Prinz Eduard erstattet dem Landesverweser Karl von Liechtenstein verschiedene Vorschläge betreffend die diplomatische Vertretung Liechtensteins beim Heiligen Stuhl


Maschinenschriftliches Schreiben des liechtensteinischen Gesandten in Wien, Prinz Eduard von Liechtenstein, nicht gez., an Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein [1]

20.6.1920, Wien

Euere Durchlaucht! (Prinz Karl, Landesverweser)

Mit Beziehung auf die Anfrage betreffend die Vertretung des Fürstentumes beim Vatikan [2] habe ich Seiner Durchlaucht dem Fürsten [Johann II.] seinerzeit die Anregung hiezu, die von Hofkaplan [Alfons] Feger ausging, [3] vorgetragen. Nach der Mitteilung Dr. [Emil] Beck's vom 10. Dezember 1919, von welcher eine Abschrift in Vaduz erliegt, [4] über den Mangel der Vertretung der Schweiz beim Vatikan, habe ich daran gedacht, die Vertretung Liechtensteins dortselbst mit jener des souveränen Maltheser Ritter-Ordens zu verbinden. Es ergab sich aber, dass dieser Orden, der bekanntlich hier eine Gesandtschaft besitzt, beim Vatikan durch einen Kardinal vertreten wird, der als "Protektor" des Ordens fungiert, so dass es auch nicht angängig war, ihm die Vertretung Liechtensteins anzutragen. Ich habe dem Fürsten dann den Gedanken vorgetragen, das Fürstentum durch den spanischen Botschafter vertreten zu lassen, mit Rücksicht auf die katholische Monarchie, die Spanien wie das Fürstentum darstellt. Ebenso war ja auch in Erwägung den hiesigen Gesandten, also derzeit mich, beim Vatikan zu accreditieren, wobei die eventuellen geschäftlichen Beziehungen, die ja nicht sehr vielseitig sein können, im Verkehr mit der hiesigen vatikanischen Vertretung ausgezeichnet hätten erledigt werden können, während in Rom nur etwa eine erste Aufwartung bei Überreichung des Accreditives und ein eventuelles Erscheinen bei ganz seltenen Angelegenheiten notwendig gewesen wäre. Eine Entscheidung ist nicht erflossen, der Gedanke aber auch noch nicht aufgegeben.

Was nun den gemachten Vorschlag mit dem italienischen Aristokraten betrifft, so glaube ich, dass dieser Gedanke mit grosser Vorsicht zu verfolgen ist. Wenn der Betreffende hiefür ein Geldopfer zu bringen bereit ist, so verfolgt er sicher irgend einen eigenen Zweck, also entweder die Verbesserung seiner sozialen Stellung, die aus irgend einem Grunde notleidend geworden sein mag, oder die Erlangung der diplomatischen Exterritorialität. Da der Betreffende aber wohl italienischer Staatsangehöriger ist, durfte diese wieder italienischerseits nicht zugestanden werden. Es müsste also wohl zunächst der Name des Kandidaten bekannt sein und sind die Beziehungen des Prinzen Johannes [von Liechtenstein] zur römischen Gesellschaft, weiters Erkundigungen, die man ja durch Grafen Nikolaus Revertera[-Salandra] [5] in durchaus sicherer Weise einziehen kann, eine genügende Gewähr, um in der Personenfrage klar zu sehen und das Projekt danach zu verfolgen. Ich habe Seiner Durchlaucht dem Fürsten darüber noch nicht berichtet, nur mit Prinz Johannes darüber gesprochen, und erwarte weitere Mitteilungen bezw. Weisungen, falls Euere Durchlaucht die Sache überhaupt noch zu verfolgen beabsichtigen. [6]

Der fürstliche Gesandte:

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[1] LI LA V 003/0109 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien: 449/1). "Betreff: Errichtung einer Gesandtschaft beim Vatikan".
[2] Landesverweser Prinz Karl hatte mit undatierten Schreiben vom Mai 1920 der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien mitgeteilt, dass von kirchlicher Seite die Anfrage gestellt worden war, ob der Plan einer Vertretung Liechtensteins beim Heiligen Stuhl noch fortbestehe. Falls ja, so würde sich hiezu eine nicht namentlich genannte Persönlichkeit aus der italienischen Aristokratie bereit finden und dem Land jährlich 20'000 Franken zahlen. Das Schreiben ging bei der Gesandtschaft in Wien am 29.5.1920 ein (LI LA V 003/0109 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 449/1)).
[3] Vgl. das Schreiben des Vaduzer Hofkaplans Alfons Feger an den liechtensteinischen Gesandten Prinz Eduard vom 30.12.1919 (LI LA V 003/0075 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Wien: 492/1)): Er führte darin u.a. aus, dass der Churer Bischof Georg Schmid von Grüneck, mit dem er im Sommer des Jahres Rücksprache gehalten hatte, den Gedanken einer Vertretung beim Vatikan sehr begrüsse. Feger hielt eine Vertretung des "hochfürstlichen" Hauses und des Landes für "sehr geboten" und schlug Prinz Eduard vor, damit den österreichischen Gesandten beim Heiligen Stuhl zu betrauen. – Ein weiteres Schreiben erging seitens des Hofkaplans am 24.12.1919 an Prinz Eduard (LI LA V 003/0085 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Wien: 51/1)): Feger äusserte sich dahingehend, dass unter den gegebenen Verhältnissen die von Prinz Eduard vorgeschlagene Akkreditierung des jeweiligen fürstlichen Gesandten in Wien beim Vatikan der geeignetste Weg sei.
[4] Vgl. das Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien – mit einer Abschrift an die Regierung in Vaduz – vom 10.12.1919 (LI LA RE 1919/6091 ad 0589; LI LA V 003/0075 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Wien: 492/2)): Geschäftsträger Emil Beck wies darauf hin, dass zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl keine diplomatischen Beziehungen bestünden und daher in diesem Fall die Vertretung Liechtensteins durch die Eidgenossenschaft nicht in Betracht komme. Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Schreiben von Prinz Eduard an Hofkaplan Feger vom 3.12.1919 (LI LA V 003/0075 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Wien: 492/1)) bzw. an die liechtensteinische Gesandtschaft in Bern (LI LA RE 1919/5966 ad 0589 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Wien: 450/5)).
[5] Ehemaliger österreichisch-ungarischer Diplomat und Vertrauter Kaiser Karls I.
[6] Die Frage der Vertretung Liechtensteins beim Heiligen Stuhl wurde nach den vorliegenden Akten erst 1927 wieder offiziell aufgegriffen (vgl. die Denkschrift von Rechtsanwalt und Landtagspräsident Wilhelm Beck an die fürstliche Kabinettskanzlei vom 8.7.1927 (LI LA RE 1927/3265 ad 0506)).