Der deutsche Refraktär Karl Wittel wird wegen Verwendung eines verfälschten liechtensteinischen Reisepasses erneut in Basel einvernommen


Protokoll der Einvernahme von Karl Wittel vor der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, gez. Witschi, Staatsanwalts-Substitut, und Karl Wittel [1]

4.10.1940, Basel

Vorgeführt gibt als Angeschuldigter auf Befragen an:

z.P. Karlfriedrich Wittel

deutscher Reichsangehöriger, geb. 21. Januar 1908, ledig, Kaufmann, z.Zt. in Sicherheitshaft (Eltern: Gottlieb & Louise geb. Ehrhardt)

z.S.

(Nach Vorhalt der Angaben des Anton Seger) [3]

Die mir soeben verlesenen Angaben des Anton Seger stimmen im Grossen und Ganzen.

Richtig ist, dass ich den Seger kennenlernte, als ich bei Regierungschef Dr. [Josef] Hoop vorsprach. Auf Ersuchen des Seger, mit dem ich damals ins Gespräch kam, habe ich einen Schaden an einer Heizung im Kloster in Schaan besichtigt. Anschliessend begab ich mich zu Seger in dessen Wohnung, um ihm Bericht über meinen Befund zu geben. Bei dieser Gelegenheit habe ich dem Seger meine missliche Lage geschildert und zwar genauso, wie Seger dies bei seiner Einvernahme dargestellt hat. Teilweise hatte ich mit ihm darüber schon im Regierungsgebäude gesprochen. Seger hat mir dann offenbar aus Bedauern mit mir die Aushändigung eines Passes angeboten. Ich habe ihn also keineswegs von mir aus dazu bestimmt. Ich wusste damals ja gar nicht, ob Seger zur Ausstellung eines Passes kompetent sei. Im übrigen stimmt die Darstellung des Seger, wie ich bereits gesagt habe, über die ihm von mir gegebene Schilderung meiner bedenklichen Lage und meinen Reiseabsichten vollkommen. Es ist auch richtig, dass ich dem Seger versprochen habe, die Schweiz nach der Einreise bald wieder zu verlassen. Richtig ist auch, dass Seger für den Pass nichts verlangt hat und sich auch nichts versprechen liess. Ferner stimmt, dass mir Seger, nachdem ich ihm sagte, dass ich mittellos sei, Fr. 10.- schenkte und mir zusicherte, dass wenn ich nach meiner Ausreise nicht sofort in der Lage sei, die Hotelrechnung zu bezahlen, d.h. den Rechnungsbetrag dem Hotel zu überweisen, er (Seger) sie bezahlen werde. All das hat Seger [4] ohne jede Belohnung und auch ohne sich irgendetwas für die Zukunft versprechen zu lassen, aus reiner Menschlichkeit für mich getan. Hätte ich die Patentangelegenheit hier rascher erledigen können, dann wäre ich auch gar nicht in der Schweiz geblieben, um dem Seger keine Unannehmlichkeiten zu bereiten.

Zutreffend ist auch die Darstellung des Seger bezüglich der Aushändigung des leeren Passformulars. Da ich es nicht wagte, den Pass selber auszufüllen, hatte ich dafür keine Verwendung. Wäre nicht mein Bild bereits im Pass gewesen [5], dann hätte ich diesen dem Seger wieder zurückgegeben. Um mich durch den Besitz zweier Pässe, d.h. eines richtigen und eines unausgefüllten, nicht [6] verdächtig zu machen, vernichtete ich den leeren Pass durch Zerreissen kurz nach Überschreiten der Schweizer Grenze.

Frage: Haben Sie noch etwas beizufügen oder zu berichtigen?

Antwort: Nein.

4. Oktober 1940

Da das hier gegen Wittel durchgeführte Strafverfahren wegen Verwendung des fraglichen Passes noch nicht abgeschlossen ist, kann dem Begehren um Überlassung des Passes zur Durchführung des dortigen Verfahrens z. Zt. noch nicht entsprochen werden.

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[1] LI LA J 007/S 073/226 (c). Eingangsstempel des Landgerichtes Vaduz vom 5.10.1940. Die ersten Einvernahmen von Karl Wittel erfolgten am 1. und 3.9.1940 (LI LA J007/S073/226 (b)).
[3] Siehe das Einvernahmeprotokoll von Regierungskanzlist Anton Seger vom 6.9.1940 (LI LA J007/S073/226 (a)).  
[4] Handschriftlicher Vermerk: "2 Worte gestrichen. 4.X.40. W."
[5] Handschriftlicher Vermerk: "1 Wort eingefügt. 4.X.40. W." 
[6] Handschriftlicher Vermerk: "1 Wort eingefügt. 4.X.40. W."