Die deutschen Maristen-Schulbrüder ersuchen die Regierung um die Bewilligung zur Gründung einer höheren Schule in Vaduz (Collegium Marianum)


Schreiben von Direktor Augustin Knapp im Namen von Armand-Leo Dorvaux, Provinzial der deutschen Maristen-Schulbrüder, an die Regierung zuhanden von Regierungschef-Stellvertreter Anton Frommelt [1]

4.6.1937, St. Gallen

Betreff: Niederlassungsbewilligung einiger Reichsdeutscher Maristen-Schulbrüder zum Zwecke der Errichtung einer höheren Mittelschule in Vaduz

Die Maristen-Schulbrüder sind eine Kongregation von Lehrern. Ihren Namen haben sie von Maria, der Muttergottes abgeleitet.

Die Kongregation wurde gegründet im Jahre 1817 von einem frommen, gottesfürchtigen Priester, P. Marzellin Champagnat, in Lyon, Frankreich, und umfasst heute 8'000 Mitglieder; sie ist in der ganzen Welt verbreitet und leitet Volksschulen, Mittelschulen und höhere Schulen.

Die Leitung der Kongregation der Maristen-Schulbrüder befindet sich in Grugliasco, presso Torino (Fratelli Maristi), Italien. Das Provinzialhaus der deutschen Maristen ist in Furth b/ Landshut, Nby [Niederbayern].

In Deutschland leiteten die Maristen-Schulbrüder Realschulen, Gymnasien, Volksschulen, Fürsorge-Anstalten und Knaben-Seminarien (Pensionate).

Die Anstalten standen in der schönsten Blüte und wirkten gottgesegnet. Da traf die Maristen-Schulbrüder ein herber Schicksalsschlag. Am 28. Dezember 1936 verfügte das Ministerium für Unterricht und Kultus in Bayern unter der Nr. IX 61074 die Auflösung aller Anstalten mit sofortiger Wirksamkeit. Die Betriebe hatten sich bis spätestens an Ostern 1937 abzuwickeln.

Damit standen fast 200 Lehrkräfte mit einem Schlag auf der Strasse und waren existenzlos.

Die Verfügung verbot ihnen die Führung von Lehranstalten und die Tätigkeit in solchen für weltliche Zöglinge und sprach den Schulbrüdern die Erziehungsbefähigung ab, obwohl der Staat ihnen auf Grund ihrer Lehrbefähigungszeugnisse die staatliche Reife zuerkannt hatte.

Die Provinzialleitung hat hiergegen Beschwerde erhoben, aber alle Proteste und Schritte, Gänge und Schriftsätze vermochten die Zurücknahme der Verfügung nicht zu erwirken. Kardinal [Michael von] Faulhaber schrieb damals: „Wenn diese Ihre so klare und sachliche Stellungnahme keinen Erfolg hat, dann war das noch nicht der letzte Schlag gegen das Christentum."

Von den Frontkämpfern im Ordensgewand, nahm man nicht einmal Notiz. Die seitherige segensreiche Tätigkeit der Schulbrüder würdigt die Bayerische Regierung mit keinem Wort. Die himmelschreiende Ungerechtigkeit der Verfügung und ihre brutale Durchführung wird aber durch die belobigenden Anerkennungsschreiben fast aller deutschen Bischöfe und auch der Eltern unserer Schüler zwingend widerlegt.

Nachdem trotz allem eine Erziehungsbetätigung im eigenen Vaterland verboten ist, sehen sich die deutschen Maristen-Schulbrüder genötigt, ihre Tätigkeit ins Ausland zu verlegen.

In Vaduz (Fürstentum Liechtenstein) wird uns nun die Villa „Blanka" von der internationalen Treuhand-Gesellschaft in Zürich, zum Zwecke der Eröffnung eines Schulbetriebes zum Kaufe angeboten. Da die Villa mit deutschem Geld bezahlt werden kann, können die Verhandlungen unmittelbar zum Abschluss gebracht werden. Bei diesen Verhandlungen wird Sorge getragen werden, dass den Schulbrüdern in Vaduz ein entsprechendes Betriebskapital zur Verfügung gestellt ist. (Keine Anleihe.)

Eine kleine Anzahl von 3 bis 4 Maristen-Schulbrüdern wollen auf eigene Kosten eine höhere Schule in Vaduz errichten, deren Richtlinien in einigen Tagen folgen werden.

Das Institut soll internationalen Charakter tragen und die Möglichkeit erschliessen, in der Villa „Blanka" Unterricht, Nachhilfe, Unterkunft und Verpflegung miteinander zu vereinigen.

Beabsichtigt ist insbesondere den katholischen Eltern die Möglichkeit einer gediegenen katholischen Erziehung zu bieten, die Knaben zu Männern mit katholischer Grundhaltung und Lebenseinstellung zu erziehen. Dem Geist der Zeit entsprechend legen wir Wert auf die katholische Soziallehre der Päpste, um so grundsätzlich zur Gesundung der Welt beizutragen. Aber auch Andersgläubige dürfen den Unterricht besuchen.

Die kleinen Klassen sichern insbesondere die individuelle Behandlung und die Förderung der Kinder in des Wortes weittragendster Bedeutung. Wesen und Aufbau der in Aussicht genommenen Errichtung einer höheren Schule in Vaduz ist in einem eigenen Prospekt zusammengestellt, der seiner Zeit vorgelegt werden wird.

Das Unternehmen ist privater Natur. Die Schulbrüder beginnen das Werk auf eigene Kosten. Die Leitung der Kongregation ist die Trägerin der zu errichtenden Maristen- Niederlassung; sie trägt Sorge für die Erhaltung und Förderung [der] Schule. Die Maristen-Schulbrüder werden mit eigenen Mitteln das Werk zum Blühen zu bringen versuchen:

  1. Durch internationales Schülermaterial, das sie in den eigenen Schulen der einzelnen Länder werben werden,
  2. Durch Aufnahme von Schülern, die in der weiteren und näheren Umgebung um Aufnahme nachsuchen werden,
  3. Durch evt. Aufnahme ihrer eigenen Ordenskandidaten.
  4. Durch Aufnahme von Gastschülern, die sich mit ihren Eltern oder Verwandten zum Sommeraufenthalt etc. in Vaduz oder in der Umgebung befinden.

Die sorgfältige Rücksichtnahme auf Befähigung und Neigung des Zöglings ist als charakteristisches Merkmal vorgesehen. Nicht nur der hervorragend veranlagte Schüler soll ohne Beeinträchtigung der Kameraden eine spezielle Förderung erfahren, sondern auch dem evtl. schulmüde gewordenen Zögling soll durch besondere Nachhilfe der Studiengang und somit auch die Wahl seines Berufes erleichtert werden.

Die Provinzialleitung der Maristen-Schulbrüder bittet daher die hochfürstliche Regierung, ihrem Gesuch wohlwollende Überprüfung angedeihen lassen zu wollen, wie dies bereits bei der persönlichen mündlichen Aussprache vom 2 Juni 1937 vom hochw. Herrn Landtagspräsidenten und Regierungsstellvertreter Pfarrer Frommelt zugesichert wurde.

In Anbetracht der dargelegten Verhältnisse darf überdies um gütige günstige Verbescheidung unserer Niederlassungsabsicht gebeten werden.

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[1] LI LA RF 172/154/001. Auf der Rückseite des zweiten Blattes handschriftlicher Vermerk von Regierungschef Josef Hoop, wonach das Gesuch in der Regierungssitzung vom 11.6.1937 zustimmend genehmigt wurde, jedoch vorbehaltlich der Beschlussfassung des Landesschulrates.