Die katholischen Geistlichen Basilius Vogt, Johann Anton Büchel und Heinrich Vogt verurteilen die Vorgänge vom 7.11.1918 im Landtag als „Verfassungsbruch“


Leserbrief von Kanonikus Basilius Vogt, Pfarrer von Liebfrauen in Zürich, Johann Anton Büchel, Pfarrer von Zürich-Oerlikon und von Heinrich Vogt, Vikar und Präses des Gesellenvereins Zürich, im „Liechtensteiner Volksblatt" vom 22.11.1918 [1]

17.11.1918, Zürich 

Auch wir protestieren. Als wir Unterzeichnete am 8. November durch die Schweizerpresse die Nachricht erhielten: „Auch im kleinen Liechtenstein ist die Regierung gestürzt", sagten wir uns unwillkürlich: „Das ist unmöglich, oder Stimmungsmache von gewisser Seite." [2] – Das Liechtensteiner „Volksblatt" Nr. 45 [3] brachte die Bestätigung jenes Telegrammes. Infolge des schweizer. Landesstreikes [4] erhielten wir erst durch obgenanntes Blatt bestimmte Nachricht aus der Heimat. – Mit tiefster Wehmut und innerer Empörung nahmen wir Kenntnis von den Vorgängen in Liechtenstein. Dass in den kriegführenden Staaten ein Regierungssturz möglich war, können wir uns erklären; dass aber ein Regierungssturz in Liechtenstein, und dies unter solch ehrlosen Begleiterscheinungen möglich war, ist uns unerklärlich, unerklärlich vonseite der beiden Führer, unerklärlich vonseite der vom Volke gewählten Abgeordneten und ist unverantwortlich dem hochedlen Fürsten [Johann II.] und dem Lande gegenüber.

In jener schmachvollen Landtagssitzung vom 7. November wagte man dieses Vorgehen „gesetzlich" zu nennen; wir nennen es Vergewaltigung der Abgeordneten und Verfassungsbruch. Wer hat der Umsturzpartei und ihren Anführern hiezu ein Recht gegeben? Der Fürst? – Nein! – Das Volk? – Nein! – Die Herren haben sich das Recht selbst genommen. 

Angeekelt hat uns das Hoch auf den Landesfürsten in jener unseligen Stunde. Zuerst schlägt man dem Fürsten ins Gesicht, und dann – ein „Hoch" – Angeekelt hat uns die Lobrede auf den Landesverweser [Leopold von Imhof], nachdem man ihm für die Abdankung reif gemacht! – Das kann nur ein Doppel-Herz. 

Mit den vielen Liechtensteinern, die treu zu Fürst und Heimat stehen, erheben auch wir flammenden Protest gegen den brutalen Staatsstreich!

Für ein kath. Volk muss auch heute noch Gottes Gebot Geltung haben, welches uns die Apostelfürsten verkünden: „Seid Untertan jeder menschliehen Obrigkeit um Gottes willen, der Höchsten wie der niederen, denn so ist es der Wille Gottes. – Jedermann sei der Obrigkeit Untertan, denn es gibt keine Gewalt ausser von Gott und wer sich der Gewalt widersetzt, der widersetzt sich Gottes Anordnung." [5]

Folgende Bemerkungen können wir nicht unterdrücken:

1. Wir wünschen niemand Böses, aber wir fürchten für Land und Volk. Denn „wer Wind sät, wird Sturm ernten". Das böse Beispiel von oben wirkt nach unten!

2. Die Beratung betreffend einer Waffen- und Munitionsbestellung in Innsbruck wirft auf die neue Regierung ein sonderbares Licht. [6] Bisher wurde Liechtenstein ohne Waffen regiert. Wozu nun Waffen? Gelten sie den Feinden von Innen oder dem Feinde von Aussen? – Wir hätten eher von einer neuen „Regierung" ein bestimmtes Programm für das Wohl des Volkes erwartet.

3. Die Vorgänge vom 7. Nov. dem Jahrestage der Revolution und Einführung der Bolschewiki-Regierung in Russland, tun uns bitter wehe unseres hoch edlen Landesvaters wegen, der am 12. November sein 60-jähriges Regierungsjubiläum feiert und mit ihm sein treues Liechtensteiner Volk. Die Vorgänge vom 7. Nov. tun uns auch bitter wehe eines Hrn. Landesvikars [Johann Baptist] Büchel und eines Hrn. Dr. Albert Schädler wegen, die wie keine andern seit 30 Jahren mit Liebe und Treue am Wohle des Vaterlandes im Staats- und Schulwesen gearbeitet haben. Undank tut weh!

4. Unserem lieben Liechtensteiner Volk aber rufen wir zu: Treu zur Kirche, treu zu Fürst und Vaterland. Zwietracht trennt, Eintracht macht stark! 

Möge der allgütige Gott, wie bisher, auch fernerhin unser geliebtes Liechtenstein als Friedensinsel erhalten.

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[1] L.Vo., Nr. 47, 22.11.1918, S. 2. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Hirtenbrief des Churer Bischofs Georgius Schmid von Grüneck an die Bistumsangehörigen im Fürstentum Liechtenstein vom 12.11.1918 anlässlich des 60jährigen Regierungsjubiläums von Fürst Johann II. (LI LA SF 01/1918/029; L.Vo., Nr. 47, 22.11.1918, S. 1-2 („Das Fürstenfest vom letzten Sonntag in Vaduz")).
[2] An der Landtagssitzung vom 7.11.1918 musste der fürstliche Landesverweser Leopold von Imhof seinen Rücktritt erklären; gleichzeitig wurde ein provisorischer Vollzugsausschuss unter dem Vorsitz des Juristen Martin Ritter gewählt (LI PA Quaderer, Nachlass Wilhelm Beck, handschriftliches Protokoll).
[3] Vgl. L.Vo., Nr. 45, 8.11.1918, S. 1 („Regierungsänderung in Liechtenstein").
[4] Es handelte sich um einen Generalstreik in der Schweiz, der zwischen dem 11. und 14.11.1918 stattfand.
[5] Römer 13,1-2.
[6] Der Landtag beschloss in der öffentlichen Landtagssitzung vom 12. November 1918, in Innsbruck 300 Gewehre anzuschaffen (vgl. LI LA LTA 1918/S04/2; L.Vo., Nr. 46, 15.11.1918, S. 3 („Landtagssitzung vom 12. November (Einges.)").