Der Landtag diskutiert die Politik gegenüber der Volksdeutschen Bewegung


Protokoll der Konferenzsitzung des Landtags, ungez. [1]

10.10.1940

Interpellation des Abg. Franz Hoop wegen Naziumtriebe im Lande.

Abg. Hoop: Angesichts der innerpolitischen Verhältnisse im Lande glaube ich, wäre die Diskussion über das derzeit notwendiger als über das Tuberkulosegesetz. [2] Am letzten Samstag ist eine neue Zeitung erschienen. [3] Am besten gefielen mir die Unterschriften, es zeichneten dort viele Doktoren. [4] Ich glaube, über diese Sachen sollte im Landtag gesprochen werden.

Präsident [Anton Frommelt]: Ich glaube, die Herren Abgeordneten wissen, dass Besprechungen stattfanden zwischen den Parteien. Es ist eine Zusammenfassung aller Kräfte vorgesehen. Die Stimmung in der Bevölkerung ist gereizt. Es wäre interessant zu wissen, was für eine grundsätzliche Meinung der Landtag hiezu vertritt.

Brunhart Heinr. [Heinrich Andreas]: Nachdem Dr. [Otto] Schädler und Dr. [Alois] Vogt nicht anwesend sind, sind wir nicht in der Lage, in dieses Thema einzutreten, weil wir herzlich wenig damit zu tun gehabt haben.

Hoop: Man sollte aber als Abgeordneter dem Volke sagen können, wie es steht. Man wird oft gefragt und da wäre es zweckmässig, wenn man die Meinung des Landtages kennen würde.

[Oswald] Bühler: Ich möchte den Abg. Hoop unterstützen. Im Volke ist eine grosse Beunruhigung. Das ist eine Wahnsinnstat von Einzelnen. Das ist nicht im Sinne unserer Bevölkerung, weder von der einen noch von der anderen Partei. Das ist eine Aktion von einzelnen. Die grösste Anzahl weiss gar nicht, worum es geht. Diese drei Herren haben bisher noch nicht die Gewähr geboten, dass man das Landesgeschick in ihre Hände legen kann. Nur ein Gedankenaustausch über diese Sache ist angebracht.

Heinr. Brunhart: Ich weiss gar nichts, was interparteilich gegangen ist, weshalb ich nicht weiters darauf eingehen kann.

Präsident: Gestern sind Vertreter von Gesellschaften und der Altsteuerkommissär [Ludwig Hasler] gekommen und haben gesagt, sie haben 20 Kündigungen von Gesellschaften im Sack. Es ist nicht nur eine innenpolitische Sache, sondern sie erfasst auch unseren Geldsäckel. Bevor wir die sogenannten blinden Gelder wegschaffen, müssen wir uns klar werden, mit was wir die offenen Löcher stopfen.

Reg.Chef [Josef Hoop]: Es ist uns bei der Regierung auch nicht verborgen geblieben, dass die Haltung der Regierung im Volke nicht gebilligt worden ist. Der Grossteil der Bevölkerung vermutet, dass die Volksdeutsche Bewegung einen Anschluss an Deutschland anstrebt. Wir haben der Sache die nötige Aufmerksamkeit immer geschenkt. Nachdem am letzten Samstag die neue Zeitung "Der Umbruch" erschienen ist, haben wir uns sowohl in der Bürgerpartei und in der Union damit befasst. Wir haben den ganzen Fragenkomplex nach folgenden Gesichtspunkten durchbesprochen und geprüft: Ist diese Volksdeutsche Bewegung legal in ihrem Ziel, in ihrer Tätigkeit oder ist sie ungesetzlich.

Nachdem von den Prominenten der VDB erklärt wird, sie arbeiten nur für die Erhaltung des Deutschtums und nur für einen Wirtschaftsanschluss an Deutschland, so sahen wir keine Möglichkeit, diese Bewegung als ungesetzlich zu verbieten. Der Zweck dieser Bewegung, so wie er uns von den VDB dargestellt wird, ist nicht ungesetzlich und müsste deshalb geduldet werden. Die Wahl der Mittel ist etwas anderes. Sie haben verschiedene Verordnungen und Erlässe der Regierung übertreten und sind bestraft worden. Wir müssen auch die Frage prüfen, [ob sie] nicht doch staatsschädigend ist. Da sind wir vorgestern übereinstimmend zum gleichen Resultat gekommen, dass sie staatsschädigend ist aus folgenden Gründen. Wenn sie an Umfang zunimmt, wird die Schweiz sofort misstrauisch und Bedenken haben, in Liechtenstein bahnt sich etwas an, was eher auf eine Abtrennung von der Schweiz hinzielt. Hier müssen wir zurückhaltend sein. Es werden Auswirkungen in finanzieller Hinsicht folgen. Es ist die Bewegung aber auch staatsschädigend für Liechtenstein selber. Es ist nicht zu verantworten, dass in der heutigen Zeit irgend ein Anschluss an eine kriegführende Macht propagandiert wird, nachdem der Krieg noch nicht vorbei ist. Es ist nicht zu verstehen, dass es Leute gibt, die wollen, dass wir uns in den Verband der kriegführenden Mächte einstellen. Fraglich ist, ob ein Wirtschaftsanschluss jetzt möglich ist oder nicht. Wir neigen dazu, dass ein solcher Anschluss jetzt nicht möglich ist. Deutschland hat ganz Anderes zu tun. Wir sind viel zu wenig wichtig und würden kaum auf eine Resonanz bei Deutschland stossen. Wir sind übereinstimmend, die Vertreter beider Parteien, der Meinung gewesen, es muss in Anbetracht der staatsschädigenden Tätigkeit etwas gemacht werden.

Es bestehen 2 Möglichkeiten: Entweder im Wege neuer Gesetze die Bewegung und ihre Betätigung zu verbieten und mit allen Mitteln dieses Verbot durchzuführen. Wir glauben jedoch, dass man mit Verboten und mit Massregelungen nicht zum Ziele kommt. Ich wiederhole hier wieder, dass man eine geistige Bewegung mit Unterdrückungsmassnahmen, Massregelungen und Verboten noch nie bekämpft hat. Eine geistige Bewegung kann auch nur mit geistigen und politischen Mitteln bekämpft werden. Ein Verbot wäre aus aussenpolitischen Gründen unklug. Wir müssen als feststehend ansehen, wenn in Liechtenstein eine Bewegung unterdrückt würde, die ein enges Verhältnis zu Deutschland herbeizuführen beabsichtigt, so könnte das katastrophale Auswirkungen haben. Aus aussenpolitischen Gründen halten wir daher ein Verbot und Massregelungen für unangebracht. Man erinnere sich an die Ereignisse in Österreich, Tschechoslovakei, Polen etz. Unterdrückung von Volksgenossen auch über den Grenzen Deutschlands ist von Deutschland nirgends geduldet worden. Was bleibt dann noch zur Bekämpfung dieser unserer Überzeugung nach staatsschädigenden Bewegung, das ist die Aufklärungstätigkeit. Wir hoffen von einer ruhigen und sachlichen Aufklärung wenigstens das, dass sich nicht immer mehr zu dieser Bewegung stellen. Die Propagandamittel hat Dr. Vogt ganz kurz zusammengefasst. Man kann der Bevölkerung sagen, dass es unverantwortlich ist, in der heutigen Zeit mit Deutschland eine Verbindung anzustreben, weil Liechtenstein lebensfähig ist. Es hat es bewiesen durch Jahrhunderte hindurch. Man denke an die Steuern und die vielen Opfer, die gebracht werden müssen. Man denke an die letzte Konsequenz, dass ein völliges Aufgehen im Reich den Kriegsdienst mit sich bringen würde. Dann glaube ich, dass der Bevölkerung, die eingeschüchtert und entmutigt ist, die Augen aufgehen. In Verstärkung dieser Aufklärungsaktion kann man sich ruhig in der gesetzgebenden Körperschaft überlegen, ob man nicht gewisse Sachen, die Deutschland mustergültig geregelt hat, übernimmt. Wir haben jetzt ein Steuergesetz in Ausarbeitung, das sich sehr an das deutsche Steuergesetz anlehnt. [5] Höhere Einkommen werden höher besteuert und kinderreichen Familien werden Erleichterungen geschaffen. Nach diesem Muster können wir die Arbeitslosigkeit im Lande bemeistern. Wir denken auch an aussenpolitische Massnahmen, die allerdings sich weniger eignen für öffentliche Diskussionen. Wir müssen mit Deutschland ein möglichst freundschaftliches Verhältnis zu Deutschland unterhalten. Wir tun hier vielleicht gut, wenn wir hier weniger Rücksicht nehmen auf die empfindliche Stimmung in der Bevölkerung. Wir sind wegen unseres Verkehrs mit Stellen in Deutschland gleich als Nazi hingestellt und bezeichnet worden. Man muss hier Verbindungen aufrecht erhalten, die sich zweifellos nur zu Gunsten des Landes ausgewirkt haben. Wir haben mit der Union und der Bürgerpartei verhandelt. Heute kommen wir mit den Überparteilern, eine Gruppe, die sich um Dr. [Richard] Meier geschart hat, [zusammen]. Wir werden zweifellos auch mit dieser auf eine gemeinsame Linie kommen. Wir werden aber darüber hinaus gehen und den Stier gleich bei den Hörnern packen. Wir werden auch mit Dr. [Alfons] Goop reden. Wir wollen als Mann mit Mann miteinander reden und wenn sie es ehrlich meinen, wird man mit ihnen zu einer Lösung kommen, die zum Vorteil des Landes sein wird. [6] Ich weiss, dass wir mit dieser Methode nicht auf vollstes Verständnis in der Bevölkerung stossen.

[Josef] Sele: Mich hat es befremdet, dass im Landtag nie ein Wort geredet worden ist im Landtag. Meine Ansicht ist auch, dass das Prügeln nicht gut ist. Es ist erfreulich, dass man gesagt hat, was alles gegangen ist in dieser Sache.

Dr. Schädler kommt zur Sitzung.

[Franz] Eberle: Wegen dieser Umtriebe möchte ich sagen, dass in erster Linie die Arbeiter die Leidtragenden in der Schweiz sind.

Präsident: Was gefährlich ist, ist das, dass ein Unterschied gemacht wird zwischen Deutscheingestellten und Antideutschen. Diese Unterscheidung stimmt nicht. Diese Sache, wie sie aufgezogen worden ist, hat eine gewisse Tendenz. Diese Leute glauben, dass die Einnahmen nur bestehen aus den Abgaben des Bürgers. Wenn die sogenannten blinden Gelder abgeschafft werden sollen, so ist von heute auf morgen eine Stoppung der staatlichen Wirtschaft da. Bis jetzt haben sich die Behörden und der Landtag, ich betone dies, auf den Standpunkt gestellt, dass uns diese Gelder gottlob zur Verfügung stehen. Wenn der Landtag auch nicht offen diesen Standpunkt diskutiert hat, so hat er ihn doch in der Praxis vertreten. Interessant wäre, die Meinung heute abzuklären.

Reg.Chef: Es wäre für uns sehr interessant zu erfahren, welchen Anhang diese Bewegung in den einzelnen Gemeinden hat. Wenn man heute an die liecht. Bevölkerung die Frage stellt, ob Wirtschaftsanschluss an Deutschland oder Beibehaltung des Wirtschaftsvertrages mit der Schweiz, so habe ich das Gefühl, dass das Letztere herauskommen wird.

Präsident: Eine Opportunitätspolitik von 14 Tagen ist heute nicht angezeigt. Heute handelt es sich darum, sind wir in der Lage, dem Ausland entschieden zu betonen, Liechtenstein ist in seiner Gesamtheit der Bevölkerung bewusst seiner Situation und gewillt, die Selbständigkeit zu wahren.

Dr. Schädler: Unser Ziel muss sein, gesicherte Verhältnisse im Lande zu schaffen. Es ist geplant, dass man ins Volk hinausgeht und im kleinen Kreis arbeitet. Es ist von Wichtigkeit, dass man gerade die Volksdeutschen zur Aussprache in ausgiebiger Weise heranzieht, damit der gegenwärtige Zustand ohne Gefahr erhalten werden kann. Ich bin immer der gleichen Auffassung, dass die Frage der Innenpolitik nicht gelöst werden kann von aussenpolitischen Erwägungen. Vorsichtig muss jeder Staat sein, auch die Schweiz ist es. Die Zustände in der Schweiz sind genau so verworren wie bei uns, nur sind dort die Auswirkungen nicht so gross wie bei uns. Es fehlt vielen bei uns der Glaube in die Zukunft bei der gegenwärtigen Lage und Wirtschaftslage der Schweiz. Auch in der Schweiz wird es immer ernster werden. Sie müssen alles unterschreiben, was man ihnen vorlegt. Wir werden in dieser Beziehung auch unter Druck gesetzt. Ich meine aber, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet. Der Zustand wie er jetzt ist, muss beibehalten werden und die weitere Entwicklung wird zeigen, was wir tun müssen. Man kann heute nicht auf eine lange Sicht operieren. Die europäische Umordnung ist im Gange trotz des Krieges und obwohl der Friede noch nicht da ist.

Reg.Chef: Dr. Schädler hat zusammengefasst, dass wir trachten müssen zu erhalten, was wir jetzt haben. Über die Wahl der Mittel gehen die Meinungen auseinander. Es wäre sehr wesentlich, wenn man die Frage beantworten könnte, wie gross ist nach der Meinung der Abgeordneten die Zahl jener, die heute schon eine Neuorientierung wünschen würden. Ich schätze sie nicht hoch, wenn man sie im Ernst vor diese Frage stellen würde.

Präsident: Abgeklärt sollte werden, wer heute positiv für die Erhaltung des Landes eintritt. Das wäre eine sehr wichtige Sache. Wir leben in einer gewissen psychischen Unruhe. Dieses Schwanken ist es, was das Volk zermürbt.

Dr. Schädler: Wie man hört, sind auch die Volksdeutschen der Meinung, dass man mit der Entscheidung abwarten soll bis zum Ende des Krieges.

Präsident: Dann hat die ganze Bewegung keinen Sinn.

[Florian] Kindle: Die Regierung sollte sich bei den offiziellen Kreisen in Deutschland orientieren, wie die Verhältnisse stehen. Es ist entscheidend, was man draussen sagt zur ganzen Frage.

Brunhart Heinr.: Ich glaube, hier wären am ehesten zuständig der Fürst [Franz Josef II.] mit der Regierung. Der Fürst hat am ehesten Zugang.

Hoop: Ich halte die Sache für nicht so gefährlich. Bei uns in Ruggell heisst es, es seien 30 unterschrieben. Aber wenn es vor die Abstimmung kommt, sind höchstens noch 2-3.

Präsident: Ist nicht vielleicht die ganze Sache als eine innerpolitische Sache aufzufassen.

Eberle: Ich glaube das auch, dass diese nur ans Ruder wollen und dann ist alles fertig.

Bühler: Wenn sie auf dieser Basis weitergehen, schaden sie sich innerpolitisch, aber dem Lande aussenpolitisch. Die ganze Sache ist dem Lande abträglich.

Kindle: Die Regierung soll mit dem Fürsten verhandeln, wie es draussen steht.

Präsident: So einfach ist die Sache nicht. Die Diplomatensprache ist eine andere. Wenn man sie frägt, sagen sie, das ist unsere Sache. Man wird nicht mehr wissen als vorher.

Dr. Schädler: Etwas muss geschehen gegen die Störung. Ich bin der gleichen Auffassung, dass ein Vorgehen nur dann möglich ist, wenn gefestigte aussenpolitische Verhältnisse da sind zwischen dem Reich und den offiziellen Stellen in Liechtenstein. Unsere Regierung hat für den weiteren Verlauf keinen Einfluss gehabt, auf die Dauer ist das ein schlechter Zustand. Es ist nur auf dem Wege innerer Befriedigung mit Erfassung aller Kreise möglich. Gegen Strassenaufläufe und Kämpfe muss vorgegangen werden. Solche Unruhen haben vielfach mancher Sache Vorschub geleistet. Immer hat man mit der Strassenpolitik eine antideutsche Stellung bezogen.

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[1] LI LA LTP 1940/082.
[2] Zu Beginn der Sitzung nahm der Landtag die zweite Lesung des Tuberkulosegesetzes vor (LI LA LTP 1940/082).
[3] Am 5.10.1940 erschien die Erstnummer des "Umbruchs".
[4] Schriftleiter des "Umbruchs" war Ing. Martin Hilti, Mitarbeiter waren Dr. Alfons Goop, Dr. Sepp Ritter und Dr. Hermann Walser.
[5] LI LA RF 204/166.
[6] Zu diesen Verhandlungen vgl. LI LA J 007/S 078/358/044.