Der Landtag stimmt dem Zollvertrag mit der Schweiz einstimmig zu


Maschinenschriftliches Protokoll der Landtagssitzung vom 25./26.5.1923, gez. Schriftführer Stephan Wachter und Landtagspräsident Wilhelm Beck [1]

26.5.1923

Zweite Lesung des Zollvertrages [2]

Präsident ruft Artikel für Artikel auf und ersucht die Abgeordneten Stellung dazu zu nehmen.

Referent Dr. [Emil] Beck, Bern erklärt das Alkoholgesetz [3] und die eventuell durch die Abänderung entstehenden Bestimmungen.

[Baptist] Quaderer frägt, im Falle das Abänderungsgesetz angenommen werde, wie sich dann Liechtenstein stelle.

Präsident. Für Liechtenstein gelten dieselben Bestimmungen wie für die Schweiz.

Wachter. Wir haben also nur die Lasten zu tragen, die dieses Gesetz bringt, nicht aber vom Vorteil ein Genussrecht.

[Albert] Wolfinger frägt wegen Verordnung betr. Hebung der Landwirtschaft. [4]

Präsident. Es bezieht sich dies auf Bekämpfung der Reblaus.

Präsident eröffnet die Generaldebatte über das ganze Gesetz. Man hat dem Lande viele Vorschläge gebracht gegen den Zollvertrag, man solle Handelsverträge abschliessen, doch diese beruhen ja nur auf gegenseitigem Interesse und wir können einem Kontrahenten nicht viel bieten. Von Freizonen hat man auch gesprochen und geschrieben, doch von dem hat das Land auch keinen Aufschwung zu erwarten. Das Land soll sich an den Fürsten [Johann II.] wenden, der solle dem Lande helfen aus seinen Nöten, er sei aber der Meinung, man soll sich so viel als möglich selber helfen, dann werde auch der Fürst das seine dazu beitragen. Er weise Zumutungen, wie sie in einer vorliegenden Flugschrift enthalten seien, auf das entschiedenste zurück.

[Felix] Gubelmann. Jeder Vertrag hat Vor- und Nachteile. Ich sehe im vorliegenden wohl für den Arbeiter und Gewerbetreibenden Vorteile, weil diese bessere Löhne und höhere Preise erzielen werden, nicht aber für den Bauern, zu dessen Lasten die Vorteile der Vorgenannten gehen. Die Viehpreise sind heute schon in Österreich fast so gross wie bei uns.

Präsident. Dr. [Julius] Landmann hätte gesagt, jeder Bauer muss froh sein, wenn der Anschluss kommt.

[Karl] Kaiser unterstützt Gubelmann, der Bauer hätte nicht viel Nutzen, nur die Lebenshaltung verteuere sich für Staat und Familie.

[Anton] Walser interpelliert die Regierung. Was für einen Standpunkt hat die kollegiale Regierung bei Behandlung der Zollanschlussfrage eingenommen.

Reg.Chef [Gustav Schädler] erwähnt gegenüber Kaiser die bessere Verdienstmöglichkeit der einzelnen Familienglieder. Auch in der Schweiz lebe man nicht überall in gleichen Verhältnissen, am einen Ort lebe man billiger, am einen teurer. Auf die Interpellation des Abg. Walser, wie sich die kollegiale Regierung zum Abschluss des Zollvertrages bisher gestellt habe, legte Reg.Chef Schädler an der Hand der Akten dar, dass sie den Vertragsentwurf im Verlaufe des abgelaufenen Jahres des öftern behandelt und immer einstimmige Beschlüsse in dem Sinne gefasst habe, der Vertrag möchte baldigst abgeschlossen und ratifiziert werden.

Auch Reg.Chef [Josef] Ospelt sei seinerzeit für das Zustandekommen des Vertrages eingestanden. So habe derselbe am 31. Mai 1921 an die fürstl. Kabinettskanzlei u.a. berichtet: [5]

Weil geplant gewesen sei, schon mit dem Zeitpunkte der Annahme des Entwurfes durch den Bundesrat, also vor Behandlung in der Bundesversammlung, wesentliche Erleichterungen im Verkehre zwischen der Schweiz und Liechtenstein, so insbesondere hinsichtlich der Einreise von Arbeitern und der Einfuhr von Vieh platzgreifen zu lassen, sei die eingetretene Verzögerung sehr zu bedauern.

Wie sich einmal die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse im Lande entwickelt haben, glaube er, dass der Zollvertrag sehr zur Ordnung und Festigung der Verhältnisse im Lande beitragen würde, einmal durch die wesentliche Bessergestaltung der Landesfinanzen, dann durch eine gute Besetzung der Grenzen und die Anwesenheit einer grösseren Anzahl von Sicherheitsorganen an den Grenzen und im Lande.

Am 10. Dezember 1921 schrieb Regierungschef Ospelt an die Berner Gesandtschaft:

"Die neuerliche Verzögerung beunruhigt mich ziemlich stark, ... Wie Sie wissen, liegt mir aus wirtschaftlichen Gründen sehr viel daran, dass der Zollvertrag zustande komme und es muss mir deshalb auch viel daran gelegen sein, schädigende Einflüsse auszuschalten. Dies ist aber natürlich nur möglich, wenn ich über das Vorhandensein solcher Einflüsse jeweils rasch und möglichst genau informiert werde.

Ich bitte Sie daher, mir vertraulich, jedoch ohne jeden Rückhalt ehestens mitteilen zu wollen, ob Ihnen von Einflüssen der gedachten Art irgend etwas bekannt ist, ob Sie insbesondere davon wissen, dass Prinz Eduard [von Liechtenstein] das Fortschreiten der Zollvertragsverhandlungen beeinträchtigt hätte und bejahendenfalls, ob irgendwelche Schritte Ihrerseits unternommen worden sind. ..." [6]

[Augustin] Marogg ist der Meinung, die Landwirtschaft habe die grösseren Vorteile wie der Arbeiter, doch sei auf einen besseren Gang in der Industrie zu rechnen.

Wolfinger hat keine Bedenken für die Bauern, er könne mit gutem Gewissen ja zu dieser Frage sagen.

Walser. Man strebt den Anschluss schon seit Jahren an und die vorgehenden Regierungen waren ohne Ausnahme für einen Zollanschluss.

Gubelmann. Die Lage war vor 4 Jahren besser wie heute und in der Schweiz waren die Viehpreise nur mit Bundessubventionen hoch gehalten.

Quaderer ist ausser Zweifel, dass sich das Wirtschaftsleben heben wird, auch für die Viehzucht erwarte er Besserung.

Büchel Joh. [Johann] erwartet mehr Verdienstmöglichkeit durch eventl. Einführung von Kleingewerbe mit Hinweis auf die heute darniederliegende Stickerei.

Reg.Chef erwähnt, dass unsere Industrie ein grosses Interesse am Zustandekommen des Zollvertrages habe und führt dann weiter aus, dass in einem Blatte die Behauptung aufgestellt worden sei, die Fabriken können nur deshalb bloss mehr 3 Tage arbeiten, weil sie mit zu hohen Steuern belastet würden. Er stelle deshalb fest, dass im Gegenteile kürzlich das von den Fabriken Jenny, Spörry & Cie. zu entrichtende Steuerbetreffnis pro 1922 und 1923 in vollkommenem Einverständnis zwischen der Fabriksleitung einerseits und der Steuerverwaltung bezw. der Regierung andererseits festgesetzt worden sei, weshalb die angeführte Zeitungsnotiz lediglich als Hetze zu betrachten sei.

Wachter. Ich habe mich während der ganzen Kommission [7] und Verhandlungen über die Zollanschlusssache immer rege beteiligt und möchte zum Schluss nur noch der Meinung Ausdruck geben, dass ich heute nicht nur als Vertreter eines einzelnen Standes, sondern für das ganze Volk in der Erwartung einer Gesundung des Liechtensteiner Wirtschaftslebens durch den Zollanschluss mit gutem Gewissen für den Anschluss eintreten kann und empfehle dem ganzen Landtage die Annahme. Die Verhandlungen waren keine kurzen. Von beiden Seiten wurden für und wider Gründe ins Feld geführt, auch die Schweiz hat unseren Wünschen Verständnis und Berücksichtigung entgegengebracht und wenn sich Mängel zeigen werden, so haben wir ja nach 3 Jahren schon Gelegenheit, da oder dort zu verbessern.

Walser. In den letzten Jahren ist eine Gesundung unseres Staats- und Volkslebens zu konstatieren. Wie nun zum Menschenleben das Blut, so gehört zum Leben des Staates ein gesundes Wirtschaftsleben. Dies ist für uns nur möglich durch wirtschaftliche Annäherung an ein auch wirklich lebensfähiges Staatswesen. Aus dem Zollanschlusse gewinnt unsere gesamte Bevölkerung. Die Industrie macht den Weiterbetrieb davon abhängig. Absatzgebiet für Vieh können wir gemeinsam mit der Schweiz gewinnen. Auch dem Gewerbe werden im schweizerischen Wirtschaftsgebiete Vorteile erwachsen. Dem Fürstenhause mag die Trennung von der Jahrhunderte alten traditionellen Verbindung mit Österreich gewiss auch nicht leicht gewesen sein, aber schliesslich und endlich blieb zur Gesundung des Wirtschaftslebens nichts anderes übrig und heute stimmt der Fürst freudigen Herzens dem Anschlusse zu. Der heutige Tag sei ein derart wichtiger, dass selten ein Tag so tief in unser Volksleben eingegriffen habe. Wir müssen uns für unsere Erzeugnisse ein Absatzgebiet nach der Schweiz sichern.

Die Pauschalsumme von 150'000 Fr. sei allerdings niedrig gehalten, aber es sei ja vorgesehen, dass nach 3 Jahren eine Revision stattfinden könne, wenn sich die schweizerischen Zolleinnahmen auf der heutigen Höhe erhalten. Die Hoffnung sei begründet, dass nach dieser Zeit eine Jahressumme von mindestens 200'000 Fr. ausbezahlt werde. Das Erträgnis der Stempelsteuer sei nicht in der Pauschalsumme inbegriffen.

Bei unserem kleinen Wirtschaftsgebiete seien wir nicht fähig, günstige Handelsverträge zu schliessen. Die Schweiz aber habe erst kürzlich mit Italien und Spanien sehr günstige Handelsverträge abgeschlossen, [8] die nichts anderes als Kompensationsverträge seien. Unser kleines Land sei kein Aufnahmegebiet, weshalb wir zum Abschluss von guten Handelsverträgen unfähig seien.

Er habe nie geglaubt, dass die Industrie mit dem jetzigen Absatzgebiete besser abschliesse. Die Vorteile des Zollvertrages seien auch Jenny bekannt gewesen. Das Projekt der Donaukonföderation [9], mit dem die Fabrikanten lange liebäugelten, war eine Utopie und ist wohl endgiltig begraben. Der Zollvertrag bringt Arbeitsgelegenheit und dem Gewerbe Ausdehnung seines Arbeitsfeldes. Eine weitere Gefahr drohe uns mit unserer Obstwirtschaft, wenn wir selbständiges Wirtschaftsgebiet bleiben, die Erfahrungen von 1922 sind noch in frischer Erinnerung. Österreich und Süddeutschland seien mit Obst sehr gesegnet; im schweiz. Wirtschaftsverbande winke uns, trotzdem die Schweiz Obst im Überflusse erzeuge, die Möglichkeit, unsere Obstproduktion zu verwerten. Die Schweiz habe ihr Obst letztes Jahr besser abgesetzt als wir. Die Vorteile des Vertrages für unser Wirtschaftsgebiet seien sehr grosse. Er könne deshalb jedem Abgeordneten die Annahme des Zollvertrages nur empfehlen.

[Rudolf] Matt empfiehlt jedem Unterländer die Annahme.

Reg.Chef. Die so notwendige Geldbeschaffung wird allseits von der Annahme des Zollvertrages abhängig gemacht.

[Josef] Gassner. In dieser Sache hat man nun schon durch viele Jahre verhandelt und er beantrage deshalb, dass über die Annahme abgestimmt werde.

Präsident. Liechtenstein soll die Gelegenheit, einen Zollvertrag mit der Schweiz zu schliessen, mit Händen und Füssen ergreifen. Dem Landesfürsten sei es sicher auch schwer gefallen, sich von einer mehrere Generationen alten Tradition loszumachen, aber schliesslich habe auch er eingesehen, dass der wirtschaftliche Anschluss an die Schweiz für das Land vorteilhaft sei. Wenn schon unser Fürst den Vertrag empfehle, so dürfen wir umso befriedigter Ja sagen. Die Nachteile des Vertrages sind uns wohl bekannt, manche Bedingungen fallen uns schwer; die Vorteile aber, die wir aus dem Vertrage ziehen, überwiegen aber bedeutend.

Er empfiehlt die Annahme des Vertrages.

Abstimmung mit Namensaufruf.

Der Zollvertrag wird einstimmig von allen anwesenden Abgeordneten angenommen.

Gesetz

vom ...

betreffend die Genehmigung des Vertrages vom 29. März 1923 zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet

Ich erteile dem nachstehenden Landtagsbeschluss vom 26. Mai 1923 Meine Zustimmung:

Art. 1

Der am 29. März 1923 unterzeichnete Vertrag zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet, sowie das Schlussprotokoll vom gleichen Datum werden genehmigt.

Art. 2

Die Regierung wird mit dem Vollzuge dieses Gesetzes beauftragt. [10]

Gesetz betr. Ratifizierung des Zollvertrages wird, wie es vorliegt, einstimmig angenommen.

Reg.Chef und Landtagspräsident sprechen dem liechtenst. Gesandten Dr. Beck den Dank für seine erfolgreiche Tätigkeit in Sachen des Zollvertrages aus.

______________

[1] LI LA LTP 1923/022.
[2] LGBl. 1923 Nr. 24.
[3] Bundesgesetz über gebrannte Wasser vom 29.6.1900 (AS, Bd. 18, 1902, S. 297-309); Bundesgesetz vom 22.6.1907 betreffend die teilweise Revision des Alkoholgesetzes vom 29.6.1900 (AS, Bd. 23, 1907, S. 663-665). Die im Schweizer Parlament seit 1919 diskutierte Neuregelung der Alkoholgesetzgebung führte erst 1930 bzw. 1932 zu neuen Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen.
[4] Vollziehungsverordnung vom 10.7.1894 zum Bundesgesetz betreffend die Förderung der Landwirtschaft durch den Bund (AS, Bd. 14, 1895, S. 287-321).
[5] LI LA SF 01/1921/072, Josef Ospelt an Kabinettsdirektor Josef Martin, 31.5.1921.
[6] LI LA SF 01/1921/245, Josef Ospelt an Emil Beck, 10.12.1921.
[7] Der Landtag hatte eine Kommission zur Beratung des Zollvertragsentwurfs bestellt.
[8] Handelsvertrag zwischen der Schweiz und Italien vom 27.1.1923 (AS, Bd. 40, 1924, S. 104-232); Handelsvertrag zwischen der Schweiz und Spanien vom 15.5.1922 (vgl. Bundesblatt 74 (1922), Bd. II, S. 147-164).
[9] Nach dem Ersten Weltkrieg diskutierter politischer und wirtschaftlicher Zusammenschluss der Staaten des Donauraums und des Balkans.
[10] Gesetz vom 10.7.1923 betreffend die Genehmigung des Vertrages vom 29. März 1923 zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet, LGBl. 1923 Nr. 23.