Die Staatenwelt nimmt die Übernahme der liechtensteinischen Interessenvertretung durch die Schweiz zur Kenntnis


Maschinenschriftliche Abschrift eines Schreibens der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern, gez. Geschäftsträger Emil Beck, an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien [1]

12.12.1919, Bern

Auslandsvertretung 

Im Nachgang zu meinem Schreiben vom 28. November [2] kann ich Ihnen auf Grund einer mündlichen Mitteilung des Herrn Minister [Charles Louis Etienne] Lardy melden, dass die offizielle Zustimmung zur Übernahme der Vertretung liechtensteinischer Interessen durch die Schweiz bisher von folgenden Staaten eingetroffen ist: [3] Griechenland, Schweden, Polen, Spanien, Rumänien, Italien, England, Holland und Equador. Frankreich und Deutschland haben bisher nur inoffiziell zugesagt. Während die andern Staaten nur mitteilen, dass sie von der betreffenden Note Akt genommen [haben], haben England und Griechenland in einem sehr freundlichen Briefe ihre ausdrückliche Zustimmung erklärt.

Für die Durchführung dieser Interessenvertretung sollten nun dem Politischen Departement zuhanden der Schweizerischen Gesandtschaften und Konsulate bestimmte Richtlinien angegeben werden. Das Politische Departement schreibt darüber: [4]

"In Anbetracht der Tatsache, dass die Schweizerische Regierung die Vertretung der liechtensteinischen Interessen übernimmt, wäre es für unsere Vertreter von Wichtigkeit, über die Dokumente orientiert zu werden, welche ein Angehöriger des Fürstentums vorweisen soll, um seine Staatsangehörigkeit nachzuweisen (Pass, Heimatschein usw.). Auch sollten unsere Vertreter wissen, welche fürstliche Behörde befugt ist, solche Dokumente auszustellen. Es ist nämlich von Wichtigkeit, dass unsere Gesandtschaften und Konsulate es vermeiden, ungültige Dokumente zu visieren oder Leute zu beschützen, welche nicht nachweisbar Liechtensteiner sind."

Nachdem ich diese Angelegenheit mit Lardy besprochen [habe], schiene es mir am zweckmässigsten, wenn in einem Schreiben der hiesigen Gesandtschaft an das Politische Departement alle in Betracht fallenden Punkte genau festgelegt würden. Diesem Schreiben wäre auch der Stempel der Regierung und der Gesandtschaften aufzudrücken. Das Schreiben müsste dann vervielfältigt werden, vielleicht in Druck, damit dem Departement zuhanden der schweizerischen Gesandtschaften und Konsulate ca. 160 Exemplare überreicht werden könnten.

Den Text dieser Note kann ich noch nicht entwerfen, da ich inbezug auf einzelne Fragen noch nicht weiss, in welcher Weise sie geregelt werden sollen. Jedoch wären in derselben etwa folgende Punkte klarzustellen.

Gemäss einer mit dem Herrn Landesverweser [Prinz Karl von Liechtenstein] gehabten Besprechung wäre inbezug auf den Identitätsnachweis etwa zu sagen, dass liechtensteinische Staatsangehörige sich legitimieren entweder durch den Heimatschein, welcher von der Vorstehung einer liechtensteinischen Gemeinde (deren Namen in dieser Note alle aufzuführen wären) ausgestellt und von der fürstlichen Regierung beglaubigt ist, oder dann durch einen Reisepass, der entweder von der fürstlichen Regierung oder von einer Gesandtschaft ausgestellt ist. Die Heimatscheine müssen also alle den Stempel der Regierung oder einer Gesandtschaft tragen, sodass es genügen würde, den Stempel der Regierung und denjenigen der Gesandtschaften auf der Note abzudrucken.

Sodann wären die Aufgaben und Kompetenzen der schweizerischen Gesandtschaften und Konsulate hinsichtlich der liechtensteinischen Interessenvertretung zu umschreiben. Vielleicht lässt sich hier eine allgemeine Formel finden, durch welche die Abgrenzung im allgemeinen gegeben ist. Einzelne Fälle aber bedürfen einer besonderen Regelung.

So fragt es sich namentlich inbezug auf die konsularische Vertretung, unter welchen Voraussetzungen die schweizerischen Vertreter Pässe von Liechtensteinern visieren sollen. Ferner wäre zu bestimmen, ob sie auch Pässe neu ausstellen können und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise, speziell, ob schweizerische Passhefte zu verwenden sind, in welchen vermerkt würde, dass der Inhaber liechtensteinischer Staatsangehöriger ist. Ferner fragt es sich z.B., ob die Ausstellung eines Passes nur gegen Deponierung des Heimatscheines erfolgen darf, wie dies in der Schweiz der Fall ist. Falls die schweizerischen Vertreter keine Pässe ausstellen sollen, wäre zu bestimmen, an wen sie sich in solchen Fällen zu wenden haben. Wohl an die hiesige Gesandtschaft durch Vermittlung des Politischen Departements. Eventuell wäre auch die Berechtigung zur Erhebung von Gebühren zu regeln, worüber jedoch mit dem Departement nichts besprochen worden ist. Zur Visierung eines Passes hat sich bereits ein Liechtensteiner beim schweizerischen Konsulat in Rotterdam gemeldet. 

Diplomatische Aktionen hingegen wären wohl auf die Fälle eines besonderen Auftrages zu beschränken, welcher regelmässig durch die hiesige Gesandtschaft dem Politischen Departement übermittelt würde.

Zu regeln wäre dann beispielweise auch die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen liechtensteinischen Staatsangehörigen Unterstützungen verabreicht werden sollen. In Betracht fallen wohl nur Reisespesen. Die schweizerischen Gesandtschaften unterstützen Schweizer nur, soweit Fonds aus besondern Zuwendungen durch Private hiefür vorhanden sind.

Für die ganze Regelung dürfte die bisher mit der Vertretung durch Österreich-Ungarn gemachten Erfahrungen eine gute Richtschnur bilden.

Sobald diese Fragen abgeklärt sind, könnte das erwähnte Schreiben dem Politischen Departement überreicht werden und damit wäre die nötige Grundlage geschaffen für die praktische Durchführung der Interessenvertretung. Bis dahin aber will das Departement mit der Wahrung der liechtensteinischen Interessen zuwarten, um nicht seine Kompetenzen zu überschreiten. 

 

Ich bitte Sie daher um Mitteilung, ob Sie mit dieser Art des Vorgehens einverstanden sind und gegebenenfalls, in welchem Sinne die oben aufgeworfenen Fragen zu beantworten wären. Würde eventuell die Vervielfältigung dieses Schreibens vorteilhafter in Wien erfolgen? [5]

 

Eine Abschrift dieses Schreibens geht gleichzeitig an die fürstliche Regierung in Vaduz. 

Der fürstliche Geschäftsträger

Der fürstlichen Regierung zur gef. Kenntnisnahme übermittelt. [6]

______________

 

[1] LI LA RE 1919/6087 ad 0589. Das Dokument langte am 15.12.1919 bei der liechtensteinischen Regierung ein. Stenografische Bemerkungen.
[2] Vgl. das Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien vom 28.11.1919 (LI LA RE 1919/5811 ad 0589): Geschäftsträger Emil Beck teilte darin nach Rücksprache mit dem Landesverweser in Bezug auf die Interessenvertretung Liechtensteins durch die Schweiz mit, dass eine besondere liechtensteinische Notifizierung an die ausländischen Regierungen nicht für notwendig erachtet werde, da die Schweiz ihrer Notifizierung die Note der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern an Bundesrat Felix Calonder vom 21.10.1919 beigelegt habe. Zur Note vom 21.10.1919 siehe CH BAB, E 2001(E)/1969/262, Schachtel 42.
[3] Zur völkerrechtlichen Vorgangsweise bei der Notifizierung durch die Schweiz siehe das Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien vom 26.11.1919 (LI LA RE 1919/5810 ad 0589): Abhängig vom diplomatischen bzw. konsularischen Status wurden seitens der Schweiz drei unterschiedlich gefasste Notifizierungen an ausländische Regierungen vorgenommen (ebd. Beilagen; die Note 3 ist in LI LA V 002/0057 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: 450/4 Beilage 3) zu finden). Gemäss Mitteilung des Eidgenössischen Politischen Departements an die Gesandtschaft in Bern vom 28.10.1919 wurden die schweizerischen Gesandtschaften in Belgien, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Portugal, Rumänien, Schweden, Spanien, den Vereinigten Staaten von Amerika, Argentinien, Uruguay, Brasilien, Chile, Paraguay, Japan, Niederlande und Kuba beauftragt, die Note 1 an die Regierungen zu richten, bei welchen sie akkreditiert waren. An die in Bern akkreditierten Gesandtschaften von Bulgarien, Dänemark, Griechenland, Norwegen, Serbien, Türkei, Kolumbien, Ecuador, Peru, Venezuela, und Polen wurde die Note 2 gerichtet. Die Note 3 wurde direkt den Regierungen von Bolivien, Finnland, Mexiko, Panama, El Salvador, Costa Rica und Guatemala mitgeteilt; bei diesen Staaten hatte die Schweiz lediglich Konsulate und sie waren in der Schweiz nicht durch Gesandtschaften vertreten (LI LA RE 1919/5810 ad 0589 (Aktenzeichen des EPD: 111.T/M.-B.14.24.P4)).
[4] Vgl. die Note des Eidgenössischen Politischen Departements an die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern vom 21.11.1919 (LI LA V 002/0059 (Aktenzeichen des EPD: 111.T/M.-B14.24.P.4)).
[5] Zu den Fragen betreffend die verwaltungstechnische Abwicklung der Interessenvertretung durch die Schweiz erging am 22.12.1919 eine Stellungnahme der liechtensteinischen Regierung zuhanden der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien (LI LA RE 1919/6087 ad 0589; LI LA V 003/0081 (Aktenzeichen der Gesandtschaft Wien: 5/1). Vgl. des weiteren das Schreiben des liechtensteinischen Gesandten in Wien, Prinz Eduard von Liechtenstein, an die Gesandtschaft in Bern vom 17.12.1919 (LI LA V 003/0076 (Aktenzeichen der Gesandtschaft Wien: 531/1)). Am 13.2.1920 übermittelte Prinz Eduard der Gesandtschaft in Bern den abgeänderten Entwurf einer diesbezüglichen Note an den Bundesrat (LI LA V 003/0081 (Aktenzeichen der Gesandtschaft Wien: 1920/5/1)).
[6] Es folgt ein handschriftlicher Vermerk: „Akt betr. Vertretung durch Österr. 1880er Jahre". Siehe hiezu das Schreiben des österreichisch-ungarischen Aussenministeriums an die liechtensteinische Hofkanzlei vom 24.10.1880 u.a. betreffend die Übernahme des diplomatischen Schutzes liechtensteinischer Staatsangehöriger im Ausland (LI LA RE 1919/6087 ad 0589 (Aktenzeichen des Aussenministeriums: 18702/80/7); LI LA V 003/0081 (Beilage 5/1/20); LI LA SgRV 1910/01; LI LA MFE 04/05).