Das F.L. Obergericht stützt das Urteil des F.L. Landgerichtes insoweit, als die zwischen Josef Lorenz Quaderer und der Marie Elise geb. Lehmann in der Schweiz geschlossene Ehe im Gebiete des Fürstentums Liechtenstein für ungültig erklärt wird


Maschinenschriftliches Urteil des F.L. Obergerichtes, gez. Martin Hämmerle [1]

17.9.1923

Im Namen Seiner Durchlaucht des Landesfürsten [Johann II.]!

Das Fürstlich Liechtensteinische Obergericht Vaduz als Berufungsgericht hat durch den Hofrat Dr. Hämmerle als Vorsitzenden und durch die Oberrichter Franz Josef Hasler und Alois Schädler in der amtlichen Untersuchung über die Ungiltigkeit der Ehe des Lorenz Josef Quaderer von Schaan mit Elise geb. Lehmann geschiedene Müller in Folge Berufung [2] des Verteidigers des Ehebandes Dr. Wilhelm Beck, Rechtsanwaltes in Vaduz, gegen das Urteil des Landesgerichtes vom 19.5.1923 Gesch. Zl. J 310/256/11 [3] zu Recht erkannt:

Der Berufung wird nur teilweise Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird bestätigt, jedoch mit der Einschränkung, dass die zwischen Lorenz Josef Quaderer und Marie Elise Lehmann, gesch. Müller, am 26.11.1921 vor dem Zivilstandesamte in Zürich und vor dem reformierten Pfarramt Aussersyl in Zürich abgeschlossene Ehe im Gebiete des Fürstentums Liechtenstein ungiltig ist.

Josef Quaderer und Marie Elise Lehmann in Rheinau sind zur ungeteilten Hand schuldig, binnen 14 Tagen bei Zwangsvollstreckung eine Urteilsgebühr von 5 Franken und an den Kosten des Gerichtstages einen Beitrag von 10 Franken beim Landgerichte oder bei der Landeskassa Vaduz abzuführen oder in Stempelmarken zu entrichten.

Ausserdem wird ausgesprochen, dass keiner der Ehegatten an der Ungiltigkeit der Ehe Schuld trägt.

Dem Verteidiger des Ehebandes wird aufgetragen, gegen diese Berufungsentscheidung die Revision zu erheben. [4]

Entscheidungsgründe:

Im Fürstentum Liechtenstein wurde das österreichische allgemeine bürgerliche Gesetzbuch [5] rezipiert, dessen Eherecht auf konfessioneller Grundlage beruht.

Mit fürstlicher Verordnung vom 16. Oktober 1819, Zl. 5806, [6] wurde bestimmt, dass die auf das rezipierte österreichische Recht bezughabenden Erläuterungen und Nachtragsverordnungen, soweit sie in Österreich Anwendung zu finden haben, ohne weiteres auch im Fürstentum Liechtenstein Giltigkeit haben sollen.

Mit Fürstlicher Entschliessung vom 20.1.1843 [7] wurde jedoch angeordnet, dass vom Jahre 1843 angefangen alle derartigen Nachtragsverordnungen nur insoweit im Fürstentum Liechtenstein zur Anwendung und Kundmachung zu gelangen haben, als sie die ausdrückliche Sanktion des Fürsten erhalten hätten.

(Siehe: [Karl] In der Maur „Über die Rezeption des österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches in Liechtenstein“ im ersten Bande der Festschrift zur Jahrhundertfeier des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, Seite 760). [8]

Infolgedessen gelten die österreichischen Hofdekrete vom 26. August 1814, Justizgesetzsammlung No. 1099, [9] und vom 17. 7. 1835, Justizgesetzsammlung No. 61, [10] auch im Fürstentum Liechtenstein. Das erste Hofdekret besagt: „Wenn Ehen nicht katholischer christlicher Religionsverwandten dem Bande nach getrennt werden, so ist den Getrennten nicht katholischen Personen gestattet, bei Lebzeiten des getrennten Eheteiles nur mit nicht katholischen Personen eine giltige Ehe zu schliessen.“ Und im zweiten Hofdekrete heisst es: „ Es ergibt sich aus dieser Erläuterung des Gesetzbuches von selbst, dass eine katholische Person nach den Begriffen der katholischen Religion mit einer getrennten nicht katholischen bei Lebzeiten des geschiedenen Gegenteiles keine giltige Ehe eingehen kann“(Sogenanntes Ehehindernis des Katholizismus).

Diese Bestimmungen sind auch in Liechtenstein geltendes Recht, solange sie nicht durch ein anderes Gesetz abgeändert werden.

Der vom Verteidiger des Ehebandes geltend gemachte Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung liegt nicht vor. Die zwischen Lorenz Josef Quaderer und Marie Elise Lehmann in Zürich geschlossene Ehe mag nach dem schweizerischen Rechte, das das Ehehindernis des Katholizismus nicht kennt, giltig sein, aber unzutreffend ist die Behauptung des Ehebandsverteidigers, dass die Bestimmungen des Liechtensteinischen Eherechtes nur auf Ehen Anwendung finden, die in Liechtenstein geschlossen wurden, und nicht auf Ehen, die von Liechtensteinern im Auslande geschlossen wurden.

Nach § 4 a.b.G.B. verbinden die in Liechtenstein kundgemachten bürgerlichen Gesetze alle Liechtensteiner Staatsbürger, und die Liechtensteiner Staatsbürger bleiben auch in Handlungen und Geschäften, die sie ausserhalb Liechtensteins vornehmen, an diese Gesetze gebunden, insoweit als ihre persönliche Fähigkeit, sie zu unternehmen, dadurch eingeschränkt wird und als diese Handlungen und Geschäfte zugleich in Liechtenstein rechtliche Folgen hervorbringen sollen.

Allerdings heisst es im § 37 a.b.G.B.: „Wenn Ausländer mit Untertanen dieses Staates (das ist des Fürstentums Liechtensteins) im Auslande Rechtsgeschäfte vornehmen, so sind sie nach den Gesetzen des Ortes, wo das Geschäft abgeschlossen worden ist, zu beurteilen“ (locus regit aktum [actum]) jedoch mit der Einschränkung: „soferne die oben in § 4 enthaltene Vorschrift nicht entgegensteht.“

Nach österreichischem und liechtensteinischem Rechte mangelte also den Eheleuten die Fähigkeit, die Ehe einzugehen, da der erste Mann der Elise Lehmann noch lebt, und die Ehe sollte auch in Liechtenstein rechtliche Folgen hervorbringen, da durch die Eheschliessung Elise Lehmann Liechtensteinische Staatsbürgerin werden sollte (Quaderer sagt selbst, dass er der Gemeindekasse in Schaan 140 Franken Einkaufsgebühr für seine Frau bezahlt habe), desgleichen die aus dieser Ehe etwa hervorgehenden Kinder.

Eine nach dem Gesetze ungiltige Ehe wird selbstverständlich auch dadurch nicht giltig, dass die Gemeindevorstehung Schaan und das katholische Pfarramt dort bestätigten, dass gegen die Ehe kein Hindernis obwalte, und dass die fürstliche Regierung den Ehekonsens erteilt. Es ist übrigens klar, dass diese Behörden die Bestätigung und den Konsens blos deshalb erteilten, weil sie übersahen, dass die Braut eine geschiedene Ehegattin war.

Das angefochtene Urteil verstösst auch nicht gegen die liechtensteinische Verfassung vom 24. Oktober 1921 L.G.Bl. No. 15. [11] Allerdings heisst es in Artikel 37 der Verfassung: „Die Glaubens und Gewissensfreiheit ist jedermann gewährleistet. – Die römisch katholische Kirche ist die Landeskirche und geniesst als solche den vollen Schutz des Staates, anderen Konfessionen ist die Betätigung ihres Bekenntnisses und die Abhaltung ihres Gottesdienstes innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet.“ Und in Artikel 113 heisst es: „Alle Gesetze und Verordnungen, die mit einer ausdrücklichen Bestimmung der gegenwärtigen Verfassungsurkunde, in Widerspruch stehen, sind hiemit aufgehoben, beziehungsweise unwirksam; jene gesetzlichen Bestimmungen die mit dem Geiste dieses Grundgesetzes nicht im Einklage sind, werden einer verfassungsmässigen Revision unterzogen.“ Mit der gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit ist aber das Ehehindernis des Katholizismus nicht unvereinbar. Auch in Österreich ist die Glaubens- und Gewissensfreiheit staatsgrundgesetzlich gewährleistet und dennoch besteht dieses Ehehindernis. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit gibt jedem Staatsbürger das Recht, zu glauben oder nicht zu glauben, was er will und aus seiner Religionsgemeinschaft auszutreten und konfessionslos zu bleiben oder in eine andere überzutreten; aber sie gibt ihm noch nicht das Recht, eine Ehe zu schliessen, die das Gesetz, wenn auch aus konfessionellen Gründen, für unzulässig und ungültig erklärt. Wäre die Rechtsanschauung des Ehebandsverteidigers richtig, so müssten in Liechtenstein auch Ehen zwischen Katholiken und Juden gestattet sein, was wohl niemand behaupten wird.

Endlich kann auch nicht gesagt werden, das Lorenz Josef Quaderer zur Zeit der Eheschliessung nicht mehr Katholik war. Er ist laut vorliegendem Taufzeugnis [12] katholisch getauft worden und hat nie seinen Austritt aus der Kirche offiziell erklärt. Ja er hat im Gegenteile nach dem Berichte der Gemeinderatskanzlei Rheinau [13] noch immer die halbe Kirchensteuer bezahlt. Wenn er auch den Gottesdienst nicht besuchte und die halbe Kirchsteuer schuldig blieb, so hat er damit nicht aufgehört Katholik zu sein. Im Sinne des Gesetzes bleibt ein Katholik solange Katholik, bis er seinen Austritt aus der katholischen Kirche offiziell – in diesem Falle gegenüber dem katholischen Pfarramte in Rheinau – erklärt. Wenn er an den von der Kirche vorgeschriebenen religiösen Handlungen nicht teilnimmt, so bedeutet dies noch keinen Austritt aus der Kirche. Auf die innere Gesinnung kommt es nicht an, denn diese kann sich jederzeit ändern. Es kann dem Josef Lorenz Quaderer jederzeit wieder einfallen, den katholischen Gottesdienst wieder zu besuchen, und er gehört der katholischen Religionsgemeinschaft an, solange er nicht den Austritt ausdrücklich erklärt hat.

Es war daher das angefochtenen Urteil zu bestätigen. Da aber die liechtensteinischen Gerichte nicht darüber erkennen können, ob die Ehe in der Schweiz giltig ist, so war die Ungilitigkeit der Ehe mit der Einschränkung auf das Gebiet des Fürstentums Liechtenstein auszusprechen. (§ 4 a.b.G.B.)

Nach § 528 Z.P.O. wurde ausgesprochen, dass keiner der Ehegatten an der Ungilitgkeit der Ehe schuld trägt, da sie nichts verheimlichten und offenbar in Unkenntnis der bezüglichen gesetzlichen Bestimmungen und im Vertrauen auf den ihnen von der Regierung erteilten Ehekonsens die Ehe geschlossen haben.

Nach § 533 Z.P.O. muss der Verteidiger des Ehebandes gegen diese Berufungsentscheidung die Revision ergreifen, und das Landgericht hat die Erfüllung dieser Pflicht zu überwachen.

Der Ausspruch über die Kosten beruht auf § 40 Abs. 1. und § 50 Z.P.O. und auf Art. 3. Zl. 1 und 4 des Ges. vom 1.6.1922, L.G.Bl. 1922 [Nr. 22].

Fürstlich Liechtensteinisches Obergericht

 

Zur Nachricht: Gegen dieses Urteil steht auch den Eheleuten Müller- Lehmann die Revision an den Fürstlich Liechtensteinischen Obersten Gerichtshof in Vaduz zu. Die Revision wird durch Überreichung eines Schriftsatzes oder durch Erklärung zu gerichtlichem Protokoll bei dem Landgerichte erhoben. Die Revisionsfrist beträgt 14 Tage von Zustellung dieses Erkenntnisses an. [14]

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[1] LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 14). Stempel des F.L. Obergerichtes. Registraturvermerk: Rc 4/23. Einlaufstempel des F.L. Landgerichtes vom 4.10.1923. Von Gregor Nigg am 12.10.1923 an die Eheleute Josef Lorenz Quaderer und Marie Elise Quaderer sowie an Wilhelm Beck expediert. Weiteres Exemplar des Urteils unter LI LA RE 1923/3381 ad 0067.   
[2] Vgl. die Berufungsschrift des Ehebandsverteidigers Wilhelm Beck an das F.L. Obergericht vom 12.6.1923 (LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 12)).
[3] Vgl. LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 11).
[4] Vgl. die Revisionsschrift des Ehebandsverteidigers Beck an den F.L. Obersten Gerichtshof vom 26.10.1923 (LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 15)).
[5] Vgl. das ABGB vom 1.6.1811 (LI LA DS 100/1811/01; öst. JGS 1811 Nr. 946).
[6] Vgl. die Hofkanzleiverordnung vom 16.10.1819 (LI LA RB G1/1819).
[7] Vgl. LI LA SgRV 1843.
[8] Karl von In der Maur: Die Rezeption des österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches in Liechtenstein. In: Festschrift zur Jahrhundertfeier des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches 1. Juni 1911, Hg. Wiener Juristische Gesellschaft, Wien 1911, S. 755-762.
[9] Vgl. das öst. Hofdekret vom 26.8.1814, an sämmtliche Appellations-Gerichte, über Note der Hofkanzley vom 4.8. n. J., JGS Nr. 1099 (zur genaueren Bestimmung von § 119 ABGB).  
[10] Vgl. das öst. Hofkanzle-Dekret vom 17.7.1835, an die Gubernien in Triest, Laibach, Zara, Mailand und Venedig; zufolge Allerhöchster Entschliessung vom 13.7.1835, JGS Nr. 61.
[11] Vgl. die Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5.10.1921, LGBl. 1921 Nr. 15.
[12] Vgl. das Taufzeugnis des katholischen Pfarramtes Flüelen vom 16.2.1922 unter LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 3).
[13] Vgl. die schriftliche Auskunft der Gemeinderatskanzlei Rheinau zuhanden des F.L. Landgerichtes vom 17.3.1923 (LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 7)).
[14] Mit Urteil des F.L. Obersten Gerichtshofes vom 6.3.1924 wurde der Revision keine Folge gegeben und das Urteil des F.L. Obergerichtes bestätigt (LI LA J 005/J 310/256 (Ordnungsnummer 21)).