Landtagspräsident Wilhelm Beck legt Fürst Johann II. die Gründe für die von ihm propagierte Errichtung einer diplomatischen Vertretung beim Heiligen Stuhl dar


Maschinenschriftliches Memorandum von Landtagspräsident Wilhelm Beck, gez. ders., an die fürstliche Kabinettskanzlei in Wien zuhanden von Fürst Johann II. und von Prinz Franz sen. von Liechtenstein [1]

8.7.1927, Vaduz

Sehr geehrter Herr Kabinettsdirektor [Josef Martin]!

Kurze Denkschrift betreffend die diplomatische Vertretung des Fürstentums Liechtenstein beim Hl. Stuhl [2]

In Sachen der Vertretung des Fürstentums Liechtenstein beim Vatikan bekenne ich mich zum Empfange Ihres Schreibens Nr. 83/3 Präs. vom 25. Juni 1927. [3] Es ist mir erst heute möglich, dazu meine Stellung zu beziehen.

Ich begründe meinen unveränderlichen, seit langem reiflich überlegten Standpunkt unter Bezugnahme auf alle früheren Eingaben [4] in nachfolgender Antwort, zugleich als kurze Denkschrift gedacht, wie folgt:

I. Verhältnis des Fürstentums Liechtenstein zur Schweiz:

Es ist die rechtliche und politische Seite zu unterscheiden. Die Schweiz hat die diplomatische Vertretung des Fürstentums Liechtenstein nur bei jenen Staaten übernommen, [5] bei denen sie selber vertreten ist. Wenn aus diesem und andern Gründen die Wiener fürstlich liechtensteinische Gesandtschaft, welche kein ehrenamtlicher Posten war, aufgegeben wurde, [6] so war dies eben möglich, weil die Schweiz in Wien diplomatisch selber vertreten ist und daher die Vertretung für uns übernehmen konnte.

Die Schweiz ist aber beim Hl. Stuhl in Rom diplomatisch nicht vertreten [7] und sie kann aus diesem Grunde unsere Vertretung dort nicht übernehmen. Daher können die Einwendungen, welche unter Bezugnahme auf das Verhältnis des Fürstentums zur Schweiz gegen die Errichtung einer fürstlich liechtensteinischen Vertretung beim Vatikan erhoben werden, nicht als stichhaltig anerkannt werden. Die Errichtung einer Gesandtschaft beim Hl. Stuhl würde mitnichten eine Inkonsequenz hinsichtlich unserer heutigen Haltung und den guten Beziehungen zur Schweiz darstellen, denn es handelt sich im vorliegenden Falle gar nicht um ein Verhältnis mit der Schweiz, sondern um ein internationales Verhältnis mit dem Vatikan, das die Beziehungen mit der Schweiz in keiner Weise tangiert.

Es ist selbstverständlich, wenn, wie angeregt, der päpstliche Nuntius in Bern auch in Liechtenstein akkreditiert wird, dass auch Liechtenstein seinerseits eine diplomatische Vertretung beim Vatikan bestellt, andernfalls bestünde jene Halbheit, wie in der Schweiz, die aber dort rein aus historisch-politischen Gründen zu erklären ist und nicht nur von Katholiken allein bedauert wird. Die Argumente, die sonst hinsichtlich der Schweiz vorgebracht werden, hätten bei dieser einseitigen Akkreditierung noch eher Berechtigung, als wie sie sonst einen Schein davon aufweisen. Ich weiss auch nicht, ob der Hl. Stuhl in dieser Art und Weise seinen Nuntius in Liechtenstein einseitig akkreditieren lassen würde.

Im Zollvertrag mit der Schweiz ist auch im Ingress ausdrücklich ausgesprochen, dass der Vertrag unbeschadet der souveränen Stellung des Fürstentums Liechtenstein abgeschlossen werde. [8] Eine feierlichere Anerkennung des Besitzes und der Ausübung unserer Souveränität in andern Belangen, als wodurch sie durch den Staatsvertrag tangiert wird, ist kaum noch notwendig. Gerade bei Gelegenheit des Zollanschlusses war man auch ängstlich darauf bedacht und zwar von beiden Seiten, dass der Einwand der Beeinträchtigung der souveränen Stellung durch den Abschluss des Staatsvertrages nicht erhoben werde. Wenn schon damals jene Ängstlichkeit vorhanden war, dann haben wir heute erst recht allen Grund, unsere Selbständigkeit und Unabhängigkeit und zwar nicht nur der Schweiz allein gegenüber zu betonen und Ursache genug, nicht in den gegenteiligen Standpunkt zu verfallen. Der Bundesrat beziehungsweise des politische Departement hat offiziell erklärt, das schweizerischerseits gegen die Errichtung der Gesandtschaft durchaus keine Bedenken bestehen und dass dies eine ureigene Angelegenheit des Landes Liechtenstein sei. [9] Ich halte also dafür, dass eine neuerliche inoffizielle Anfrage bei Bundesrat [Giuseppe] Motta nicht mehr notwendig sei.

Auch die Verweisung auf die schweizerisch-politischen Parteiverhältnisse und damit auf die Opportunität kann nicht als stichhaltig anerkannt werden.

a) Das Politische Departement und auch die Schweizer Bundesregierung haben ja wiederholt bei Gelegenheit des Zollanschlusses und auch in dieser Sache erklärt, dass sie sich im übrigen um die internen Verhältnisse des Landes nicht kümmern. Wir wissen wohl, dass das nur so zu verstehen ist, solange wir international in keiner Weise in die schweizerischen Angelegenheiten als eng befreundetes Land eingreifen. Der Bundesrat und auch einige Beamte, deren Parteiangehörigkeit und Weltanschauung sich dermalen unserer Kenntnis zum Teil entzieht, werden sich demnach nicht auf eine Einflussnahme in der Richtung einlassen, dass Liechtenstein als ausschliesslich katholisches Land beim Vertreter der katholischen Christenheit eine Gesandtschaft nicht errichten darf und soll. Die Frage, ob es mit Rücksicht auf die gesamtschweizerische Lage opportun sei, eine solche Gesandtschaft zu errichten, müsste eben höchstens bejaht werden.

b) Was insbesondere die Parteiverhältnisse in der Schweiz, vor allem die allfällige Stellung der Liberalen bezw. Radikalen und ihrer Presse anbelangt, so kann ich mich dem von Herrn Dr. [Emil] Beck, Bern, im Jahre 1925 mitgeteilten Standpunkt in keiner Weise anschliessen. [10] Ob sich neben den Liberalen (Freisinnigen) auch andere nicht katholische Parteien, wie Sozialdemokraten u. a. dem angeblich ablehnend verhaltenden Standpunkt der ersteren anschliessen würden, scheint mir mehr als zweifelhaft. Um 1925 ist meines Wissens in der Berner Nuntiatur ein Wechsel eingetreten. [11] Wenn auch Schweizer Blätter hierzu in verschiedener Weise Stellung nahmen, so bleibt doch die eine Tatsache bestehen, dass die Schweizer Bundesregierung, die internationale Bedeutung des Vatikans erkennend, nicht zögerte, neuerdings das Argrément für den neuen Nuntius zu erteilen. Gewiss schon allein ein Umstand, der uns erst recht zur Errichtung aneifern sollte.

Ich hatte auch Gelegenheit mit einem bekannten schweizerischen Politiker konservativer Richtung mich über die Errichtung der Gesandtschaft beim Vatikan und insbesondere über die allfällige Wirkung auf die schweizerischen Parteien und Presse zu unterhalten. Der betreffende Herr fand das Argument einer ungünstigen Beurteilung durch diese Faktoren geradezu unverständlich. Gewiss werde es einzelne Leute, wohl auch Journalisten geben, denen nicht nur all das Vatikanische, sondern auch alles Katholische wider den Strich gehe, das dürfe und könne aber keine ausschlaggebende Bedeutung haben. Im Gegenteil finde er es als sehr gut, wenn die Errichtung erfolge. Es steht auch die Vermutung nirgends fest, dass sich die schweizerische Presse in eine Kritik unserer Verhältnisse einlassen wird, da wir mit der Schweiz in dieser Hinsicht gar nichts zu tun haben. Von einer Trübung der andern Verhältnisse kann keine Rede sein. Wenn die politische und Weltanschauung in dieser Frage eine Rolle spielen soll, so kann es jedenfalls für Liechtenstein keineswegs diejenige des schweizerischen Liberalismus bezw. Radikalismus sein, der übrigens klug genug wäre, sich in unsere internen Verhältnisse in irgend einer Form oder unter irgend einem Vorwande und zwar bei der heutigen Stellung der Schweiz wohl weniger denn je nicht einzumischen.

Dieses argumentum secretum – denn offiziell und öffentlich wagt es wohl niemand zu behaupten – vom Liberalismus, nicht katholische Presse u. s. w. spricht nur für die Errichtung. 

Ich kann daher und, ich darf wohl sagen, auch die gesamte Volkspartei kann diesen Standpunkt unter keinen Umständen anerkennen und niemals können wir unser staatliches Leben, soweit uns nicht der Zollanschluss Pflichten auferlegt, von der Wohlmeinung schweizerischer katholikenfeindlicher Parteien und Presse abhängig machen. Es wäre auch nicht einzusehen, in welcher Weise dieses Argument vor dem katholischen Liechtensteiner Volk einschlagen würde. Der katholische Standpunkt und die katholische Weltanschauung müssen auch in diesem Punkte die Grundlage bilden, wenn dies auch nach aussen vielleicht klugerweise nicht jedem und bei jeder Gelegenheit kundgetan zu werden braucht. Übrigens ist nicht einzusehen, weshalb vom Standpunkte der Klugheit aus betrachtet, die Errichtung unterlassen werden sollte. 

II. Verhältnis des Fürstentums zur Tschechoslowakei:

Es ist auseinander zu halten

a) das Verhältnis des Fürstentums zu diesem Staat,

b) das Verhältnis der fürstlichen Vermögensverwaltung zu demselben.

Es ist in Liechtenstein nicht unbekannt, dass die Tschechoslowakei die Souveränität des Fürstentums und damit des Fürstenhauses derzeit nicht anerkennen will; [12] dieser Standpunkt eines Staates, der weniger lange existiert wie unser Land, hat hierlands schmerzlich berührt. Gerade schon aus diesem Grunde haben wir alle Ursache, bei einer Stelle von so hervorragender internationaler Bedeutung, wie der Vatikan unbestritten ist, unsere Souveränität, d. h. unsere Selbständigkeit und Unabhängigkeit, zum Ausdrucke zu bringen. Ja, es ist geradezu Pflicht, dieses zu tun und kein Argument vermag dagegen aufzukommen. Es dürfte auch anderorts begreiflich erscheinen, dass liechtensteinischerseits diese Nichtanerkennung unserer Souveränität nicht gleichgültig hingenommen werden wird.

Die Beziehungen zwischen dem Vatikan und der Tschechoslowakei sind nicht unbekannt. Aber gerade nach neuesten Meldungen bestehen Einigungsbestrebungen zwischen der Kurie und der Prager Regierung. Nach andern uns zugekommenen Meldungen ist daher die Behauptung, die Beziehungen seien in ein entscheidendes Stadium getreten, nur dahin zu verstehen, dass Aussicht besteht, es werde eine Einigung zustande kommen. Vermutlich wird die Tschechoslovakei einen neuen Kardinal erhalten, der ihr genehm ist. So lauten unsere Informationen. Doch diese Beziehungen berühren uns Liechtensteiner nicht. Sie können insbesondere nicht jene Rückwirkung haben, die manche anzunehmen scheinen.

Unsere staatlichen Interessen dürfen unter diesem Konflikte nicht leiden. Diejenigen der fürstlichen Vermögensverwaltung werden durch die Errichtung einer diplomatischen Vertretung nicht in Mitleidenschaft gezogen. Im Gegenteil könnten auf Wunsch indirekt nur gute Dienste geleistet werden. Auf jeden Fall hat ja der betreffende Gesandte nur nach den ihm gegebenen Instruktionen zu handeln.

Über den bedauerlichen Stand der Auseinandersetzung der fürstlichen Vermögensverwaltung mit der Tschechoslovakei und manche dabei auftretenden höchst eigentümlichen Erscheinungen will ich mich in diesem Schreiben nicht ausführlich unterhalten, da die diplomatische Vertretung an sich damit nichts zu tun hat und nur, was hier ein für allemal festgelegt sei, auf Wunsch allenfalls gute Dienste zu leisten im Stande sein dürfte. Dabei ist nicht zu verhehlen, dass gute Dienste wohl eher von Erfolg gekrönt sein dürften als alle bisherigen Bemühungen.

Da wir nebst anderem auch an einem finanziell kräftigen Fürstenhause begreiflicherweise ein emminentes Interesse haben, so wird man uns das Interesse an der günstigen Lösung dieser schwebenden Angelegenheit wohl kaum abzustreiten in der Lage sein. Es darf aber diese Angelegenheit mit staatlichen Angelegenheiten des Fürstentums nicht verwechselt werden. Die Errichtung der Gesandtschaft ist allerdings gemäss Verfassung eine staatliche Einrichtung, wobei die Aussenvertretung Seiner Durchlaucht dem Landesfürsten zusteht (Art. 8 der Verfassung). [13]

Ich habe dem Herrn Kabinettsdirektor Martin von der Stellungnahme der Finanzkommission zum Begehren über den Beitritt zum ständigen internationalen Gerichtshof im Haag mündlich Mitteilung gemacht. [14] In der Finanzkommission teilte uns die Regierung bezw. der Herr Regierungschef [Gustav Schädler] mit, dass der Beitritt schon wegen der Güterauslösungsfrage zu wünschen wäre. In der Finanzkommission wurde dann auch angeregt, es solle Herr Dr. [Emil] Beck – Bern die Oberleitung in der Güterauseinandersetzungsangelegenheit haben und man solle beim Hl. Stuhl eine diplomatische Vertretung errichten, um gleichzeitig in dieser Richtung die internationale Stellung Liechtensteins zu betonen. Ich habe nicht verhehlt, der Finanzkommission von der Nichtanerkennung der Souveränität durch die Tschechoslovakei und andern Erscheinungen Mitteilung zu machen. Daraufhin teilte die Regierung mit, dass Seine Durchlaucht der regierende Fürst demnächst ins Land komme und die Frage bei dieser Gelegenheit abgeklärt werden könne. Die Finanzkommission, in der die Stimmung zu Gunsten beider Sachen zu stehen scheint, beschloss darauf mit der Stellungnahme zum Beitrittsantrag sowie zur vatikanischen Gesandtschaft zuzuwarten, bis der Fürst ins Land gekommen sei. Gemäss einem später eingelangten Telegramm sollte Rücksprache mit den Herren Dr. Beck – Bern und Regierungschef Schädler genommen werden. Wie ich erfahre, ist leider in dieser Sache, ausser einer Rücksprache mit mir und Herrn Dr. [Alois] Ritter sonst nichts unternommen worden. Die Antwort auf jenen Finanzkommissionsbeschluss wie auch auf die Eingabe der Volkspartei steht heute noch aus.

Es ist die Feststellung gerechtfertigt, dass die tschechoslovakischen Verhältnisse durchaus kein Hindernis bieten, im Interesse und zur Wahrung des Ansehens des erlauchten Fürstenhauses und des Staates Liechtenstein eine Gesandtschaft beim Hl. Stuhl zu errichten.

III. Die Stellung Liechtensteins etc.

1. Wie schon in früheren Eingaben mehrfach und auch in der Eingabe des Parteiausschusses der liechtensteinischen Volkspartei [15] bemerkt, kann durch die Errichtung einer Gesandtschaft beim Vatikan die internationale Stellung Liechtensteins nur gehoben werden und zwar, ohne dass voraussichtlich irgendwie Misshelligkeiten entstehen würden. Es schadet gewiss angesichts der Haltung der Tschechoslovakei nichts. Es ist aber auch zu begrüssen, wenn im übrigen trotz des wirtschaftlichen Anschlusses an die Schweiz und aller guten und dankenswerten Beziehungen diesem Lande gegenüber auch heute, soweit geziemend und erforderlich, unsere Selbständigkeit betont wird, wie sie einstens bei den Zollanschlussverhandlungen hervorgehoben worden ist.

2. Schon aus diesem Grunde kann man sich meines Erachtens auf die Diskrepanz von offiziellen Äusserungen und inoffiziellen Meinungen nicht einlassen, diese inoffiziellen oder sagen wir lieber persönlichen Meinungen dürften und könnten übrigens öffentlich nirgends vertreten werden, denn in erster Linie würden sich gerade Parteien und Presse darüber aufzuhalten in der Lage sein.

Sodann bin ich der Ansicht, dass bei aller internationalen Courtoisie unsere Stellung nicht so aufgefasst werden darf, dass wir schliesslich bei jedem Schritt zuerst in Bern oder in Prag, in Angelegenheiten, die zu diesen Stellen keine Beziehung haben, anfragen müssen und dann nur offiziell eine Meinung hören, die anders lautet als die offizielle und die wir Liechtensteiner offiziell und inoffiziell bekämpfen müssten.

3. Die meisten, darunter viele nichtkatholische Staaten haben beim Vatikan ihre Vertretungen, gewiss nicht ohne Grund. Aber auch kleinste Staaten, so beispielsweise laut Annuario Pontificio 1927 das Fürstentum Monaco durch S. E. il Sig. Fontarce Conte Renato, Inviato Straordinario e Ministre Plenipotenziaro (Lett. Cred. 25 ott, 1920) Paris (8 c) Rue de Varemes 54, Roma, Palace Hotel, ferner San Marino (ohne Bischofssitz) durch S. E. il Sig. Mannassei Di Collestatte Conte Paole, Inviato Straordinario e Ministro Plenipotenziario (Lett. Cred. 6 magg. 1926) Via Cjoito 60, Sig. Gozi Nob. Comm. Frederico (assente), Sig. Pericoli- Rudolfini Nob. Comm. Angelo Segretario, Via della Consulata 56, p. 2, sind beim Hl. Stuhl vertreten.

4. Eine Durchbrechung des Grundsatzes "Liechtenstein den Liechtensteinern" [16] kommt hier nicht in Betracht. Einmal steht die Frage offen, ob die in Betracht kommende Persönlichkeit nicht das liechtensteinische Bürgerrecht in der einen oder andern Art erwerben wird. Sodann weise ich darauf hin, dass trotz dieses Grundsatzes „Liechtenstein den Liechtensteinern" Liechtenstein leider bisher immer gezwungen war, ausländische Personen in seine Dienste zu nehmen. Dieser Grundsatz, der von uns soweit tunlich ebenfalls hochgehalten wird, steht der Errichtung und Benützung durch einen Ausländer, der wie gesagt, auch Liechtensteiner werden kann, nicht entgegen. Gerade die Volkspartei ist sich der Bedeutung dieses Grundsatzes bewusst, aber sie weiss auch, dass er nicht immer unter allen Umständen durchgeführt werden kann. Das ist ja auch seinerzeit öfters hervorgehoben worden.

Es ist nicht notwendig, dass der betreffende Gesandte in Liechtenstein Wohnsitz nehmen müsste, wenn er es auch vielleicht tun wird. Ich wüsste wahrlich nicht, was er die ganze Zeit hierlands zu tun hätte. Die eine Zeit wird er in Rom sein, die andere Zeit aber vielleicht anderswo.

Gerade um dem Fürstentum wertvolle Dienste zu leisten wäre dieses auch notwendig und eine zu ausgedehnte Anwesenheit im Lande nicht erwünscht. Beispielsweise hat der Vertreter von Haiti beim Hl. Stuhl seinen Wohnsitz in Berlin, derjenige von Monaco in Paris.

5. Liechtenstein ist ein durchaus katholisches Land und ich kann nicht verstehen, warum, wie schon gesagt, an der höchsten katholischen Stelle nicht eine Vertretung errichtet werden soll, wenn selbst nichtkatholische Länder dieses tun. Also gerade von diesem Standpunkt aus müsste schon in der Nichterrichtung eine Inkonsequenz liegen. Die Schweiz ist gegenüber Liechtenstein konfessionell ein ganz anders zusammengesetztes Land, das zum Vergleiche nicht herangezogen werden kann und darf. Ebenso können in dieser Hinsicht Erscheinungen in der Tschechoslovakei einen Ausschlag nicht bedeuten.

6. Der Posten ist ehrenamtlich gedacht, überhaupt sollen dem Lande und dem erlauchten Fürstenhause keine Ausgabe verursacht werden. Da mit dem Posten bedeutende Auslagen für Repräsentation usw. verbunden sind, kann leider ein Liechtensteiner nicht in Betracht kommen. Es braucht aber andererseits nicht aufzufallen, dass sich eine Person auf Ersuchen von liechtensteinischer Seite – nicht von mir – ehrenamtlich bereit gefunden hat, den Posten zu übernehmen. Denn anders käme wie gesagt die Besetzung des Postens für uns kaum in Frage. Eine Befürchtung etwa, dass die Stelle zu finanziellen oder andern Angelegenheiten missbraucht werden könnte, ist nicht begründet, andernfalls könnte man ja nie eine Stelle besetzen, weil man nie zum Voraus alle absolute Garantie hat, sondern nur eine moralische Gewissheit und diese Befürchtung ist besonders dann nicht begründet, wenn die Persönlichkeit des Herrn Baron [Friedrich] Geiers [17] in Aussicht genommen wird, eines Mannes, der in jeder Hinsicht den besten Ruf geniesst und auch ein grosser Wohltäter ist. Aus diesem Umstand allein, abgesehen von andern Gründen, ist der Einwand, man habe in Wien eine Gesandtschaft, die von einem Liechtensteiner besetzt war, aufgehoben und was würde man zur Schaffung einer solchen beim Vatikan in der Öffentlichkeit sagen, mangels gleicher Voraussetzungen nicht zutreffend.

7. Aber noch mehr, nach meiner Ansicht kommt nicht nur eine rein repräsentative Persönlichkeit in Betracht, sondern eine solche, die daneben gerade auf wirtschaftlichem Gebiet sehr gute Beziehungen hat und die dank dieser Beziehungen in der Lage ist, dem Lande auch wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen. Es geht natürlich nicht an, dass eine derartige wirtschaftliche Klausel an die Errichtung der Gesandtschaft geknüpft wird, wie es leider, wenn auch gut gemeint, im Regierungsbeschlusse der Fall ist, sonst könnte man in Verdacht kommen, auf andere Weise simonistischen Gedanken nachzuhängen. – Dass aber die Persönlichkeit zur wirtschaftlichen Hebung und Förderung von Verdienst und Arbeit u.s.w. mithelfen soll, das ist auch mein Wunsch, allerdings nicht, weil sie Gesandter ist, sondern weil sie gleichzeitig anderwärts gute Beziehungen haben soll. Die Sorge um die Hebung des Landes in wirtschaftlicher und in anderer Beziehung, die übrigens Verfassungsaufgabe ist (Art. 20), [18] ist auch eine meiner Hauptsorgen. Die Liechtensteiner allein sind aus eigener Kraft es nicht im Stande, daher ist es notwendig, dass wir angesehene und tüchtige Ausländer diesem Zwecke dienstbar machen, andernfalls bleibt die ganze Bestrebung mehr oder minder nur ein frommer Wunsch und toter Verfassungsbuchstabe.

8. Bei der ganzen Angelegenheit gehe ich nur von der Ehre und Wahrung des Ansehens des Landes aus, das umso mehr, als gerade ein mehrfach genannter Staat unsere Souveränität leider nicht anerkennen will.

a. Se. bischöfl. Gnaden Dr. Sigmund Waitz, apostolischer Administrator in Feldkirch, den ich bat, über die Frage der Errichtung einer Gesandtschaft sich zu äussern, sagt in seinem Gutachten vom 30.1.1927 [19] unter anderem folgendes:

"Es gehört zu den Souveränitäts Rechten eines Fürsten, durch einen diplomatischen Vertreter in andern Staaten die Rechte seines Landes geltend zu machen; das bringen die vielen Beziehungen notwendig herbei, welche in der gegenwärtigen Zeit die Staaten zueinander haben. Ganz anderer Art aber noch ist die Vertretung eines Staates beim Hl. Stuhl. Sie ist von umso grösserer Wichtigkeit, je einflussreicher der höchste Souverän, der Papst, unter den Fürsten der Erde und allen Regierungen ist. Dass derzeit, nach dem Weltkrieg, die Stellung des Papstes eine noch viel erfolgreichere geworden ist, wird überall anerkannt, weshalb auch die Vertretung beim Hl. Stuhl als die vornehmste Vertretung gilt und andererseits die Vertreter des Papstes in den weltlichen Staaten überall an der Spitze des diplomatischen Corps stehen. Nach dem Ausspruche eines berühmten Geschichtsforsches laufen ja die Fäden der Weltgeschichte im Rom des Papstes zusammen. Gerade durch eine solche Vertretung wird demnach die Souveränität eines Fürsten erst recht zur Geltung gebracht, denn wo könnte das wohl auch besser geschehen? – In Rom erscheinen die Vertreter der Staaten am Freitag und Samstag jeder Woche beim Kardinal-Staatssekretär, in der Kanzlei der Sotto Segretaria, sie gehen an diesen Tagen gar allen übrigen Besuchen vor. Da ist es wohl auch zugleich gegeben, dass zwischen den Vertretern der Staaten dort der regste Verkehr herrscht. Kein Staat bietet fernerhin solche Festlichkeiten, wie das Rom des Papstes sie bietet. Bei allen Papstfestlichkeiten aber in der Peterskirche oder in der Sixtinischen Kapelle erscheinen die Vertreter der Staaten, das ganze diplomatische Corps, und sie legen grossen Wert darauf, auf den für sie reservierten Tribünen an den Festlichkeiten teilzunehmen. Mögen es nun Vertreter grosser oder kleiner Staaten sein, sie sind dort alle vereint; die Vertreter von Peru oder Bolivien oder Brasilien oder Monaco erscheinen neben den Vertretern von Deutschland, Frankreich, Amerika, Spanien. Sicherlich verleiht demnach eine Vertretung beim Heiligen Stuhle dem Fürsten eines Staates ein grosses Ansehen, auch bei den Vertretern der übrigen Staaten, was in der jetzigen Zeit, wo man allzuleicht auch über die Rechte eines solchen Fürsten hinweg schreiten zu können glaubt, von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Die Souveränität kommt dadurch nicht bloss zur Geltung, sie wird auch gestützt und gestärkt. – Die Vertretung beim Heiligen Stuhle lässt sich auch von anderer Seite beleuchten. Unter den verschiedensten Staaten herrscht sicherlich ein Bemühen, im Einfluss auf den Vatikan einander zu überflügeln. Der Einfluss der lateinischen Staaten ist nun gegenüber dem der deutschen Staaten sehr gross. Die Vertreter des Deutschen Reiches und Österreichs haben darüber schon oft sich geäussert, dass die Vertretung der kirchlichen Interessen deutscher Länder zu schwach sei gegenüber dem Übermass der Vertretungen von Frankreich, Spanien etc. Die Vertretung des Fürsten von Liechtenstein wäre imstande, den Einfluss kirchlicher Interessen deutscher Völker zu verstärken – wir meinen den berechtigten Einfluss. Es lässt sich nicht leugnen, dass den lateinischen Völkern schon durch ihre Sprache und Stammart ein gewisses Übergewicht bei dieser Vertretung zufällt, das einen Ausgleich fordert. – Noch eine Erwägung ist, die mitspricht. Seit dem grossen Umsturz sind die katholischen Monarchien zusammengeschwunden. Für den Vatikan ist es aber sicherlich von Wert, gerade Vertreter katholischer Monarchen bei sich zu sehen – zumal von Monarchen, die Herrscher von wirklichen katholischen Staaten sind. Das verstärkt gewissermassen den katholischen Einfluss in der Welt der Regierungen. Das Wort des Fürsten von Liechtenstein durch einen Vertreter im Rate der Diplomaten vorgetragen oder im Kreise der Diplomaten zur Geltung gebracht, wird nicht wenig gelten. – Mit diesen Äusserungen lässt sich der Wert einer solchen Vertretung des Fürstentums Liechtenstein im Vatikan begründen – wie ich glaube, genugsam begründen. Die Gründe sind so bedeutend, dass es eigentlich Wunder nehmen mag, warum eine solche Vertretung nicht schon früher eingerichtet worden ist, zumal der Einführung kein Hindernis entgegen zu stehen scheint. Das Ansehen des Heiligen Stuhles wächst ja mit der Zahl der Vertretungen, deshalb darf man damit rechnen, dass die Einführung dieser neuen Vertretung auch im Vatikan begrüsst würde. Das Ansehen des Fürsten von Liechtenstein ist so gross, dass eine Vertretung beim Päpstlichen Stuhle mit grosser Achtung aufgenommen würde."

b. Ein hochangesehener und sehr bekannter Protestant, mit dem ich in der Sache konferierte, hob nachdrücklichst hervor, dass nach seiner Ansicht das Fürstentum nichts Besseres tun könne, als eine Gesandtschaft zu errichten und er empfehle uns darum die Errichtung. Dabei wies er insbesondere darauf hin, dass die Konstellation der internationalen Verhältnisse leider noch lange keine sorglose sei. Es sei geradezu notwendig, dass nötigenfalls Liechtenstein an dieser Stelle eine Persönlichkeit habe, welche die moralische Kraft und Autorität des Papstes zu Gunsten des Landes anrufe. Wenn selbst protestantische Kreise die Errichtung einer Gesandtschaft im Interesse des Landes so betrachten, dann sehe ich nicht ein, warum wir als Katholiken das nicht tun sollen.

Gegen die Errichtung vermag also die angebliche inoffizielle Meinung schweizerischer Kreise, sowie die Befürchtungen wegen der Tschechoslovakei nicht aufzukommen. Der Standpunkt des Liberalismus und Radikalismus ist nicht unser Standpunkt. Müssen wir denn mehr auf katholikengegnerische Meinungen hören als auf katholische? Es ist der katholische Standpunkt der Volkspartei und meiner Wenigkeit, da wir ja alle nicht auf dem Standpunkt liberaler Weltanschauung stehen, sondern auf dem katholischen. Ein katholisches Fürstenhaus und ein katholisches Land sollten unbedingt bei der höchsten katholischen Autorität eine Vertretung haben, das erfordern gerade Ehre und Ansehen des Landes.

9. Ich sehe durchaus keinen ins Gewicht fallenden Grund, der gegen die Errichtung einer Gesandtschaft beim Hl. Stuhl sprechen würde, und ich muss es nur bedauern, dass dieser Gedanke nicht schon längst verwirklicht wurde. Schon seinerzeit war ja die Anregung gemacht worden und, wenn ich recht unterrichtet bin, war damals Seine Durchlaucht Prinz Eduard von Liechtenstein dafür, allerdings sollte der damalige Gesandte in Wien gleichzeitig mit diesen Funktionen betraut werden. Wenn endlich an die Errichtung der Gesandtschaft herangetreten würde, so läge darin wahrlich keine Überstürzung mehr.

10. Eine Rivalität zwischen dem Berner Geschäftsträger und – falls der Gesandtenposten errichtet wird – zwischen dem Gesandten beim Vatikan kann nicht entstehen und ich sehe auch nicht ein, wie sie entstehen sollte. Beim Vatikan werden meines Wissens überhaupt nur ausserordentliche Gesandte und Minister akkreditiert. Diplomaten niedrigeren Grades gibt es überhaupt nicht. Das erfordert aber umgekehrt durchaus nicht, und würde in der Schweiz deswegen z. B. keinen schlechten Eindruck erwecken, dass dort nun auch ein mit grösserer finanzieller Belastung verbundener Gesandtschaftsposten anstelle eines Geschäftsträgerpostens, der leider heute noch nicht angemessen dotiert ist, geschaffen würde.

11. Bei unserer seinerzeitigen Rücksprache in Vaduz haben Sie mich eingeladen, auf ein Telegramm von Wien nach dort zu kommen und mit Seiner Durchlaucht Prinz Franz Rücksprache zu nehmen. [20] Ich habe Ihnen das zugesagt und ich bin auf Wunsch noch heute bereit, da ich nicht einsehe, warum andere und ich nicht für diese gute Idee nach jeder Richtung hin Stellung beziehen dürfen.

Die verfassungsrechtliche Bestimmung, wonach dem Fürsten die Aussenvertretung übertragen ist (Art. 8), ist mir sehr wohl bekannt. Es soll die ganze Angelegenheit nicht im Sinne eines Eingriffes in die souveränen Rechte des erlauchten Fürsten gedeutet werden. Die Aussenvertretung steht aber auch im Interesse des Landes und von diesem Standpunkt aus haben wir Liechtensteiner den Wunsch, dass unser Land, so klein es auch ist, sich international eine gewisse Geltung verschafft. Dazu bietet eben die Vertretung beim Vatikan, die wie gesagt, sehr im Interesse unseres Vaterlandes gelegen ist, die beste Gelegenheit.

12. Ich glaube auch, gleichgültig ob die in Aussicht genommene Person sich in Zukunft noch bereit erklärt, ehrenamtlich den Posten eines liechtensteinischen Gesandten beim Vatikan zu übernehmen, dass die Idee der Errichtung nicht ruhen wird, eine Idee, die von allen und sogar protestantischer Seite wärmstens empfohlen wird und von deren vernünftiger Verwirklichung ich mir nur gute Wirkungen für das erlauchte Fürstenhaus und für das Land versprechen kann.

13. Obwohl es sich zuerst grundsätzlich um die Lösung der Frage der Errichtung einer Gesandtschaft beim Hl. Stuhl handelt und die Frage der Besetzung durch eine geeignete Persönlichkeit sich erst hieran anreiht, so sehe ich mich, nachdem einmal die Person des Herrn Baron Dr. Geier in München, der sich nicht etwa um den Posten beworben hat, in Betracht gezogen worden ist, veranlasst festzustellen, dass nach meinen Kenntnissen und den vorhandenen Akten gegen diese Person an und für sich nichts spricht, wohl aber alle Umstände für ihn sprechen. Seine guten Beziehungen zum Vatikan, zu französischen und deutschen Regierungskreisen dürften in mancher Hinsicht von grossem Nutzen werden können.

Herr Baron Geier ist übrigens badischer Staatsangehöriger, Ehrenbürger der Gemeinde Dux in Tirol. Diese Gemeinde verlieh ihm gerade wegen Verschaffung von Arbeits- und Verdienstgelegenheit das Ehrenbürgerrecht. Es ist ein sehr grosser Wohltäter und tritt politisch nicht hervor.

IV. Zum Schlusse möchte ich zusammenfassend sagen:

1. Es ist nur sehr angebracht, wenn ein katholisches Fürstenhaus und ein katholisches Land auch seine Vertretung bei der höchsten katholischen Stelle auf Erden, beim Hl. Stuhl, haben.

2. Der Errichtung dieser ehrenamtlich gedachten Gesandtschaft stehen weder innen- noch aussenpolitische Gründe entgegen, im Gegenteil, alle Gründe sprechen dafür.

3. Es sollte eine Person in Aussicht genommen werden, die nicht nur rein repräsentative Funktionen ausübt, sondern die geeignet und in der Lage ist, unserem Land auch wirtschaftlich empor zu helfen. Dafür halte ich nach all dem Gesagten Herrn Baron Geier als vortrefflich geeignet.

Im übrigen beziehe ich mich auf meine früheren in dieser Sache an die Regierung gerichteten Eingaben, soweit ihr Inhalt hier nicht wiedergegeben ist.

Indem ich einer günstigen und baldigen Erledigung im Gegenstande entgegen sehe, [21] zeichne ich

mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener

______________

[1] LI LA RE 1927/3265 ad 0506. Eingangsstempel der liechtensteinischen Regierung vom 19.7.1927. – Prinz Franz von Liechtenstein war laut Kundmachung vom 24.12.1921, LGBl. 1922 Nr. 1, von Fürst Johann II. gemäss Art. 13 Abs. 2 der liechtensteinischen Verfassung vom 5.10.1921, LGBl. 1921 Nr. 15, mit der Ausübung der dem Fürsten auf dem Gebiet der Vertretung Liechtensteins nach Aussen zustehenden Hoheitsrechte betraut worden.
[2] Bereits 1919/1920 bestanden Pläne betreffend die Errichtung einer diplomatischen Vertretung Liechtensteins beim Hl. Stuhl, sei es über die Schweiz, Österreich, Spanien oder den Souveränen Malteserritterorden, sei es durch die Akkreditierung eines eigenen liechtensteinischen Gesandten. Vgl. dazu etwa das Schreiben des liechtensteinischen Gesandten in Wien, Prinz Eduard von Liechtenstein, an den liechtensteinischen Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein vom 20.6.1920 (LI LA V 003/0109 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien: 449/1)).
[3] Vgl. das vertrauliche Schreiben der fürstlichen Kabinettskanzlei an Landtagspräsident Wilhelm Beck vom 25.6.1927 (LI LA RE 1927/506 (Aktenzeichen der Kabinettskanzlei: No. 85/3 Präsidiale): Darin hatte Kabinettsdirektor Josef Martin dem Landtagspräsidenten über die Ergebnisse einer Rücksprache mit Prinz Franz vom 24.6.1927 in Wien berichtet. Gegen die Errichtung einer liechtensteinischen Gesandtschaft beim Hl. Stuhl sprach nach Auffassung von Prinz Franz vor allem das Verhältnis des Fürstentums zur Schweiz, welche die diplomatische Vertretung Liechtensteins bei anderen Staaten übernommen hatte. Die Gesandtschaftserrichtung beim Vatikan würde – so Prinz Franz – eine Inkonsequenz hinsichtlich der liechtensteinischen Haltung zur Schweiz darstellen. Er führte weiters die Möglichkeit von negativen Rückwirkungen auf das Verhältnis zur Tschechoslowakei, deren Beziehungen zu Rom getrübt waren, ins Feld. Die Errichtung einer Gesandtschaft beim Hl. Stuhl könnte als eine "ostentative Parteinahme" Liechtensteins für den Papst gedeutet werden. Abschliessend gab Kabinettsdirektor Martin bekannt, dass eine Rücksprache Becks mit Prinz Franz "eine Änderung der Ansichten des Herrn Prinzen nicht zur Folge haben würde".
[4] Vgl. das Schreiben Wilhelm Becks an die Regierung vom 12.5.1927 (LI LA RE 1927/2084 ad 0506) und vom 25.5.1927 (LI LA RE 1927/2347 ad 0506). In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass das Regierungskollegium bereits am 4.5.1927 einhellig die Errichtung einer Gesandtschaft beim Hl. Stuhl gutgeheissen und den in München wohnhaften Baron Dr. Friedrich Geier als Leiter der Gesandtschaft im Rang eines Ministers in Aussicht genommen hatte. Fürst Johann II. war in diesem Sinne von der Regierung am 9.5.1927 um dessen Genehmigung ersucht worden (LI LA RE 1927/0506). Das Projekt wurde auch in der Sitzung der Finanzkommission des Landtags vom 31.5.1927 besprochen, wobei Wilhelm Beck die Zustimmung zum Beitritt zum Ständigen Internationalen Gerichtshof von der gleichzeitigen Gesandtschaftserrichtung in Rom abhängig machte. Die Finanzkommission beschloss jedoch, diese beiden Fragen bis zur Anwesenheit des Fürsten im Lande zurückzustellen (vgl. das Schreiben von Regierungschef Gustav Schädler an Kabinettsdirektor Martin vom 7.6.1927 (LI LA RE 1927/2499 ad 0506)). Vgl. auch das diesbezügliche Telegramm der fürstlichen Kabinettskanzlei an die Regierung vom 21.5.1927 (LI LA RE 1927/2250 ad 0506): Fürst Johann II. wollte vor einer Erledigung der Frage der Gesandtschaftserrichtung den mündlichen Vortrag des Regierungschefs Schädler und des liechtensteinischen Geschäftsträgers in Bern Emil Beck entgegennehmen.
[5] Vgl. hiezu etwa den Briefwechsel zwischen Fürst Johann II. und dem schweizerischen Bundespräsidenten Giuseppe Motta vom 6./24.1.1920 betreffend die Übernahme der liechtensteinischen Interessenvertretung im Ausland durch die Schweiz (LI LA RE 1920/0141).
[6] Vgl. in diesem Zusammenhang etwa das Schreiben von Kabinettsdirektor Martin an Regierungschef Josef Ospelt vom 6.10.1921 betreffend den grundsätzlichen Beschluss, die Gesandtschaft in Wien aufzuheben (LI LA SF 01/1921/153 (Aktenzeichen der fürstlichen Kabinettskanzlei: 119/11)).
[7] Der Schweizer Bundesrat hatte vor dem Hintergrund des Kulturkampfes die diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl 1873 abgebrochen. Im Juni 1920 beschloss der Bundesrat, in der Schweiz wieder eine Nuntiatur zuzulassen. Doch erst 2004 wurde ein schweizerischer Botschafter beim Hl. Stuhl akkreditiert.
[8] In der Präambel des Vertrages zwischen der Schweiz und Liechtenstein vom 29.3.1923 über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet, LGBl. 1923 Nr. 24, wurden ausdrücklich die "souveränen Hoheitsrechte" des liechtensteinischen Fürsten vorbehalten.
[9] Dokument im Liechtensteinischen Landesarchiv nicht aufgefunden. Laut dem oben bereits erwähnten Schreiben von Kabinettsdirektor Martin an Landtagspräsident Wilhelm Beck vom 25.6.1927 (LI LA RE 1927/0506 (Aktenzeichen der Kabinettskanzlei: No. 85/3 Präsidiale)) hatte Bundesrat Motta gegenüber dem liechtensteinischen Geschäftsträger Emil Beck – angeblich im April 1926 – den Standpunkt vertreten, dass die Angelegenheit der Errichtung einer liechtensteinischen Gesandtschaft beim Vatikan vollständig im Ermessen der liechtensteinischen Regierung stehe, welche nach "Gutfinden" entscheiden könne.
[10] Dokument im Liechtensteinischen Landesarchiv nicht aufgefunden. Laut dem oben bereits erwähnten Schreiben von Kabinettsdirektor Martin an Landtagspräsident Wilhelm Beck vom 25.6.1927 hatte Geschäftsträger Emil Beck in einem vertraulichen Bericht vom Sommer 1925 seine Einschätzung mitgeteilt, "dass die private Auffassung im Politischen Departement hinsichtlich des Vorhandenseins von Opportunitätsgründen gegen die Errichtung einer Gesandtschaft beim heiligen Stuhl auch diejenige des Bundesrates sein wird".
[11] Auf Luigi Maglione, der als Apostolischer Nuntius nach Frankreich berufen wurde und 1939 zum Kardinalstaatssekretär aufstieg, folgte 1926 Pietro di Maria, Titularerzbischof von Iconium, als Apostolischer Nuntius für die Schweiz.
[12] Vgl. etwa die Äusserung des tschechoslowakischen Aussenministers Edvard Beneš, wonach die Prager Regierung den Fürsten als österreichischen Staatsangehörigen betrachte und dessen Souveränität und die daraus abgeleiteten Rechte nicht anerkennen könne (vgl. das Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern an die fürstliche Kabinettskanzlei vom 19.5.1921 (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Gesandtschaft Bern: 649/21))).
[13] Nach Art. 8 Abs. 1 der Verfassung vom 5. Oktober 1921, LGBl. 1921 Nr. 15, vertritt der Landesfürst unbeschadet der erforderlichen Mitwirkung der verantwortlichen Regierung den Staat in allen seinen Verhältnissen gegenüber auswärtigen Staaten. Gemäss Art. 8 Abs. 2 ist hiebei für gewisse Angelegenheiten die Zustimmung des Landtags erforderlich, namentlich wenn eine neue Last auf das Fürstentum oder seine Angehörigen übernommen wird.
[14] Zum Plan, dem Ständigen Internationalen Gerichtshof beizutreten, vgl. etwa das befürwortende Schreiben des liechtensteinischen Geschäftsträgers in Bern an die liechtensteinische Regierung vom 6.5.1927 (LI LA RE 1927/2000). Vgl. hinsichtlich der Sitzung der Finanzkommission vom 31.5.1927 das oben erwähnte Schreiben von Regierungschef Schädler an die die fürstliche Kabinettskanzlei vom 7.6.1927 (LI LA RE 1927/2499 ad 0506).
[15] Der Landesparteiausschuss der Christlich-sozialen Volkspartei hatte sich in einer Resolution vom 11.6.1927 für die Errichtung einer ehrenamtlichen diplomatischen Vertretung beim Hl. Stuhl ausgesprochen. In der Eingabe hiess es, dass die Volkspartei auf dem Standpunkt der katholischen Weltanschauung stehe und sich politisch zum Grundsatz der Erhaltung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Fürstentums bekenne (Abschrift in LI LA RE 1927/0506).
[16] Dieser Grundsatz war von der Volkspartei besonders 1920/1921 im Hinblick auf die Bestellung des österreichischen Juristen Josef Peer zum liechtensteinischen Landesverweser propagiert worden. Vgl. z.B. die diesbezügliche Protestresolution der Volkspartei gegen die Bestellung eines Ausländers zum Landesverweser vom 18.4.1920 (LI LA SF 01/1920/072).
[17] Die Regierung ersuchte die Auskunftei Schimmelpfeng in Zürich mit Schreiben vom 16.7.1927 um Informationen über die finanziellen Verhältnisse, geschäftlichen Beziehungen sowie die Ämter und Würden von Friedrich Geier (LI LA RE 1927/3163 ad 0506). Diesbezügliche Auskünfte vom Juli 1927 ebd. sowie unter LI LA RE 1927/3257 ad 0506, RE 1927/3374 ad 0506 und RE 1927/3410 ad 0506.
[18] Nach Art. 20 Abs. 1 1. Satz der liechtensteinischen Verfassung von 1921 fördert und unterstützt der Staat zur Hebung der Erwerbsfähigkeit und zur Pflege seiner wirtschaftlichen Beziehungen Land- und Alpwirtschaft, Gewerbe und Industrie. Er wird nach Abs. 3 2. Halbsatz allen Bestrebungen zur Erschliessung neuer Verdienstquellen sein Augenmerk und seine Förderung zuwenden.
[19] Dokument im Liechtensteinischen Landesarchiv nicht aufgefunden.
[20] Vgl. in diesem Zusammenhang das bereits erwähnte Schreiben von Kabinettsdirektor Martin an Wilhelm Beck vom 25.6.1927, wonach Prinz Franz seine Ansichten zur Gesandtschaftserrichtung in Rom nicht ändern werde (LI LA RE 1927/0506 (Aktenzeichen der Kabinettskanzlei: No. 85/3 Präsidiale)).
[21] Die fürstliche Kabinettskanzlei zweifelte mit Schreiben an Wilhelm Beck vom 6.8.1927 die Qualitäten von Friedrich Geier für die Übernahme einer diplomatischen Mission an. In seinem Antwortschreiben an Kabinettsdirektor Martin vom 12.8.1927 hielt Beck jedoch an der Person von Geier fest und bemerkte, dass die Angelegenheit für ihn noch nicht erledigt sein könne (Abschrift unter LI LA RE 1927/3598 ad 0506). Tatsächlich wurde jedoch die Frage der Gesandtschaftserrichtung beim Heiligen Stuhl nicht mehr weiter verfolgt.