Emil Beck informiert die Gesandtschaft Wien über die Ablehnung des liechtensteinischen Gesuchs um Aufnahme in den Völkerbund


Maschinenschriftliches Schreiben von Emil Beck, Geschäftsträger in Bern, gez. ders., an die Gesandtschaft in Wien [1]

20.12.1920, Bern

Völkerbund

Anmeldung

Ich bestätige mein Telegramm vom 17. dieses Monats aus Genf, lautend: "Aufnahme als reguläres Mitglied durch Versammlung abgelehnt. Prüfung besonderer Stellung für Kleinstaaten an Kommission verwiesen." [2]

Auf eine Mitteilung der Schweiz. Delegation, dass unsere Anmeldung wahrscheinlich schon am 15. dieses Monates in der Versammlung zur Behandlung gelange und meine Anwesenheit in Genf wünschenswert sei, [3] begab ich mich am 15. dorthin.

In erster Linie versuchte ich, mit dem Referenten der Kommission eine Besprechung zu haben, um ihn zu veranlassen, in seinem Referat darauf hinzuweisen, dass die Anträge der Kommission sich nicht darauf stützen, dass die Souveränität des Fürstentums nur als eine beschränkte anerkannt wird, wie man aus der Formulierung der Kommission schliessen könnte. [4] Es gelang mir aber nur, mit Herrn [Gerald] Abraham vom Generalsekretariat zu sprechen, der diese Anträge formuliert hatte. Dieser bestätigte mir, dass die volle Souveränität durchaus anerkannt sei. Der Grund für die Verweigerung der Aufnahme sei lediglich die Kleinheit des Staates.

Herr [Giuseppe] Motta, den ich hierauf sprach, hatte anfänglich die Absicht, zu unserer Frage im Zusammenhang mit der österreichischen und vorarlbergischen Frage zu sprechen. Die Versammlung beschloss dann aber, Liechtenstein in einer anderen Sitzung zu behandeln. Herr Motta erklärte mir daher, er würde gerne das Wort für uns ergreifen. Nachdem er aber bereits für Österreich, Vorarlberg und Deutschland habe sprechen müssen, sei ihm dies nicht wohl möglich. Er veranlasste aber Lord Robert Cecil, das Wort zu ergreifen und auf die besondere Stellung hinzuweisen, die das Fürstentum einnehmen müsse.

Freitag, den 17. dieses Monats, gelangte dann unsere Anmeldung als erstes Traktandum zur Behandlung. Lord Cecil vertrat den Standpunkt der Kommission, dass die Aufnahme wegen der Kleinheit des Gebietes nicht empfohlen werden könne. Dagegen sei eine Kommission zu bestellen, welche die Frage zu studieren habe, ob den Kleinstaaten im Völkerbund nicht eine besondere Stellung zu geben sei, und ob und event. welche Änderungen des Paktes [5] hiefür notwendig seien. Die Kommission hätte der nächsten Versammlung über diese Frage Bericht zu erstatten.

Auf Antrag des Präsidenten [Paul Hymans] wurde die Abstimmung hierüber verschoben, bis mehr Vertreter anwesend sein würden. Für die Abstimmung wurden zwei Fragen unterschieden: 1. Die Aufnahme in den Völkerbund und 2. Der Vorschlag, die Angliederung der Kleinstaaten durch eine Kommission prüfen zu lassen. Zur Abstimmung mit Namensaufruf gelangte nur die Frage der Aufnahme. Dabei stimmte nur die Schweiz dafür, alle andern dagegen. Bezüglich des zweiten Vorschlages der Kommission bestand kein Gegenantrag, sodass er ohne Abstimmung angenommen wurde. [6]

Diese Abweisung, die wir uns vielleicht hätten ersparen können durch Rückzug oder Verschiebung der Anmeldung, hat immerhin den Vorteil, dass die Schaffung einer besonderen Stellung für die Kleinstaaten (Liechtenstein, Monaco, St. Marino, Andorra und Island) schon in die Wege geleitet ist. [7]

Ich hoffe, dass diese Lösung für uns günstiger sei, als die Aufnahme in den Völkerbund. Wir werden eben versuchen müssen, uns die Vorteile des Völkerbundes (Anerkennung der Souveränität, Gebietsgarantie, Gewährleistung der Lebensmittel-, Kohlen- und Rohstoffzufuhr u.s.w.) zu sichern, ohne die Verpflichtungen eines Mitgliedes übernehmen zu müssen (z.B. Beitragspflicht, militärische Pflichten u.s.w.). Hiefür wird der Bericht der Kommission ausschlaggebend sein. Daher ist es wichtig, die Redaktion ihrer Anträge zu beeinflussen. Ich nehme an, dass das Generalsekretariat uns zu gegebener Zeit zu einer Sitzung einladen wird. [8]

Eine Abschrift dieses Schreibens geht gleichzeitig an die Fürstliche Regierung in Vaduz.

Der fürstliche Geschäftsträger:

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[1] LI LA V 003/0124. Aktenzeichen: 1530. Eingangsstempel der Gesandtschaft Wien, wo das Schreiben am 22.12.1920 unter Nr. 867/3 einging. Handschriftliche Randbemerkungen, Anstreichungen und Korrekturen von Prinz Eduard von Liechtenstein. Laut Rückvermerk von Prinz Eduard vom 22.12.1920 wurde der Bericht an die Kabinettskanzlei weitergeleitet zur Vorlage an Fürst Johann II. Weitere Exemplare unter LI LA V 002/0160/51-53; LI LA RE 1920/5629 ad 141.
[2] LI LA V 003/0124.
[3] LI LA V 002/0160/27, Telegramm Schweizerische Völkerbundsdelegation an Emil Beck, 14.12.1920.
[4] LI LA V 003/0131, Bericht der 5. Kommission der Völkerbundsversammlung, 6.12.1920.
[5] Die Satzung des Völkerbunds war als Artikel 1 bis 26 Bestandteil des Versailler Vertrags (dt. RGBl. 1919 Nr. 140) und der übrigen Pariser Vorortverträge.
[6] Vgl. Société des Nations. Actes de la Première Assemblée. Séances plenières / League of Nations. The records of the First Assembly. Plenary meetings, Genf 1920, S. 642 f., 652. In der Frage der Angliederung von Kleinstaaten an den Völkerbund wurde 1921 eine Kommission eingesetzt. Im Herbst 1921 diskutierte die Völkerbundsversammlung das Problem, fasste jedoch keine konkreten Beschlüsse. In der Folge verschwand die Frage von der Agenda.  
[7] Handschriftliche Randbemerkung von Prinz Eduard: "Ein Zurückziehen hätte die Aufnahme für immer unmöglich gemacht, was ich verhindern wollte. Das Erreichte ist dagegen ein Schritt vorwärts."
[8] Handschriftliche Randbemerkung von Prinz Eduard: "Meiner Meinung nach wird jetzt an alle Staaten mit entsprechenden Noten heranzutreten sein und zwar noch Anfang Januar."