmals, ihr verbrecherisches Treiben sofort einzustellen, wenn sie sich nicht dem Zorn und der Rache eines empörten Volkes, das zur Selbsthilfe greift, ausliefern wollen. (Beifall.)

Ich lehne es aber ebenso entschieden ab, etwa wie ein Elephant in einem Porzellanladen, blindlings um mich zu hauen, sondern will klug und überlegend handeln, um das Ziel sicher zu erreichen, das Ziel eines freien, selbständigen, unabhängigen und glücklichen Liechtenstein! (Spontane, lang anhaltende Beifallskundgebung der Versammlung.)"

Herr Regierungschefstellvertreter Dr. [Alois] Vogt, der wegen einer Sitzung des Landesausschusses der Vaterländischen Union an der Teilnahme an der Versammlung verhindert war und nach Beendigung der Sitzung in Vaduz sein Erscheinen zugesagt hatte, konnte an der Versammlung nicht mehr teilnehmen. Nach zwei kurzen Anfragen aus der Versammlung und deren Beantwortung durch Regierungschef Dr. Hoop und einer Bekräftigung der Worte des Referenten aus der Versammlung wurde dieselbe nach glänzendem Verlauf durch Absingen des Vaterlandsliedes geschlossen. [9]

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[1] L.Vo., Nr. 143, 13.12.1938, S. 1. Der deutsche Generalkonsul in Zürich, Hermann Voigt, sandte die im "Liechtensteiner Volksblatt" publizierte Rede Hoops am 15.12.1938 mit einem Begleitbericht an das deutsche Auswärtige Amt und an den deutschen Gesandten in Bern, Otto Köcher (DE PA AA, R 102.883, Politik Liechtenstein, 1937-1939; Kopie in LI LA SgK 659). Das "Liechtensteiner Vaterland" berichtete nicht über die Rede.
[2] Vgl. etwa das Protokoll der Besprechung zwischen der Vaterländischen Union und der Bürgerpartei vom 18.3.1938 (LI LA RF 170/130/013).  
[3] Vgl. die Aktennotiz von Regierungschef Josef Hoop vom 28.3.1938 betreffend dessen Berlinreise vom 20. bis zum 24.3.1938 (LI LA RF 179/130/032).
[4] Vgl. etwa das Handschreiben von Fürst Franz I. vom 17.3.1938, mit welchem er Reichskanzler Adolf Hitler zum "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich gratulierte (LI LA RF 179/130/012) oder das Schreiben von Prinz Franz Josef vom 4.4.1938, in dem er Hitler von der Übernahme der Hoheitsrechte in Liechtenstein orientierte (LI LA RF 179/130/039).  
[5] Der "Reichsparteitag Grossdeutschland" fand vom 5. bis zum 12.9.1938 in Nürnberg statt.
[6] Vgl. beispielsweise das Pressetelegramm der Regierung und der Vaterländischen Union vom 26.3.1938 betreffend die Unabhängigkeit des Landes und die Aufrechterhaltung des Zollvertrages mit der Schweiz (LI LA RF 179/130/027). Vgl. ferner das Protokoll der Konferenzsitzung des Landtages vom 15.3.1938 betreffend die Bekräftigung der staatlichen Unabhängigkeit (LI LA LTP 1938/010). 
[7] Vgl. etwa die Aktennotiz von Regierungschef Josef Hoop betreffend die Regierungsumbildung unter Einbezug der Vaterländischen Union am 30.3.1938 (LI LA RF 180/443/001/018). Das Proporzgesetz sowie das einschlägige Verfassungsgesetz wurde vom Landtag erst im Januar 1939 verabschiedet - vgl. das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 11.1.1939 (LI LA LTP 1939/015).   
[8] Im Oktober und November 1938 war es in Liechtenstein zu einer "Böllerkampagne" gegen "Judenhäuser" gekommen. Vgl. das von der Polizei bei einer Hausdurchsuchung am 1.12.1938 beschlagnahmte Schreiben von Walter Wohlwend an Heinrich Feger vom 29.11.1938 betreffend die Bölleranschläge gegen Juden (LI LA V 005/1938/1431 (a)). Vgl. auch den Bericht des Sicherheitskorps an das Landgericht vom 2.12.1938 über Bölleranschläge gegen Juden in Schaan (LI LA J 007/S 071/327 (a)).
[9] Nach der Rede kam es zu Zusammenstössen zwischen NS-Gegnern und Nationalsozialisten. Als Reaktion auf diesen und weitere Vorfälle erging am 14.12.1938 seitens der Regierung eine neuerliche Bekanntmachung der Verordnung betreffend die Abhaltung von Kundgebungen unter freiem Himmel (LI LA RF 184/498/001).