Emma Rheinberger an Alois Rheinberger über die Vernichtung der Weinernte in Vaduz durch Frost, den Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in den liechtensteinischen Alpen, den Fortschritt beim Wiederaufbau der Burg Gutenberg, den Nachwuchs des Bruders Egon Rheinberger, die Auswanderung von Salome Felini [-Rheinberger] nach Kalifornien sowie die Bitte um die Zusendung von amerikanischen Briefmarken


Handschriftliches Originalschreiben der Emma Rheinberger, Vaduz, an Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois) [1]

12.07.1913, Vaduz

Lieber Herr Vetter!

Es liegt wohl
eine lange, arbeitsreiche Zeit dazwischen,
seit ich Ihnen das letzte Mal geschrieben. –
Ich schätze sie hoch u. liebe sie sehr die
Arbeit, sie ist der Lebensgüter eines der
höchsten, aber auch liebe Schreibepflichten
sollte man dabei nicht versäumen.
Zürnen Sie mir nicht, ich bitte herzlich,
lieber Herr Vetter, dass ich all zu lange
gesäumt, die Weinberge bringen uns
bald mehr Arbeit als Wein. –
In treuer Anhänglichkeit u. so gerne
dachten wir Ihrer, sprachen von Ihnen,
wenn auch der Brieflein wenige kommen. [2]
Wie ist es denn seither ergangen, lieber
Herr Vetter? –
Der liebe Gott hat es uns so gut
gemacht, dass es uns immer u. in allen
Lebenslagen eigentlich gut geht,
weil er immer bei uns ist [3].  
Ist es mit der Athembeschwerniss nicht
doch etwas besser geworden, lieber Herr
Vetter? – Könnte man doch hie u. da
ein wenig nur bei Ihnen weilen, Ihnen
hie u. da eine gute, schlafvolle Nacht
bringen u. sprechen mit Ihnen über
Vieles, über Vergangenes, Gegenwärtiges
u. Künftiges. – Reiches Erfahren, reiches
Wissen muss Ihr Leben bergen u. reiche
Gnadenschätze müssen Sie gesammelt
haben für ein noch viel, viel schöneres
Leben u. dieses Gnadenleben es muss
unendliche Freude, Licht u. Glück [4]
über unsre Seele breiten. –
Und wie ist es allen Ihren lieben, ge-
freuten Kindern u. Enkel indessen er-
gangen? – Mit inniger Vater- u. Gross-
vaterfreude dürfen Sie wohl an jedes
einzelne davon denken. Wie viel, viel [5]
durften Sie mit Ihren Kindern u. Enkel
dem lb. Gott schon auf Erden sein, wie
viel für ihn arbeiten u. wie reichen Segen
dafür erwarten. –

Hoffentlich hatten Sie auch bessern
Sommer, bessere Zeiten, als wir hier zu Lande. 
Von Mitte Juni an ertrinken wir zeit-
weilig fast, Regen, Regen u. immer
wieder Regen, Reben, Mais, Kartoffel
empfinden solche Witterung natürlich auf
bedenkliche weise, wenn das so vorwärts
macht, sind wir bis zum Herbst arm an
Früchten, besonders da die Weinernte schon [6]
im März, od. April, nicht nur durch
Frost- sondern durch Eiszeit [7] grossen-
teils zerstört wurde. Die Weinberge sahen
nach diesen Tagen wie Schlachtfelder nach
blutiger Fehde aus, dazu nun noch
diese Wetterkatastrofe so lange schon. –
Ausserdem haben wir in den Alpen beim
Vieh ein Bild des Elend’s u. des Jammers,
die Klauenseuche, jener Landesschreck‘,
jene Landesplage ist ausgebrochen,
4 Alpen waren u. sind jetzt schon heim-
gesucht, die übrigen (etwa 20) der Ge-
fahr ausgesetzt. – Ganz furchtbar
traurig ist’s gegenwärtig bei uns zu
Berg u. Tal, – möge der liebe Gott
gnädig walten, ein wenig doch die
Sonne schicken! Oben in der Alpe stehen
die Tiere im Schnee, das Futter für sie muss
von uns etwa 5-6 Stunden hinauf [8]
geschleppt werden, herunter darf ja,
um die Seuche nicht weiter zu ver-
breiten, kein Tier, weder gesundes noch
krankes. – Die Heuernte der Bauern
liegt bedenklich im Wasser u. Fäulniss
fast. –

Wolle der liebe Gott doch Erbarmen
haben!

Bei Ihnen in Amerika hören wir von
gerade Entgegengesetztem, von grosser
Hitze. Die lieben besonders die Träublein,
da dürfen Sie Gutes erwarten.
Und die andern Früchte? Mögen sie
auch gut werden, denn Mais- u. Korn-
Ernte Amerikanische ist ja ausschlag-
gebend für d. ganze Welt fast. –

Meine Schwester Olga [Rheinberger] u. ich sind schon
fast [9] 1 Monat allein im roten
Haus. Egon [Rheinberger] unser Bruder begab [10]
über den Sommer mit seiner Familie
wieder nach Gutenberg, zur [11] weitern
Ausbauung der dortigen Burg. Es hat
der Bau schon hübsche Fortschritte ge-
macht unter Egon’s Arbeit, allein bis zur
völligen Vollendung u. dem Wiederverkauf
an unser fürstl. Liechtensteinisches Haus etwa
mag es noch länger gehen. Solcher Burg-
bau erfordert viel an Zeit u. Mittel,
u. letzterem wegen besonders kann auch nicht
immer ganz rasch vorgegangen werden,
den Winter über muss meist an dieser Arbeit
ausgesetzt werden. –

Egon hat nun schon das zweite Söhnchen,
„Petrus Antonius“ [Peter Anton Rheinberger], wie Vater [Peter Rheinberger] u. beide
Grossväter geheissen, Grossvater Rentmeister
hiess „Petrus“ [Johann Peter Rheinberger], Grossvater im Löwen „Antonius“ [Josef Anton Rheinberger].
Der liebe Gott mache gute, für seine [12]
Ehre arbeitende Menschen aus diesen
beiden kleinen Rheinberger: Hans [Johann Hans Rheinberger], dem
älteren u. Peter dem jüngeren. –

Jüngst ging auch eine entfernt verwandte
Familie (Fellin) von Schaan nach Cali-
fornien, um in dortiger neuer Heimat
ihr Glück zu suchen. – Der Vater der
Frau [Salome Felini [-Rheinberger]] war ein Rheinberger [Josef Anton Rheinberger]. – Sie hatte bis
Februar einen sehr talentvollen Sohn (als
Decorationsmaler glaube ich) in „sehr guten
Verhältnissen in „Las Angeles“ meines Wis-
sens. Leider verunglückte dieser im Fe-
bruar, er wurde in einem Lift tot gedrückt.
Die Mutter war natürlich schwer geprüft
nun u. es wurde ihr von den Freunden
ihres Sohnes in Las Angeles das Übersiedeln
dort hin empfohlen, was sie nun mit
2 Töchtern ausführte, u. was ihr zum Bes-
ten gereichen wolle. –

Noch möchte ich Sie recht herzlich um
eine kl. Gefälligkeit bitten, wenn [13]
ich Sie nicht zu sehr damit belästige,
lieber Herr Vetter. – Ich habe nämlich
eine Briefmarken-Sammlung angefangen
u. dazu würde ich Sie vielmals bitten,
mir doch auch güt. einige alte, gebrauchte
zusammen zu tun. Von alten, unbrauchbar
gewordenen Briefen besonders giebt es oft noch
so sehr interessante, aber auch neuere
könnte ich gut brauchen. Vielleicht wäre auch eine
Ihrer lb. Töchtern so liebenswürdig, einige
für mich zusammen zu bringen, also nur
solche, die für Sie wertlos sind. – Dürfte
ich recht schön darum bitten? –

Und nun behüte der liebe, gute Gott Sie
drüben u. uns herüben über dem grossen
Wässerlein u. von jedem einzelnen Rhein-
berger herüben sende ich einen herzlichen,
getreuen Gruss hinüber zu einem jeden
Rheinbergerlein dort, womit wir im
Geiste u. Herzen mit Ihnen vereint bleiben

als Ihre anhänglichen:
Egon, Olga, Maria [Aloisia Maria Rheinberger [-Schädler]], Hans,
Peter u. Emma Rheinberger [14]

______________

[1] LI LA AFRh Ha 18. Brief in lateinischer Schrift.
[2] Seitenwechsel.
[3] Unterstrichen.
[4] Seitenwechsel.
[5] Doppelt unterstrichen.
[6] Seitenwechsel.
[7] Durchstreichung.
[8] Seitenwechsel.
[9] Durchstreichung.
[10] Seitenwechsel.
[11] Durchstreichung.
[12] Seitenwechsel.
[13] Seitenwechsel.
[14] In Kurrentschrift.